Allmacht und Ohnmacht
Sebastian Vogt paraphrasiert das Thema „feindliche Brüder“in Anlehnung an die Manns.
Von der literarischen Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen, erarbeitete der Wiener Schriftsteller Sebastian Vogt in den letzten Jahren ein schmales, aber gewichtiges Werk. Er debütierte mit souveränen Erzählungen aus antiken östlichen Ländern: „Legenden und ein Söhnchen“, erschienen 2008 im Otto Müller Verlag.
Die Einbettung von Konflikten zwischen Machthabern und Untertanen in das jeweilige Lokalkolorit gelang dem Autor nicht zuletzt durch eine behutsam geführte Sprache, die den Realismus der Erzählung durch eine märchenhafte Überhöhung in breitere historische Zeiträume hob und mit zeitgenössischen Verhältnissen vergleichbar machte. Sparsam gesetzte ironische Striche sorgten dabei für einen Verfremdungseffekt und steigerten das Lesevergnügen. Diese Vorzüge sollten auch seine weiteren Arbeiten prägen.
Es folgten „Der wundersame Affe Fritz“(2013) und zwei Jahre später der Roman „Briefe zur Revolution“sowie das Theaterstück „Der Zirkus“, alle im Resistenz-Verlag des 2016 verstorbenen Verlegers Dietmar Ehrenreich erschienen. Auch in seinem neuesten Werk, das die Lebensgeschichte der Brüder Thomas und Heinrich Mann aufgreift, der Erzählung „Zwei Brüder“, führt der Autor die Auseinandersetzung mit seinem Generalthema „Allmacht der Herrschenden und Ohnmacht der Beherrschten“weiter, wobei der auktoriale Erzähler keinen Zweifel daran lässt, auf wessen Seite das Herz schlägt.
Oskar, der Jüngere der in Reichtum aufwachsenden Willms-Brüder, gelingt ein literarischer Welterfolg mit dem Roman „Eine deutsche Familie“. Kaum verborgen leuchten hier die „Buddenbrooks“hervor. Der gefeierte und verehrte Starautor hält bis zum Schluss des Krieges an Kaiser Wilhelm und dessen Kriegskurs fest. Die Verachtung seines Bruders August, der sich zum Anarchismus hingezogen fühlt, lässt ihn kalt. Er plant, mit seinem zweiten Roman, einer Goethe-Paraphrase, den Durchbruch auf den nationalkonservativen Weimarer Dichterparnass zu schaffen.
Das Elend der Papierarbeiter
Sein empathischer und tatkräftiger Bruder schaut sich auf Anraten des Chauffeurs der Industriellenfamilie bei den im Elend lebenden Papierarbeitern um, die für den Reichtum seiner Eltern ihre Gesundheit ruinierten. Der despotische Vater ist früh verstorben, die wunderschöne und gefühlskalte argentinische Mutter tröstet sich mit einem Klavierlehrer. In den Zwanzigerjahren flieht sie in ihr Heimatland Argentinien.
August schreibt über die Lage der Arbeiter in der Lokalpresse und wird vom Gymnasium relegiert. Er wechselt nach London, heuert bei einer linken Tageszeitung an und findet Aufnahme in Anarchistenkreisen. Eine russische Revolutionärin und erfolgreiche Schriftstellerin führt den Jungen nicht nur in die körperliche Liebe ein, sie macht ihn auch mit dem berühmten anarchistischen Fürsten und Publizisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin bekannt. Der Krieg beendet Augusts Karriere.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wird er eingezogen – Bruder Oskar „überwintert“als Lohnschreiber für das Kriegsministerium – und erlebt die Marne-Schlachten. Eine Granate zerfetzt sein Bein, es wird amputiert. Mittellos und infolge einer Sepsis todkrank, bettelt August im Nachkriegsberlin auf der Straße. Doch das ist noch nicht das Ende von Sebastian Vogts drittem und bisher bestem Buch.