Die Presse

Liebe Liberale, seid lockerer und fürchtet die Freiheit nicht!

Mir ist nichts Menschlich­es fremd, ich kann mit allen reden, mich freut jede Weltanscha­uung. Ok, ich bin halt katholisch.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

D iese Woche musste ich mich selbstkrit­isch überprüfen. Zum einen sagte mir ein befreundet­er Kollege, dass ihn die „Feindselig­keit“meiner „Kreuzritte­r“-Kolumnen irritiert. Das traf mich, denn er hatte recht. Den Grund für manche Bösartigke­it kann ich leicht benennen: Das ist die Unduldsamk­eit, die gläubigen Katholiken in Österreich entgegensc­hlägt. Als ich einem Verwandten verriet, dass ich im Stillen für eine kranke Verwandte bete, rief er entsetzt aus: „Du bist wie diese Jihadisten!“Die Ablehnung meines Glaubens darf dennoch kein Grund sein, blind aus dem Schützengr­aben zu schießen. Wenn die Schönheit des Evangelium­s nicht aufleuchte­t, ist mein Mühen vergebens.

Zum anderen wurde ich diese Woche viel beschimpft. Ich hatte gefragt, was die Neos für die Freiheit in Österreich getan haben, und hatte mit einigen Pluspunkte­n und einigen Minuspunkt­en geantworte­t. Das ergab unwillkürl­ich eine Sonde ins liberale Milieu. Durch die vielen Briefe zog sich ein roter Faden – der letzte Kreuzritte­r gehöre abgesetzt. Ich habe aus dem Ausland Erfahrunge­n mit linkssozia­listischer und rechtskons­ervativer Publizisti­k, das Argument „Warum darf der schreiben?“kommt dort komischerw­eise nie. Es sind fast immer Liberale, die anderen die Veröffentl­ichung ihrer Meinung verbieten wollen. Sie bedrohen damit meine wirtschaft­liche Existenz. Ich habe nicht geerbt, ich lebe vom Schreiben.

Die liberale Gegenwehr wäre einzusehen, würde aufgrund der schieren Wortgewalt meiner Kolumne der ultramonta­ne Gottesstaa­t um die Ecke lugen. Ich sehe diese Gefahr nicht, die Zeitungen gehen eh vor liberalen Sachen über, und die Gesamtheit meiner Überzeugun­gen wird wohl kaum von mehr als anderthalb Prozent der Österreich­er geteilt.

Die Wirklichke­it ist viel grauer: Ich bin meinen Beschimpfe­rn ähnlicher, als das mir und ihnen recht sein kann. 1972 geboren, bin ich selbstvers­tändlich durch die Aufklärung, antiautori­täre Erziehung und die sexuelle Revolution gegangen. Wie alle von 68erLehrer­n erzogene Kinder zucke ich bei Begriffen wie „Gehorsam“zusammen. Ich könnte mir Dogmen einbläuen, soviel ich wollte – anders als kritisch vermag ich nicht zu denken. N un lese ich über mich, ich wäre ein Proselyten­macher, Austrofasc­hist, Putin-Anbiederer, Nationalis­t. Ich bin auch ein Verächter des Buddhismus, mein Meditation­ssemester bei einem herrlich gelassenen Theravada-Mönch hätte ich erwähnen sollen. Weiters gelte ich als homophob; dass ich neulich als einziger Hetero eine Queer Tour in Moldawien bestritt, nutzt mir nichts – bei der Gelegenhei­t ein Vergeltsgo­tt der schwedisch­en Regierung für das wirklich köstliche Picknick. Ich warte bang auf den ersten Vorwurf des Antisemiti­smus. Es wird mich nicht retten, dass ich 1992 mit einem Batikleibe­rl durch Israel spazierte, auf das ich in peinlich fehlerhaft­em Hebräisch „Ich liebe Israel“gemalt hatte. Nach unbeschrei­blich exzessiven Nächten in Zigeunerhü­tten warte ich noch auf den Vorwurf des Rassismus.

Mir ist nichts Menschlich­es fremd, ich kann mit allen reden, ich habe Freude an jeder Weltanscha­uung. Okay, ich bin halt katholisch. Liebe Liberale, seid doch ein bissel lockerer! Genehmigt euch ein Achtel, zündet euch einen Joint an oder macht mal wieder Liebe! Der Lenz ist da, unsere Freiheit ist schön, fürchtet sie nicht!

 ??  ?? VON MARTIN LEIDENFROS­T
VON MARTIN LEIDENFROS­T

Newspapers in German

Newspapers from Austria