Im Museumsquartier rasen die Sterne, Moleküle und Zahlen
Wiener Festwochen II. Ein schwindliges Spiel mit wissenschaftlichen Visualisierungen aus unterschiedlichsten Größenordnungen: Die Installation „micro0macro“– bis 17. Juni in der Halle E des Museumsquartiers – ist erlebenswert. Das Geraune im Programmheft wird ihr kaum gerecht.
„Planck Time“steht klein am Rand des Teppichs, den man nur ohne Schuhe betreten darf, daneben rasen die Ziffern. Es piepst dramatisch. M ansteigt au fein Koordinatensystem, das sich zu wölben scheint, wie in Verbildlichungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Ein paar Minuten später bilden sich Sternbilder – oder, halt, sind das nicht eher Molekülmodelle? Die Dreibuchstabenkombinationen sprechen dafür: Ala, Arg, Asn, Asp usw. usf., das steht für die Aminosäuren, aus denen die Proteine, diese Agenten des Lebens, zusammengesetzt sind. Doch was bedeuten die Zahlen, die dazu unablässig schwirren? Wieso kommen jetzt Chromosomen ins Spiel? Und wie passt dieses Geschehen auf dem Boden zu dem an der Wand, wo man etwa Bilder der Sonne zu sehen meint? Alles geht hier so schnell . . .
Wird hier eine Geschichte der Welt in zehn Minuten – so lang dauert eine Schleife dieser Installation – erzählt? Eine naturwis- senschaftliche Schöpfungsgeschichte sozusagen? Der Schöpfer dieser Installation, der 52-jährige japanische Künstler und Komponist Ryoji Ikeda, habe „dafür komplexe physikalische Theorien in Zusammenarbeit mit Kernforscher*innen des Cern in eine sinnliche Erfahrung übersetzt“, steht im Programmheft. Nun, das ist Kuratorengeraune: Jede Visualisierung wissenschaftlicher Modelle übersetzt diese in sinnliche Erfahrung.
Ikeda hat allerdings aus solchen Visualisierungen eine fesselnde Installation gemacht, die zum Sinnieren anregt. Auch weil sie unterschiedliche Formen der Visualisierung mischt und miteinander konfrontiert, und zwar gar nicht so systematisch, wie es das Programmheft behauptet: In der Bodenprojektion „the planck universe [micro]“werde „die natürliche Welt der Planck-Skala (10– 35 m) auf einen menschlichen Maßstab übertragen“, steht dort, die Wandprojektion „the planck universe [macro]“zeige dagegen „die natürliche Welt als eine vom menschlichen Maßstab auf einen kosmischen Maß- stab (10– 26 m) transformierte“. Vom verzeihlichen Vorzeichenfehler abgesehen – das wird dem, was man sieht, nicht gerecht. Auf dem Boden sowie an der Wand verschwimmen vielmehr die Größenbereiche des offenbar Dargestellten so rasant, dass einem zusätzlich zum Schwindel, den die schnellen Projektionen und die wabernden Sounds auslösen, sozusagen auch noch metaphysisch schwindlig wird, und das ist schön so.
Am Ende legt sich der Schwindel: Dann sieht man rollende Billardkugeln, die man wohl als Repräsentanten des Größenbereichs betrachten darf, in dem die klassische Mechanik gilt. Dann kann man aufatmen, die Schuhe wieder anziehen – oder, besser: sich die Installation abermals ansehen, vielleicht von einem anderen Standpunkt aus, etwa von der Galerie. Es zahlt sich aus.
Noch ein Rat: Man gehe mit einem weißen Notizblock über den Teppich. Erstens wirkt das immer gut, zweitens sieht man auf ihm Farben, die man sonst nicht sieht; Physiker können sicher erklären, wieso.