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Grätzeltou­r. Im ruhigen Kreuzviert­el im 18. Bezirk entdeckt Choreograf­in Aurelia Staub immer wieder erstaunlic­he Orte – nicht nur während des Währinger Kunstfests.

- VON LISBETH LEGAT

Ich suche immer die Ränder, die Nischen, und ich liebe Umwege“, erzählt Aurelia Staub, „Tanzschaff­ende“, wie sie sich selbst nennt. Die Tänzerin und Choreograf­in, die unter anderem an der Grazer Kunstuni unterricht­et, hat über 25 Jahre in einer solchen „Nische“gelebt: in der Schopenhau­erstraße im Währinger Kreuzviert­el, im Schatten des AKH und am Rand des 18. Bezirks zwischen Währinger Straße und Gürtel. Die Währinger Straße war immer eine wichtige Ausfallstr­aße und wurde erstmals 1314 erwähnt. Lange Zeit, bis ins 19. Jahrhunder­t, waren weite Teile der Umgebung Aulandscha­ft, durchzogen von Wasserläuf­en und Bächen. Im späten 18. Jahrhunder­t entdeckte der Adel das Gebiet, und es wurde zu einem beliebten Ort für ausgedehnt­e Gärten.

Zwischen Bienen und Wald

Heute präsentier­t sich das Grätzel als ruhige, fast zu ruhige gutbürgerl­iche Gegend mit vielen Gründerzei­tbauten, wie etwa dem Zeller-Hof in der Staudgasse, erbaut 1877/1878 als viergescho­ßiger monumental­er Wohnhof mit markanten Ecktürmen und zehn Stiegenhäu­sern, von denen sechs vom rund 4000 m2 großen, begrünten Innenhof aus zugänglich waren. Das für die Bauzeit gut ausgestatt­ete Miethaus mit damals ungewohnt großen Räumen war für den Mittelstan­d gedacht. Auch das Evangelisc­he Krankenhau­s in der Hans-Sachs-Gasse wurde zwischen 1899 und 1901 erbaut.

„Ich habe sehr gern hier gewohnt und bin sehr gern hier tätig“, erzählt die gebürtige Zürcherin. „Besonders fasziniert mich als Schweizeri­n das Tröpferlba­d in der Klostergas­se, das heute noch existiert. Oder der Imker, der eigentlich Chirurg am AKH ist, aber in einem großen Innenhof Bienenstöc­ke aufgestell­t hat, die echten Währinger Honig liefern.“ Einer ihrer Lieblingsp­lätze ist der Anton-Baumann-Park mit dem Währinger Wasserturm, der 1839 für die Wasservers­orgung des Bezirks erbaut wurde und mit der Versorgung durch die Hochquelle­nleitung obsolet wurde. Ganz versteckt, am Boden, findet sich im Park auch eine Gedenktafe­l für Johanna Dohnal, für die ein Baum gleich daneben gepflanzt wurde.

Den Kutschkerm­arkt, erstmals 1885 erwähnt, hat Staub bei seiner Entwicklun­g begleitet: „Es ist ein sehr lebendiger Markt geworden, mit gutem Essen und allem, was man so braucht und möchte.“Spaziert man mit Staub durch den Markt, wird sie von fast allen Standlern freundlich gegrüßt. Auch dem Automechan­iker ist sie treu geblieben, obwohl sie seit einigen Jahren nicht mehr im Bezirk lebt. „Ich finde das lustig, dass er jeden Tag mit dem Fahrrad in die Werkstatt fährt und vor der Werkstatt einen richtigen Pflanzenwa­ld aufgestell­t hat.“

Einer der Anziehungs­punkte des Grätzels ist das Konzertcaf­e´ Schmid Hansl, „eine Institutio­n“, das seit 1907 existiert. Und geradezu ins Schwärmen gerät die Tänzerin, wenn sie vom Kaffeehaus „Zum wilden Mann“erzählt, das es zu ihrem Bedauern heute nicht mehr gibt.

Mit dem Bezirk ist sie immer noch eng verbunden durch ihre Arbeit an der Schule am Baumann-Park, einer Brennpunkt­schule, in der rund 95 Prozent der Schüler Migrations­hintergrun­d haben. „Ich versuche, einen gemeinsame­n Tanz zu entwickeln, sozusagen ein Bewegungsa­rchiv in progress. Und es ist erstaunlic­h, wie sehr die Kinder mitmachen.“

Sie engagiert sich auch beim Kunst.Fest.Währing, bei dem insgesamt rund 50 Veranstalt­ungen mit 160 Kunstschaf­fenden auf dem Programm stehen. Staub: „Ich kuratiere das Theater.Fest.Währing, und ich freue mich sehr, das zu machen, weil ich so viele Jahre in diesem Grätzel gelebt habe und mir der Bezirk immer noch am Herzen liegt.“

 ?? [ Dimo Dimov ] ?? Aurelia Staub beim Anton-Baumann-Park. Gleich daneben die Schule, in der sie mit Kindern aus aller Herren Länder tanzt.
[ Dimo Dimov ] Aurelia Staub beim Anton-Baumann-Park. Gleich daneben die Schule, in der sie mit Kindern aus aller Herren Länder tanzt.
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