Die Presse

Etwas ist faul in Amerika: Die Menschen oder die Zahlen?

Den Amerikaner­n reichen 1,4 Millionen Dollar, um sich wohlzufühl­en. Gut zu wissen. Nur 40 Prozent der Amerikaner sieht Sinn in „harter Arbeit“.

- VON NIKOLAUS JILCH E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

Reicher als reich. So enden die Gewinner der Euro-MillionenL­otterie. Das wissen wir aus der Werbung. Aber was ist mit dem Rest von uns? Wie stehen die LottoVerli­erer da? Wie fühlen sich die normalen Leute? Und wo ziehen sie die Grenze zwischen Armut und Reichtum im eigenen Kopf? Jedes Jahr sucht der US-Finanzdien­stleister Charles Schwab die Antwort auf diese sehr subjektive Frage für seinen „Modern Wealth Index“. Das Ergebnis: Der durchschni­ttliche Amerikaner hätte gern ein Nettovermö­gen von 2,4 Millionen Dollar, um sich reich zu fühlen. Und 1,4 Millionen reichen, um sich wohlzufühl­en. Im Vorjahr stand diese Zahl noch bei 1,2 Millionen. Soll niemand sagen, es gäbe keine Inflation! Freilich: Mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich erst dann wohl, wenn Zeit für die Familie bleibt. Und gerade die jungen Amerikaner sehen auch den Zugang zu Netflix und Amazon als etwas an, das ihnen subjektiv „Wohlstand“gibt.

49 Prozent der Befragten sagt, dass Sparen und Investiere­n der „Schlüssel zum Wohlstand“sind, 40 Prozent setzen auf „harte Arbeit“. Hier werden langsam die Probleme mit solchen Umfragen sichtbar. In welcher Welt leben die Amerikaner, dass nur 40 Prozent einen Sinn in „harter Arbeit“sehen? Warum will weniger als die Hälfte der Amerikaner Sparen und Investiere­n? Und seit wann sind Sparen und Investiere­n dasselbe?

Die Antwort: Charles Schwab will natürlich, dass die Amis ihr Geld anlegen, um es „arbeiten“zu lassen. Und seit die Zinsen immer niedriger sind, muss man immer höheres Risiko bei Investment­s fahren. Das ist in den USA nicht anders als in Europa. Nur, dass bei uns viele eisern am Sparbuch festhalten – auch wenn es dort noch lange keine Zinsen gibt. Ja, auch hierzuland­e sinkt die Sparquote – aber die Österreich­er haben noch nicht aufgegeben. In den USA sparen 20 Prozent der Menschen keinen Cent mehr. Weil sie von Gehaltssch­eck zu Gehaltssch­eck leben. 65 Prozent der Amerikaner legen maximal zehn Pro- zent des Jahreseink­ommens beiseite, wie aktuelle Zahlen einer anderen Umfrage zeigen.

Es scheint, als würden die Amerikaner trotz niedriger Arbeitslos­igkeit, wachsenden Löhnen und hoher Zuversicht ihre eigenen Sparziele total verfehlen. Selbst jene 49 Prozent, die gern mehr sparen würden. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum die Wohlfühlsu­mme binnen eines Jahres um 200.000 Dollar gestiegen ist. Man hat immer weniger und wünscht sich immer mehr. Etwas ist faul in Amerika. Sind es die Menschen? Die Zahlen? Oder kann es sein, dass der Boom noch immer nicht bei den Leuten ankommt?

Newspapers in German

Newspapers from Austria