Einmal Guerilla, immer Guerilla?
Der Friedensmarsch ist gefährdet: Kolumbiens Präsidentschaftswahl am 27. Mai.
Kolumbiens Hauptstadt Bogota,´ früher ob seiner Gelehrsamkeit als „Athen Südamerikas“gerühmt, bleibt auch beim Militärischen der Schriftlichkeit treu. Das „Acuerdo Final“, der endgültige Text zum Friedensschluss zwischen Regierung und Farc-Guerilla, zählt 446 Seiten. In der strengen „Libreria Lerner“empfahl man mir darüber hinaus die acht Dokumentenbände über frühere Friedensversuche mit Rebellen und Aufständischen: Es kommen fast 10.000 Seiten zusammen.
Einige dieser Abkommen verpufften. Andere glückten. Besonders erfolgreich war der Frieden mit der M-19-Guerilla aus den 1980ern, deren Führer zu Bürgermeistern, Abgeordneten oder Botschaftern aufstiegen und derart die kolumbianische Politik belebten. Ihren Reihen entstammt Gustavo Petro, der nach seiner Probezeit als Bürgermeister von Bogota´ jetzt die Präsidentschaft anstrebt. Er verkörpert die Hoffnung der Progressiven, welche die Eingliederung der rund 7000 Farc-Guerilleros in das zivile Leben befürworten.
Ihn beschießt aus allen Rohren Expräsident A´lvaro Uribe, der, da von einer Wiederwahl ausgeschlossen, sich einen politischen Avatar geschaffen hat, Ivan´ Duque, um den das reaktionäre Lager kreist. Setzt sich Duque durch, wird der Friedensprozess unrühmlich versanden. Somit steht der kolumbianische, mit so viel Euphorie begrüßte und mit einem Nobelpreis ausgezeichnete Friedensmarsch auf Messers Schneide. Viele Widersprüche bremsen das Umsetzen der Vereinbarungen.
Zähe Versöhnungsprogramme
Da die Eingliederung der ehemaligen Farc-Guerilleros Geld kostet, musste die Regierung die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent hochschnalzen. Das verdrießt. Viele Versöhnungsprogramme laufen zögerlich. Aus den 26 ETCR-Wiedereingliederungscamps, in denen sich die Guerilleros sammelten, tauchten viele wieder ab, anonym in die Städte oder zur weiterhin kämpfenden ELN-Guerilla oder zu kriminellen Banden, die unbeirrt das Drogengeschäft betreiben. Vor allem in der abgelegenen Pazifikprovinz Choco´ breitet sich die violencia aus, beginnt das Zählen von Toten und Ermordeten.
Dazu kommt das Desaster der Wahlkampagne der Farc-Guerilla, die sich mit neuem Namen, aber mit demselben Akronym als Partei vorstellt. Als FarcChef Rodrigo London˜o alias „Timoschenko“seine Wahlwerbung begann, wurde er ausgepfiffen und mit Bananen beworfen. Offensichtlich verzeihen viele geplagte Bürger den ehemaligen Guerilleros deren Grausamkeiten nicht. Bei den Kongresswahlen im April erhielt die Farc-Partei nicht einmal 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen – und durfte laut Friedensabkommen trotzdem mit je fünf Abgeordneten in Senat und Repräsentantenhaus einziehen. Immerhin: „Timoschenko“gab seine Kandidatur auf.
Alle diese Ereignisse befeuern das reaktionäre Lager von Expräsident A´lvaro Uribe, dessen Stellvertreterkandidat Ivan´ Duque, falls erfolgreich, den Friedensprozess abwürgen soll. Die mürrische Stimmung im Land nährt sich auch von den dramatischen Vorgängen im Nachbarland Venezuela, dessen verzweifelte Bürger täglich zu Tausenden in die Grenzstadt Cu´cuta drängen: Kolumbien beherbergt derzeit rund eine Million Menschen aus dem einst reichen Nachbarland. A´lvaro Uribe beschwört darob das Gespenst des „Castro-Chavismo“, das in Kolumbien keine Chance erhalten darf. Deshalb am 27. Mai keine Stimme für den Ex-Guerillero Petro!
Schafft keiner der insgesamt neun Kandidaten die Absolute, kommt es zur Stichwahl. Mal sehen, was passiert.