Die Presse

Unser Haus in den Hügeln, unser Pool in der Hitze

Italien/Toskana. Mit edlen Pferden, Schwimmbec­ken und Familienan­schluss: Urlaub auf einem Gestüt unweit von Siena.

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Barfuß hüpft das Kind über den Graben, der den Garten von dem Weg zu den Pferdekopp­eln trennt. Hin und her. Die Hitze, die noch immer zwischen den Hügeln liegt, vermag seinen Bewegungsd­rang nicht zu bremsen. Außerdem ist es gespannt. Jeden Abend um acht Uhr werden die Vollblüter des Gestüts auf die Weiden geführt, nachdem sie den Tag im Schatten ihres Stalls verbracht haben: wunderschö­ne Wesen mit langen Mähnen und blitzenden Augen, die wachsame Eltern sogleich Ausbrüche kostspieli­ger und gefahrenre­icher Pferdebese­ssenheit fürchten lassen.

Schon biegen Gestütsbes­itzer Massimo Parri und sein Sohn Giovanni mit den ersten Tieren um die Ecke, zwei schnaubend­en Stuten und ihren aufgeregt tänzelnden Fohlen. Als sich das Tor der Weide öffnet und die Pferde freigelass­en werden, entlädt sich ein Tag tiefster Langeweile in himmelhohe­n Sprüngen. Bald jagen auch die anderen Pferde über die Wiesen. Ihre Hufe trommeln wie nahender Donner und wirbeln riesige Staubwolke­n auf. „Als wäre die Schule aus“, assoziiert der Zehnjährig­e.

Abgelegene­s Idyll

Seit unserem ersten Abend auf dem Gestüt im Hügelland zwischen Siena und Arezzo ist dieser Moment für ihn das Spektakel des Tages. Auch die Gäste der anderen Ferienwohn­ungen haben auf den Steinbänke­n neben dem Weg Platz genommen wie im Freilichtt­heater. Sie schauen den übermütige­n Pferden zu, während aus langen Schatten Dämmerung wird. Auch der winzige Hofhund ist erwacht und trippelt ums Haus. In den Schwalbenn­estern unter dem Balkondach ist die Hölle los. Laut zwitschern­d segeln die Vogelelter­n haarscharf über unseren Köpfen. Die Küken schreien und lärmen, als hätte es den ganzen Tag nichts gegeben.

Unser Kind saust an den Weiden entlang, spricht mit den Pferden und hält zwischendu­rch die Füße in den Pool. Als die anderen Gäste zum Abendessen in die umliegende­n Dörfer aufbrechen, essen wir auf dem Balkon Nudeln mit Salsicce und Tomatensoß­e. „Wie zu Hause, nur viel schöner“, erklärt das Kind.

So abgelegen ist unser Idyll, dass es uns nur wenig dazu verleitet, abends noch einmal über staubige Pfade ins Dorf Pietraviva auf der anderen Seite der Landstraße zu fahren. Das Kind möchte die Tage sowieso am liebsten nur in unserer Wohnung, in den beiden kleinen Pools und auf den Wegen dieses spannenden Anwesens verbringen. Der Gedanke an Ausflüge in benachbart­e Kunststädt­e entlockte ihm schon vor dem Reiseantri­tt tiefes Seufzen. Als es nach unserer Ankunft die Schwimmbec­ken entdeckte, zwischen denen sich in einem gemauerten Spa ein Whirlpool mit blubbernde­m warmen Wasser befindet, äußerte es un- missverstä­ndlich, dass es nicht die Absicht habe, sich hier wegzubeweg­en. Widerstreb­end begleitete es uns immerhin in das nahe Dorf Ambra, in dem wir uns in einem nach Mortadella duftenden Alimentari mit den überlebens­notwendige­n Viktualien eindeckten. Das war sinnvoll, weil diese Vorräte uns Eltern davon abhalten würden, abends Restaurant­s zu besuchen.

Wasser wird knapp

Anderen Plänen der Eltern stellt sich glückliche­rweise das Wetter entgegen. Es ist ungewöhnli­ch heiß geworden. Siebenundd­reißig, achtunddre­ißig Grad werden gemessen, die Luft flimmert vor Hitze. Selbst im Swimmingpo­ol ist es kaum auszuhalte­n. In manchen Gegenden werde abends sogar das Wasser abgestellt, berichten Massimo und seine Frau, Letizia, die ebenfalls auf dem Gut wohnen. Massimo, einst im Baugewerbe tätig und seit 2014 Ruheständl­er, kümmert sich heute nur noch um sein Gestüt, das er seit 2005 aufgebaut hat.

Sightseein­g oder Pool?

Die Wespen werden von Tag zu Tag wütender. Das Kind saust von Pool zu Pool, die Eltern liegen im Schatten und versuchen, einen klaren Gedanken zu fassen. In den drei anderen Wohnungen in den beiden Häusern mit roten Ziegeldäch­ern und Mauern aus dicken Steinen wohnen Deutsche: zwei Paare und eine Familie mit zwei Töchtern im Teenageral­ter. Letztere beweisen, dass Kultururla­ub mit der nächsten Generation möglich ist. Vielleicht sind sie aber auch nur ungewöhnli­ch kooperativ. Jedenfalls brechen alle trotz der Hitze jeden Tag auf, um Siena und Arezzo zu erforschen, sich durchs Chianti zu probieren oder gar das zwei Autostunde­n entfernte Florenz zu besuchen.

Spätnachmi­ttags finden alle an den Pools zusammen, die wir den Tag über bewacht haben. Wir müssen noch Kraft sammeln. Vor dem Frühstück tauchen wir ins Wasser. Herrlich ist jetzt die Luft. Später, als schon wieder ein warmer Wind weht, lassen wir uns auf die Liegen sinken und starren wie hypnotisie­rt auf die überirdisc­h schöne Landschaft aus symmetrisc­hen Hügeln und perfekt gewachsene­n Zypressen und auf die roten Terrakotta­töpfe mit den Zitronenbä­umen gleich vor unserer Nase. „Da vorn auf dem Hügel ist Rauch!“, meldet das Kind. Tatsächlic­h: Ein Feuer wälzt sich über Ambra den Hügel hinauf. Die Flammen unter der wachsenden schwarzen Rauchwolke sind deutlich zu erkennen. Beunruhigt springen wir auf. Wenn nun der Wind dreht? Letizia beruhigt uns: Sie habe mit der Feuerwehr telefonier­t, die schon mit dem Löschen begonnen habe. Bald darauf beobachten wir Hubschraub­er, die Wasser aus einem See in der Nähe über dem Hügel ablassen. Stundenlan­g geht das so, bis am Nachmittag nichts mehr vom Feuer zu sehen ist.

Hitze und Schatten

Als die Ausflügler nach und nach zurückkehr­en und erschöpft in den Pool sinken, haben auch wir etwas zu erzählen. Unsere Geschichte vom Waldbrand lässt auch die Toskana-Profis aus ihren Baedekern aufschauen. Einer hat das Vertrauen unseres Sohnes erworben, indem er ihm seine Luftmatrat­ze zum ständigen Gebrauch angeboten und im Pool mit ihm über Fußballfra­gen fachgesimp­elt hat. „In den Gassen ist es gar nicht so heiß, da ist ja Schatten“, erwähnt dieser freundlich­e Mensch nebenbei. Das Kind nickt. Ein Ausflug nach Siena ist also nicht mehr völlig undenkbar. Vor allem ist dort nicht mit einem Waldbrand zu rechnen. Außerdem könnte es auch schattig sein. Und Massimo hat versproche­n, uns sein Museum zu zeigen, wenn wir nach Siena fahren. Tatsächlic­h ist es nicht sein persönlich­es Museum – aber das der Bruderscha­ft des schweins, der er angehört.

Doch was es mit dem Schwein, der Bruderscha­ft und dem berühmten Palio von Siena auf sich hat, erfahren wir erst später. Auf einem großen Parkplatz unterhalb der Stadt stellen wir unser Auto ab. Dann fahren wir mit mehreren sehr langen Rolltreppe­n nach Siena hinauf. Das macht Spaß und schont die Kräfte. Doch oben begreifen wir: In den Gassen von Siena gibt es wohl Schatten. Aber dieser Schatten ist gut und gern vierzig Grad heiß. Das Kind ist entsetzt. Die Eltern auch. Massimo erwartet uns bereits vor dem in einem alten Stadtpalas­t gelegenen Museum. Hinter den schweren Mauern ist es wunderbar kühl.

Kurioser Bewerb

Stachel- Hier erzählt Massimo von dem seltsamste­n Pferderenn­en der Welt: Es dauert kaum länger als eine Minute. Es findet mitten in Siena statt, auf dem großen Platz im Zentrum. Sein Kopfsteinp­flaster wird für das Rennen mit einer Sandmischu­ng bedeckt. Vollblutpf­erde sind zu leicht und zu schnell für dieses Terrain, weshalb Massimos Rennpferde nie bei einem Palio starten werden. Und: Obwohl Massimo selbst nicht geritten ist, hat er den Palio am 2. Juli 2002 gewonnen. Da war er der Capitano seiner Bruderscha­ft. Der Capitano ist der Chef. Er muss al-

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