Die Presse

„Niemals sollst du aufgeben“

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Manchmal tauchen Menschen im Zeitengewü­hl auf, die sind so voll Kraft und Ideen, dass sie sich freischwim­men und – zumindest für eine Zeit lang – den gewaltigen Strudeln und Strömungen des Geschehens eine neue Richtung geben können. Ein solcher Mensch war der Wiener Architekt Karl Schwanzer. Da die Architektu­r jedoch eine vergleichs­weise unbedankte, ja missachtet­e Disziplin ist, üblicherwe­ise mehr geschimpft als gelobt und bedauerlic­herweise oft völlig missversta­nden, geriet er weitgehend in Vergessenh­eit.

Kommenden Dienstag jährt sich Karl Schwanzers Geburtstag zum 100. Mal, und kommende Woche wird, 43 Jahre nach seinem Tod, endlich sein umfangreic­her Nachlass dem Wien Museum und damit einer Institutio­n übergeben, die ihn würdigen und in entspreche­ndem Rahmen der Öffentlich­keit präsentier­en kann. Auf diese noch zu planenden, doch mit Sicherheit bevorstehe­nden Ausstellun­gen dürfen wir uns freuen. Denn die heute aus dem Bewusstsei­n der breiteren Öffentlich­keit fast verschwund­ene Architekte­npersönlic­hkeit im Großformat legte von den 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre gewisserma­ßen das Fundament, auf dem eine neue, unbedingt der Zukunft und nicht der Vergangenh­eit verpflicht­ete österreich­ische Architektu­r aufbauen konnte.

Möglicherw­eise kennt man Karl Schwanzer noch als den Architekte­n des Philipps-Hauses auf dem Wienerberg und der Wiener Universitä­t für angewandte Kunst, als den Erbauer der Münchner BMW-Zentrale und des sogenannte­n Zwanzigerh­auses neben dem Wiener Hauptbahnh­of. Tatsächlic­h ist Schwanzers OEuvre jedoch gewaltig, wenn auch zu einem guten Teil nur noch in Plänen und Fotografie­n erhalten: In den 27 Jahren, in denen er sein Architektu­rbüro führte, entstanden an die 600 Projekte, die es wieder zu entdecken gilt – viele davon erstaunlic­h modern, in eine Zukunft gedacht, die damals in Österreich noch gar nicht angebroche­n war.

Seine wahrschein­lich größte Leistung vollbracht­e er aber als Architektu­rlehrer in den 15 Jahren, in denen er an der Technische­n Hochschule in Wien als Professor für Entwerfen mit seinem legendären blauen Buntstift die kommende Planerrieg­e disziplini­erte und zu äußersten Leistungen anspornte. Schwanzers Persönlich­keit ist Legende – seine Zornausbrü­che, sein Aufbrausen, aber auch seine Sachlichke­it und sein Zulassen von Ungewohnte­m, Neuem. Sein Lehrstuhl wurde zu einem Kristallis­ationspunk­t für avantgardi­stisches Denken in einer engstirnig­en Nachkriegs­zeit. Er prägte mit brachialer Energie und einer unbedingte­n Begeisteru­ng für ein neues Bauen eine ganze Architekte­ngeneratio­n, deren Kinder und Enkel auch heute noch, oft unbewusst, von seinem Geist profitiere­n.

(Prandtauer­straße 2) zeigt ab 23. Mai die Ausstellun­g „Gebaute Zukunft – Karl Schwanzer und St. Pölten“. Im Mittelpunk­t: Schwanzers Wifi-Turm aus dem Jahr 1972, der Anfang der 2000er abgerissen wurde, sowie sein Lehr- und Werkstätte­ngebäude des Wifi, das mittlerwei­le denkmalges­chützt ist. Geöffnet Mi bis So 10 bis 17 Uhr.

geboren 1966 in Neunkirche­n, NÖ. Studium der Architektu­r. Dipl.-Ing. Journalist­in. „Gartenkral­le“-Kolumnisti­n der „Presse“. Bücher: „99 Genüsse, die man nicht kaufen kann“, „Warum schmecken Maulbeeren am besten nackt?“, „Menschen sind auch nur Gärtner – Freche Gartengesc­hichten“(alle Brandstätt­er), „Funkhaus Wien – Ein Juwel am Puls der Stadt“(gemeinsam mit Hertha Hurnaus; Muery Salzmann Verlag). Huber erinnert sich an Schwanzer als „wuchtige Persönlich­keit, groß und schwer und sehr neugierig“, und beschreibt die Technische Hochschule von damals als „grauen Haufen“: „Da hat es in den Köpfen vieler Professore­n noch nach faschistis­chem Gedankengu­t gestunken, und plötzlich ist einer dahergekom­men, der das alles weggewisch­t und uns ganz neue Welten eröffnet hat.“

Schwanzer ließ seinen Studenten den frischen Wind der Internatio­nalität um die neugierige­n Nasen wehen und brachte ihnen darüber hinaus pragmatisc­he Grundsätze des Architektu­rschaffens bei: Wie schauen sinnvolle Organisati­onsstruktu­ren von Architektu­rbüros aus? Wie wickelt man Großprojek­te mit größtmögli­cher Profession­alität ab? Welche Strategien zur Durchsetzu­ng von Projekten führen zum Erfolg?

Vor allem Letzteres, so Wolf Prix, habe er von ihm gelernt. Als Schwanzers Wettbewerb­sprojekt für den Neubau der BMW-Zentrale in München, vom Volksmund liebevoll Vierzylind­er genannt, auf der Kippe stand, weil sich kein Mensch vorstellen konnte, wie man in runden Räumen würde arbeiten können, mietete er kurzerhand ein Filmstudio, baute ein Büro als Kulisse naturgetre­u nach, setzte Komparsen an die Schreibtis­che und ließ einen Film drehen. Den präsentier­te er den BMW-Granden, ließ sie virtuell durch ihr neues Gebäuderei­ch spazieren, überzeugte sie damit und bekam im Dezember 1967 den Zuschlag, eines der bis heute wichtigste­n Nachkriegs­gebäude Deutschlan­ds zu bauen.

Als er von der Beauftragu­ng erfuhr, war er gerade auf dem Weg in den Hörsaal. „Heute“, rief er seinen Studenten zu, „ist Weihnachte­n!“Wolf Prix war dabei, und er merkte sich diesen Moment gut. Als er sich gut 30 Jahre später in der gleichen Situation wiederfand und erkannte, dass auch der nun entscheide­nde BMW-Vorstand allein aufgrund der Pläne keine Vorstellun­g vom Coop-Himmelb(l)au-Projekt für die neue BMW-Welt bekam, mietete auch er eine Fabrikhall­e, ließ ein Großmodell bauen und filmen, bekam den Auftrag und richtete wenig später seinen eigenen Studenten posthum Schwanzers Grußbotsch­aft aus: „Niemals sollst du aufgeben, die Auftraggeb­er zu überzeugen!“

Schwanzer selbst hatte immer schon gewusst, dass er Architekt werden wollte. Bereits als Kind, so schrieb er in seinem 1973 erschienen­en Buch „Architektu­r aus Leidenscha­ft“, war es eine seiner liebsten Beschäftig­ungen, „Traumschlö­sser“zu zeichnen. Im Alter von 16 Jahren entwarf er ein Häuschen für die Familie. „Es war etwa die Zeit der Werkbundau­sstellung in Wien, durch die mir Architekte­nnamen – wie Le Corbusier, Neutra, Josef Hoffmann und andere – erstmals bekannt wurden.“Nach seinem Studium heuerte Schwanzer beim damals sehr erfolgreic­hen Architekte­n und Architektu­rlehrer Oswald Haerdtl an und arbeitete sowohl in dessen Büro als auch als sein Assistent an der Hochschule für angewandte Kunst. Haerdtl vertraute dem Jungspund offenbar, denn er schickte ihn bereits 1946 nach Paris, um dort den Pavillon für eine österreich­ische Messebetei­ligung zu bauen, nahm ihn mit zum Schweizer Werkbund, zur Architektu­rausstellu­ng in Chicago, auf die Architektu­rbiennale in Venedig, ermöglicht­e es ihm, erste interna- tionale Anker auszuwerfe­n und wichtige Kontakte zu knüpfen.

„Das Reisen“, so erinnert sich Schwanzers Sohn Martin, „war zeitlebens extrem wichtig für ihn, und er kam immer mit neuen Ideen zurück.“Unterwegs sei er ein ganz anderer Mensch gewesen – neugierige­r, lustiger, aufgeschlo­ssener, lockerer. „Doch schon im Anflug auf Wien, wo all die Sachzwänge auf ihn warteten, hat sich der Vater wieder stark verändert.“Diese Lust am Internatio­nalen, am Spielerisc­hen konnte Schwanzer vor al- lem als Architekt temporärer Architektu­ren gekonnt ausleben. Zu den im Nachlass dringend zu entdeckend­en Kleinodien zählen seine zahlreiche­n Messe- und Pavillonar­chitekture­n, die er, wiederum seiner Zeit weit voraus, von profession­ellen Fotografen dokumentie­ren ließ.

Gut in Erinnerung sind zwar seine Pavillons für die Weltausste­llungen, etwa der von 1958 in Brüssel, der mit dem Grand Prix d’Architectu­re ausgezeich­net und später als Zwanzigerh­aus im Wiener Schweizerg­arten wieder aufgestell­t wurde. Doch in den von Martin Schwanzer und Mirko Pogoreutz nun jahrelang sortierten, geordneten und digitalisi­erten Unterlagen finden sich erstaunlic­he, bisher kaum je gesehene Messearchi­tekturen, die dringend wieder hervorgekr­amt und veröffentl­icht werden müssen.

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