Pflege vor dem Kollaps
Noch funktioniert die Pflege in Österreich. Doch die Alterung der Bevölkerung könnte das System zum Kippen bringen.
Nach langem Tauziehen haben sich Bund und Länder am Freitag doch noch geeinigt: 340 Millionen Euro bekommen die Bundesländer dafür, dass der Pflegeregress, also der Zugriff auf das Vermögen der Pflegebedürftigen, wegfällt. Das ist weniger, als die Bundesländer wollten (nämlich 470 Mio. Euro), aber doch deutlich mehr als die 100 Mio., die der Finanzminister ursprünglich zu zahlen bereit war. Damit ist zumindest kurzfristig ein Problem im Bereich Pflege bereinigt – langfristig stehen bei dem Thema aber etliche Herausforderungen an.
1 Wie viele Pflegebedürftige gibt es, und was gibt der Staat dafür aus?
Wer mehr als 65 Stunden Pflegebedarf pro Monat nachweisen kann, bekommt Pflegegeld zwischen 157 Euro (Stufe 1) und 1688 Euro (Stufe 7) im Monat. Derzeit beziehen 458.000 Personen Pflegegeld des Bundes, die meisten davon in den Stufen eins und zwei. Intensiveren Betreuungsaufwand gibt es ab Stufe 4 – und das betrifft immerhin noch 146.000 Personen. Seit 1996 sind die Ausgaben dafür von 1,3 auf 2,6 Milliarden Euro gestiegen, was vor allem auf den Zuwachs an Pflegebedürftigen zurückzuführen ist. Denn eine Erhöhung gab es in diesem Zeitraum nur dreimal, und die blieb unter der Inflationsrate. 16 Prozent aller Pflegegeldbezieher werden stationär betreut, zwei Prozent im Rahmen einer 24-Stunden-Pflege zu Hause. Bund, Länder und Gemeinden zahlen auch da noch kräftig mit. Vor Abschaffung des Pflegeregresses beliefen sich die öffentlichen Ausgaben für Pflege in Summe auf 4,6 Milliarden Euro.
2 Welche Entwicklungen zeichnen sich ab?
Wir werden alle älter. Was für den Einzelnen positiv ist, könnte das Pflegesystem in absehbarer Zeit an den Rand der Finanzierbarkeit führen. Konkret: Während derzeit 435.000 Menschen in Österreich leben, die älter als 80 sind, wird diese Bevölkerungsgruppe im Jahr 2044 die Millionengrenze überschreiten. Derzeit beziehen knapp mehr als die Hälfte der über 80-Jährigen Pflegegeld. Dazu kommt eine weitere Entwicklung: Noch wird der überwiegende Teil der Pflege- und Hilfsleistungen von Angehörigen – meist Frauen – erbracht. Doch das wird sich nicht auf Dauer fortsetzen: Die Berufstätigkeit von Frauen steigt, familiäre Bindungen nehmen ab.
Was das alles für die Pflege bedeutet? Genau lässt sich das nicht prognostizieren, auch weil noch weitere Faktoren dazukommen. Zum Beispiel: Bedeutet die höhere Lebenserwartung, dass wir mehr gesunde oder ein Mehr an gesundheitlich beeinträchtigten Jahren vor uns haben werden? Eine Frage, die auch eng mit gesundheitspolitischen Weichenstellungen zusammenhängt.
Ebenso ist offen, in welcher Form Pflegeleistungen erbracht werden. Die Abschaffung des Regresses stellt gerade die Weichen in Richtung stationärer Pflege: Die ist auf einmal in vielen Fällen attraktiver geworden als die 24-Stunden-Pflege zu Hause. Letztere beruht zudem oft auf Ausbeutung der Pfle- gerinnen – in vielen Fällen Helferinnen aus Osteuropa. Ob für diese das Geschäftsmodell nach der nun geplanten Indexierung der Familienbeihilfe noch attraktiv ist, wird sich zeigen. Gesundheitspolitisch ist die Aufstockung der Pflegeheimplätze aber genau der falsche Weg: Das ist die teuerste Form der Pflege.
3 Wie lässt sich Pflege langfristig finanzieren?
Manches lässt sich durch kluge gesundheitspolitische Weichenstellungen abfangen – klar ist aber, dass wir in Zukunft mehr Mittel für Pflege ausgeben müssen. Und damit wird sich mittelfristig die Frage stellen, ob das mit dem derzeitigen Modell, der Finanzierung über Steuern, noch möglich sein wird. Die Sozialdemokraten präferieren die Einführung einer für die Pflege zweckgewidmeten Erbschaftssteuer. ÖVP und FPÖ haben noch keine Präferenz erkennen lassen. Möglich wäre aber eine Pflegeversicherung – entweder staatlich über die Lohnnebenkosten oder privat über den Weg einer Versicherungspflicht.