„Nulldefizit keine Kunst“
Renate Brauner. Mit Michael Häupl tritt auch seine politische Weggefährtin ab. Die scheidende Finanzstadträtin (SPÖ) über späte Einsichten, ihren neuen Job und die „böse Legende“vom 1. Mai.
Renate Brauner, scheidende Wiener Finanzstadträtin, im Interview.
Die Presse: „Beraterin für Daseinsvorsorge klingt ein wenig wie Daseinsvorsorge für die Beraterin“, hat Armin Wolf getwittert. Ist Ihr neuer Job ein Versorgungsposten? Renate Brauner: Nein. Ich habe in den letzten Jahren gesehen, dass bei der Schnittstelle Wirtschaft und Internationales etwas fehlt. Alle reden davon, dass wir die lebenswerteste Stadt der Welt sind, aber niemand darüber, welche Stadttechnologien und Unternehmen dahinterstehen. Ich glaube, dass wir unseren Standort besser verkaufen können.
Was genau soll man verkaufen? Es geht einerseits darum, das Wiener Modell der starken, leistbaren, öffentlichen Infrastruktur politisch zu festigen und vermarkten. Andererseits um die dahinterstehenden Firmen, also Wiener Arbeitsplätze.
Der Rechnungshof hat oft die Wiener PR-Ausgaben kritisiert. Jetzt gibt es noch mehr davon? Es geht bei dieser Aufgabe überhaupt nicht um PR.
Wo werden Sie angedockt sein? An der Schnittstelle der betroffenen Einrichtungen. Details werden noch geklärt.
Noch sind Sie in Ihrem alten Job. Ab 2020 soll es keine Neuverschuldung geben. Wird das klappen? Natürlich.
Weil Christian Kern so gerne um Weinflaschen wettet – würden Sie wetten? Um ein Wiener Budget wettet man nicht.
Der Ausstieg aus den Frankenkrediten – war das Ihre letzte Tat oder der beste Zeitpunkt? Weder noch. Es war Ergebnis unserer beschlossenen Strategie.
Können Sie erklären, warum die Stadt sagt, sie hätte einen Gewinn aus dem Kredit? Das ist absurd. Wir haben nie von Gewinn gesprochen, sondern von einem Vorteil, wenn man vergleicht, wie viel es gekostet hätte, hätten wir die Kredite damals in Schilling bzw. in Euro aufgenommen.
Entscheidend ist der Durchschnittskurs, zu dem die Kredite aufgenommen wurden. Warum nennt man den nicht? Wie gesagt, der Vorteil ergibt sich aus den günstigeren Verzinsung der Frankenkredite im Vergleich zu Euro und Schilling. Der Wechselkurs wird erst bei der Konvertierung in Euro schlagend. Das haben wir ab 2015 gemacht und selbstverständlich stehen Kurse und Zinsen im Finanzschuldenbericht.
Die Wirtschaft wächst, wäre es nicht gut, jetzt zu sparen? Das tun wir auch. Wir haben eine große Strukturreform mit vielen Maßnahmen, die zwar unspektakulär ausschauen, aber bis 2020 sparen wir eine halbe Milliarde.
Wegen der SPÖ-Interna ist zuletzt nicht viel weitergegangen. Doch, schon. Etwa in meiner Innovationsgruppe „Deregulierung und Vereinfachung“, auch die KAV-Reform ist fertig. Übrigens: Ein Nulldefizit ist technisch gesehen keine Kunst. Ich bräuchte nur den Gratiskindergarten streichen. Da haben wir uns aber politisch aus guten Gründen dagegen entschieden.
Gibt es eine Entscheidung, die Sie bereuen? In der Verwaltung haben wir immer nur an einzelnen Schrauben gedreht. Im Nachhinein betrachtet, hätten wir mit unserem den ganzen Magistrat umfassenden Projekt „Wien neu denken“früher beginnen sollen.
Bereuen Sie, die falschen Personen gefördert zu haben? Frauenförderung war mein Job und mein Prinzip. Natürlich habe ich mir dadurch viele männliche Feinde gemacht. Die Führungsrie- ge in den Rathausabteilungen ist heute weiblicher als vor 20 Jahren. Das ist schon auch mein Verdienst.
Wann wird Wien eine Bürgermeisterin haben? Der neue Bürgermeister wird gerade jetzt gewählt. Aber immerhin war die Geschlechterparität in der Regierung selbstverständlich.
Michael Ludwig hat vorab gesagt, das sei nicht in Stein gemeißelt. Da wurde er missverstanden.
Die „Krone“hat Sie wegen Ihrer Reisen kritisiert – es gab viele Fotos in Ballroben. Michael Ludwig hat Sie nicht verteidigt. Waren Sie gekränkt? Es gab in einigen Medien Berichte, die meiner Figur und Kleidung viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. So etwas liest man über Männer nicht. Zu Herzen genommen habe ich es mir nicht, aber da ist jede anders. Mehr Sorgen macht mir, dass solche Artikel die negative Meinung über Politiker verstärken, dass die alle nix hackeln, in der Welt herumfahren und Champagner schlürfen. Bei meinen Reisen ging es in erster Linie um Standortpräsentation. Generell untergräbt so eine Darstellung von Politik die Parteiendemokratie.
Haben Sie sich einmal gefragt, warum Sie so aufregen? Das ist nicht bei allen Politikerinnen so. Ich glaube, das passiert vor allem deklarierten Feministinnen.
Die SPÖ rechnet sich stets große Chancen bei Wählern mit Migra- tionshintergrund aus. Bei denen kommt prononcierter Feminismus nicht immer gut an. Das stimmt so pauschal nicht. Und es gibt Fragen jenseits von Strategie. Frauenrechte sind Menschenrechte und damit unteilbar. Wir haben trotzdem in dieser Gruppe große Zuwächse.
Ihre Partei debattiert über ein Kopftuchverbot in Kindergarten und Volksschule. Sind Sie dafür? Tatsache ist, wir wollen kein Kopftuch bei Kindern. Die Frage ist nur, ob ein Verbot rechtlich möglich ist.
Wäre Andreas Schieder Bürgermeister geworden, müssten Sie Ihr Büro jetzt nicht räumen. Wie ist es, einen Kampf zu verlieren? Auch Andi Schieder hat einen Generationenwechsel angekündigt. Ich bin seit 25 Jahren dabei und in der Politik hast du ein Ablaufdatum. Aber ich bin ja weiter da: nicht als Gemeinderätin, aber als Frauenvorsitzende und stellvertretende Parteivorsitzende.
Im neuen Job werden Sie in Brüssel für die Daseinsvorsorge bzw. gegen Privatisierung kommunaler Betriebe lobbyieren. Da werden Sie Werner Faymann treffen. Er lobbyiert für Wohnbau. Wunderbar. Mit dem habe ich in der SJ super zusammengearbeitet.
Und dann kam der 1. Mai 2016. Ja, das war einer der schrecklichsten Momente meines Leben. Ich stand dort oben und dachte, mir kommen die Tränen. Alles andere ist eine böse Legende.