„Man kann ihn nicht greifen“Der Mythos vom hässlichen König
Film. Regisseur Hüseyin Tabak hat seinen Kindheitstraum verwirklicht und Aktivist Yilmaz Güney, seinem großen Idol, ein filmisches Denkmal gesetzt.
Es ist schwer zu glauben, hat sich aber 1982 tatsächlich so abgespielt. Der türkisch-kurdische Regisseur und Aktivist Yilmaz Güney war gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen und befand sich auf der Flucht, als sein aus der Haftzelle heraus dirigierter Film „Yol“(„Der Weg“) sensationellerweise die Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes gewann. Und Güney wäre nicht Güney, hätte er die Auszeichnung nicht höchstpersönlich abgeholt – als gejagter Häftling, der wegen eines Tötungsdelikts 1974 zu einer 24-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Neben seinen Dutzenden Filmen und seinem politischen Engagement sind es Episoden wie diese, die den Mythos um den „hässlichen König“, wie ihn seine Fans nennen, begründet haben. Ein Mythos, der in der Türkei allgegenwärtig ist. Der in Adana geborene und 1984 in Frankreich an Magenkrebs verstorbene Filmemacher ist dort nach wie vor ein – wenngleich nicht unumstrittener – Superstar.
In dem Dokumentarfilm „Die Legende vom hässlichen König“(seit Freitag im Kino) begibt sich nun der deutschtürkische Filmemacher Hüseyin Tabak, der die Filmakademie in Wien absolviert und 2014 mit seinem Drama „Deine Schönheit ist nichts wert“bei den Österreichischen Filmpreisen abgeräumt hat, auf eine komplexe Spurensuche. Wobei Tabak kein Geheimnis daraus macht, nicht nur ein Fan, sondern geradezu besessen von Güney zu sein – eine Voraussetzung, die dem Streifen nicht immer guttut.
Zu dominant und spürbar ist Tabaks Verehrung von Güney. Was Michael Haneke schon vor dem Dreh zu ahnen scheint. „Die Filme von Güney sind die Essenz des Lebens“, warnt er gleich zu Beginn der Doku seinen Filmakademieschüler. Diese Thematik sei nicht leicht für die Kinoleinwand umzusetzen. Und das war sie auch nicht, arbeitete Tabak doch über viele Jahre an seinem Projekt, bekam in der Zwischenzeit zwei Kinder und drehte zwei Spielfilme.
Die ursprüngliche Idee, sich nur dem Filmemacher Güney zu nähern, wuchs sich bald auf die gesamte Person aus, was das Unterfangen nicht einfacher machte. „Man kann ihn nicht greifen. Dazu ist er ein zu vielschichtiger Mensch“, sagt Tabak, der das Bild eines Menschen zeichnet, der zugleich sanft wie brutal, kämpferisch wie herzlich, ein großer Rhetoriker wie ein Filmstar war. Am Ende hatte der 36-Jährige 110 Stunden Filmmaterial und dafür eine schier unermessliche Zahl an Zeitzeugen, Ehefrauen und Schauspielern vor die Kamera geholt.
Tabak lässt Regisseur Constantin Costa Gavras und Frankreichs Ex-Kulturminister Jack Lang ebenso zu Wort kommen wie die Familie oder Zellengenossen des Filmemachers, der insgesamt 13 Jahre in türkischen Gefängnissen gesessen hat, 1981 ins französische Exil geflohen ist – nach einem bis dahin ausgesprochen bewegten Leben voller Wendungen. Güney war umjubelter Schauspieler in mehr als 100 Filmen (zeitweise drehte er sogar mehrere Filme zugleich, besuchte dafür zwei Filmsets an einem Tag), stieg zum Mainstreamstar auf, bevor er sich hin zu einem sozialkritischen Kino bewegte.
Nach dem Totschlag an einem Richter nach einem Streit – die Umstände sind nicht ganz klar, Tabaks Film deutet ein Versehen und keine Tötungsabsicht an – erfolgte die Verurteilung. Dort schrieb er aus seiner Zelle heraus Drehbücher, die dann von Mitarbeitern (nach seinen Anweisungen) verfilmt wurden. Wobei er wegen seines enormen Einflusses das Gefängnis auch immer wieder verlassen durfte, um Freunde zu treffen. Selbst Restaurant- und Kinobesuche ließen ihm die Wärter durchgehen.
„Es war mir wichtig, ihm nicht nur ein Heldendenkmal zu setzen“, sagt Tabak. Er stellt als Rechercheur den roten Faden dar, während die Interviews mit Filmszenen aus Güneys Werk quergeschnitten sind, das bis heute an Filmhochschulen auf der ganzen Welt gelehrt und von jungen Regisseuren seziert und nachgeahmt wird.
Auch deshalb ist Güney für Tabak „das letzte Beispiel dafür, warum in der Türkei angesehene Künstler seit Jahrzehnten kontrolliert und im Zaun gehalten werden, nicht nur unter der jetzigen Regierung, sondern auch unter den vorangegangenen“. Güney habe gezeigt, wie man mit Filmen einen Klassenkampf herbeiführen und befeuern könne. Besonders deutlich sei diese Kontrolle bei Erstlingswerken von Jungregisseuren zu sehen, die oft „hart und gut“seien. „Aber ab dem zweiten Film stehen sie unter Beobachtung, weswegen wir im türkischen Kino statt sozialkritischer Filme zumeist romantische Komödien sehen.“