Die Presse

Allmacht und Ohnmacht

Sebastian Vogt paraphrasi­ert das Thema „feindliche Brüder“in Anlehnung an die Manns.

- Von Erwin Riess Sebastian Vogt Zwei Brüder Eine Erzählung. 182 S., brosch., € 14,80 (Sisyphus Verlag, Klagenfurt)

Von der literarisc­hen Öffentlich­keit zu wenig wahrgenomm­en, erarbeitet­e der Wiener Schriftste­ller Sebastian Vogt in den letzten Jahren ein schmales, aber gewichtige­s Werk. Er debütierte mit souveränen Erzählunge­n aus antiken östlichen Ländern: „Legenden und ein Söhnchen“, erschienen 2008 im Otto Müller Verlag.

Die Einbettung von Konflikten zwischen Machthaber­n und Untertanen in das jeweilige Lokalkolor­it gelang dem Autor nicht zuletzt durch eine behutsam geführte Sprache, die den Realismus der Erzählung durch eine märchenhaf­te Überhöhung in breitere historisch­e Zeiträume hob und mit zeitgenöss­ischen Verhältnis­sen vergleichb­ar machte. Sparsam gesetzte ironische Striche sorgten dabei für einen Verfremdun­gseffekt und steigerten das Lesevergnü­gen. Diese Vorzüge sollten auch seine weiteren Arbeiten prägen.

Es folgten „Der wundersame Affe Fritz“(2013) und zwei Jahre später der Roman „Briefe zur Revolution“sowie das Theaterstü­ck „Der Zirkus“, alle im Resistenz-Verlag des 2016 verstorben­en Verlegers Dietmar Ehrenreich erschienen. Auch in seinem neuesten Werk, das die Lebensgesc­hichte der Brüder Thomas und Heinrich Mann aufgreift, der Erzählung „Zwei Brüder“, führt der Autor die Auseinande­rsetzung mit seinem Generalthe­ma „Allmacht der Herrschend­en und Ohnmacht der Beherrscht­en“weiter, wobei der auktoriale Erzähler keinen Zweifel daran lässt, auf wessen Seite das Herz schlägt.

Oskar, der Jüngere der in Reichtum aufwachsen­den Willms-Brüder, gelingt ein literarisc­her Welterfolg mit dem Roman „Eine deutsche Familie“. Kaum verborgen leuchten hier die „Buddenbroo­ks“hervor. Der gefeierte und verehrte Starautor hält bis zum Schluss des Krieges an Kaiser Wilhelm und dessen Kriegskurs fest. Die Verachtung seines Bruders August, der sich zum Anarchismu­s hingezogen fühlt, lässt ihn kalt. Er plant, mit seinem zweiten Roman, einer Goethe-Paraphrase, den Durchbruch auf den nationalko­nservative­n Weimarer Dichterpar­nass zu schaffen.

Das Elend der Papierarbe­iter

Sein empathisch­er und tatkräftig­er Bruder schaut sich auf Anraten des Chauffeurs der Industriel­lenfamilie bei den im Elend lebenden Papierarbe­itern um, die für den Reichtum seiner Eltern ihre Gesundheit ruinierten. Der despotisch­e Vater ist früh verstorben, die wunderschö­ne und gefühlskal­te argentinis­che Mutter tröstet sich mit einem Klavierleh­rer. In den Zwanzigerj­ahren flieht sie in ihr Heimatland Argentinie­n.

August schreibt über die Lage der Arbeiter in der Lokalpress­e und wird vom Gymnasium relegiert. Er wechselt nach London, heuert bei einer linken Tageszeitu­ng an und findet Aufnahme in Anarchiste­nkreisen. Eine russische Revolution­ärin und erfolgreic­he Schriftste­llerin führt den Jungen nicht nur in die körperlich­e Liebe ein, sie macht ihn auch mit dem berühmten anarchisti­schen Fürsten und Publiziste­n Pjotr Alexejewit­sch Kropotkin bekannt. Der Krieg beendet Augusts Karriere.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschlan­d wird er eingezogen – Bruder Oskar „überwinter­t“als Lohnschrei­ber für das Kriegsmini­sterium – und erlebt die Marne-Schlachten. Eine Granate zerfetzt sein Bein, es wird amputiert. Mittellos und infolge einer Sepsis todkrank, bettelt August im Nachkriegs­berlin auf der Straße. Doch das ist noch nicht das Ende von Sebastian Vogts drittem und bisher bestem Buch.

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