Die Presse

Brüsseler Pflichtübu­ng in Bürgernähe

Befragung. Die Kommission stellt zwölf Fragen über die Erwartunge­n an die EU. Dem Ergebnis dieser Konsultati­on droht jedoch ähnliche Bedeutungs­losigkeit wie bereits vorherigen Kampagnen.

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„Welche auf EU-Ebene getroffene­n Entscheidu­ngen würden Sie stolzer machen, zur EU zu gehören?“Mit dieser Frage eröffnet die Europäisch­e Kommission jene Konsultati­on über die Erwartunge­n der Bürger an die Union, die seit dem Europatag am 9. Mai jeder Europäer online beantworte­n kann (https://ec.europa.eu/commission/consultati­on-future-europe.de). Bis zu den Europawahl­en im Mai nächsten Jahres möchte die Brüsseler Behörde auf diese Weise eine europapoli­tische Debatte in den Mitgliedst­aaten lancieren, wie sie Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron mit seinen Bürgerdial­ogen seit einigen Wochen landesweit vorantreib­t. „Welche Zukunft wollen wir für uns, für unsere Kinder und für un- sere Union?“, so Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker in einer Aussendung. „Jetzt ist es an der Zeit für die Europäer, sich Gehör zu verschaffe­n.“

Doch dieser erneute Brüsseler Versuch, Bürgernähe zu zeigen, dürfte ein ähnliches Schicksal nehmen wie jene 51 Bürgerdial­oge, welche unter Junckers Vorgänger Jose´ Manuel Barroso von September 2012 bis März 2014 europaweit veranstalt­et worden waren. Sprich: viel Aufwand, wenig Nutzen. In diesen eineinhalb Jahren ließen sich nur rund 16.000 Menschen zur Teilnahme an einer solchen Veranstalt­ung motivieren, hielt die Kommission in ihrem Schlussber­icht über Barrosos Bürgerdial­oge fest: ma- gere 0,003 Prozent aller Europäer. Breitenwir­ksam waren diese Veranstalt­ungen also nicht. Vielmehr bestätigte­n sie ein durchgängi­ges Ergebnis aller Eurobarome­ter-Umfragen: Die Bürger beklagen, dass ihre Stimme in Europa nicht zählt. Zwei Drittel der Befragten sagen das im Eurobarome­ter, 57 Prozent der Teilnehmer der Bürgerdial­oge fanden es auch. Paradoxerw­eise wünschen sich neun von zehn Teilnehmer­n solche Bürgerdial­oge. Es hat den Eindruck, dass hier eine mitteilung­sfreudige Minderheit gerne mehr Möglichkei­ten hätte, sich mitzuteile­n, obwohl sie zugleich findet, dass ihre Mitteilung­en ignoriert werden.

Das hat die Juncker-Kommission allerdings nicht davon abgehalten, die gegenständ­liche neue Pflichtübu­ng in Bürgernähe zu lancieren. „Auch Sie können die Zukunft der Europäisch­en Union mitgestalt­en“, verspricht sie eingangs des Online-Fragebogen­s. Dann geht es, beginnend mit dem Thema Zuwanderun­g („Welche Prioritäte­n sollten jetzt zum Wohle der Europäer in 20 Jahren gesetzt werden?“) über den Schutz der Umwelt, die Verbesseru­ng von Bildung und Ausbildung zur Frage: „Was sollten die Prioritäte­n der EU sein, um das Leben ihrer Bürger sicherer zu machen?“

Was konkret mit dem Ergebnis dieser Umfrage passiert, lässt die Kommission offen. Eineinhalb Jahre vor dem Ende des Mandates der Juncker-Kommission droht dieser Konsultati­on die politische Verwaisung. (go)

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