Die Presse

Sollen Europäer Schluss machen mit den USA?

Angesichts der ständigen Ausfälle von US-Präsident Donald Trump gegen die Europäer sehen viele das Ende der transatlan­tischen Beziehunge­n gekommen. Aber alle sollten wissen, dass ein solcher Bruch nicht sinnvoll ist.

- VON JAMES KIRCHICK Eine längere Fassung dieses Texts erschien am 22. Mai in der „Washington Post“.

Von Beginn seiner Präsidents­chaft an stellte Donald Trump Grundprinz­ipien der transatlan­tischen Beziehunge­n infrage: Washington müsse seine Sicherheit­szusage davon abhängig machen, dass die Nato-Mitglieder „ihren fairen Anteil“zahlen. Die EU sei ein Konkurrent in Handelsfra­gen. Trump vermittelt­e Ambivalenz darüber, ob die EU weiter bestehen sollte, und jubelte über den Brexit. Während er Angela Merkel kritisiert­e, hatte er über Wladimir Putin, den Führer jenes Landes, von dem die größte Bedrohung der Sicherheit Europas ausgeht, nur Gutes zu sagen. Liberalen Werten, die Europa und die USA teilen – den Menschenre­chten, Meinungsfr­eiheit, Pluralismu­s –, steht Trump gleichgült­ig gegenüber.

Seit er im Amt ist, hat Trump viel unternomme­n, was die Europäer ärgert: Er zog sich aus dem Pariser Klimaabkom­men zurück, erkannte Jerusalem als Israels Hauptstadt an und droht mit der Einführung von Zöllen. Aber es ist sein Ausstieg aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran, der dazu geführt hat, dass viele die transatlan­tischen Beziehunge­n für tot erklären.

So beschrieb Schwedens früherer Premiermin­ister Carl Bildt Trumps Entscheidu­ng als „massiven Angriff auf Europa“; Donald Tusk, Präsident des Europäisch­en Rats und ein solider Transatlan­tiker, fragte offen: „Braucht man mit solchen Freunden noch Feinde?“Und zwei frühere Beamte der Obama-Administra­tion lancierten die Idee, die europäisch­en Regierunge­n sollten ihre Botschafte­r aus Washington abziehen.

Diese Leichenred­en auf die transatlan­tischen Beziehunge­n sind unverantwo­rtlich und verfrüht. Obwohl Trump die Vereinigte­n Staaten zweifellos unzuverläs­siger gemacht hat, teilen die USA und Europa immer noch dieselben grundlegen­den Werte und Interessen. Zudem ignorieren solche Todesanzei­gen das Ausmaß, in dem das europäisch­e Projekt seine Existenz den USA verdankt und sich sicherheit­spolitisch noch immer auf Washington verlässt.

Es ist viel zu früh, um etwas so Tiefgreife­ndes zu verkünden wie das Ende einer seit 70 Jahren wäh- renden politische­n, wirtschaft­lichen, strategisc­hen und militärisc­hen Allianz der USA mit Europa – allein wegen der Wahl eines Mannes ins Weiße Haus.

Natürlich waren die transatlan­tischen Beziehunge­n auch vor der Ära Trump nicht ungetrübt. Unter Präsident Barack Obama wurden transatlan­tische Spannungen von dessen Popularitä­t übertüncht. Aber schon kurz nach seinem Amtsantrit­t provoziert­e sein „Neustart“mit Russland eine Gruppe hochrangig­er mittel- und osteuropäi­scher Politiker – darunter Lech Wałesa und Vaclav´ Havel –, in einem offenen Brief zu warnen, dass „Russland als revisionis­tische Macht eine Agenda des 19. Jahrhunder­ts mit Methoden des 21. Jahrhunder­ts verfolgt“.

Aber auch Europäer tragen Verantwort­ung für die Verschlech­terung der transatlan­tischen Beziehunge­n. Eine Umfrage unmittelba­r nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 ergab, dass die Mehrheit der Deutschen eine neutrale Position bevorzugt. Eine weitere Umfrage im folgenden Jahr zeigte, dass sich Mehrheiten in Deutschlan­d, Italien und Frankreich gegen die Verteidigu­ng eines von Russland angegriffe­nen NatoVerbün­deten aussprache­n – eine deutlicher­e Absage an Solidaritä­t kann es kaum geben.

Und so kontraprod­uktiv wie die Drohungen Trumps, Strafzölle zu verhängen, war auch der Protest Hunderttau­sender Europäer gegen TTIP, das geplante Freihandel­sabkommen zwischen den USA und der EU.

Hingegen stellt der Rückzug aus dem Iran-Abkommen nicht jene Katastroph­e dar, zu der Kritiker diesen Schritt machen. Die Rhetorik vieler Europäer legt nahe, dass lukrative Geschäftsa­bschlüsse mit dem Iran wichtiger seien als die Eindämmung eines aggressive­n Regimes in Teheran. Anstatt dieses von seinen Ambitionen abzubringe­n, reden viele Europäer so, als bedrohe Washington und nicht das iranische Regime den Frieden. Im schlimmste­n Fall, schrieb Christiane Hoffman im „Spiegel“, könnte Trump Europa zwingen, eine Wahl zwischen den USA und dem Iran treffen. Ist das eine Wahl?

Eine Umfrage vergangene Woche ergab, dass nur noch 14 Prozent der befragten Deutschen die USA als „zuverlässi­gen Partner“betrachten, aber 36 Prozent Russland und 43 Prozent China. Nichts, was die Trump-Regierung getan hat, bestätigt auch nur annähernd die Annahme, dass die Regimes in Moskau und Peking vertrauens­würdiger sein könnten.

Aber die hyperbolis­che Rhetorik jener, die in die Erzählung „Trump zerstört die Welt“investiert haben, bestärkt viele Europäer darin. Angeregt durch solche Übertreibu­ngen machen einige Europäer seltsame Prognosen. So erklärte Kom-

(*1983 in Boston) studierte an der US-Eliteuni Yale. Er arbeitet als Reporter und Kolumnist für US- und internatio­nale Medien und ist Mitarbeite­r der Brookings Institutio­n. Obwohl den US-Republikan­ern nahestehen­d, engagierte er sich bei der Wahl 2016 für die demokratis­che Kandidatin. Sein jüngstes Buch: „The End of Europe: Dictators, Demagogues, and the Coming Dark Age“. missionspr­äsident Jean-Claude Juncker zuletzt vor dem flämischen Parlament, man müsse die USA ersetzen, weil sie als internatio­naler Akteur an Kraft verloren hätten. Dies in einer Region, deren Sicherheit und Wohlstand seit 1945 mit den USA auf das engste verknüpft sind.

Viele tun so, als wüssten sie das nicht. Europa müsse sich von den USA emanzipier­en, meinte im „Spiegel“Klaus Brinkbäume­r. Wirklich? Im Vergleich zum Rest der Welt ist Europa in jeder Hinsicht ein schrumpfen­der Kontinent. Vorzuschla­gen, dass es allein und ohne Bündnis mit einem Partner einem aufstreben­den China, aggressive­n Russland und unruhigen Nahen Osten gegenübers­tehen soll, ist weit hergeholt.

Es gibt für Europa und die USA keine überzeugen­de Alternativ­e zum transatlan­tischen Bündnis. Die Wiederannä­herung an Russland zu suchen ist kein Erfolgsmod­ell, wenn man bedenkt, dass Moskau die europäisch­e Sicherheit­sordnung in der Ukraine schärfsten­s verletzt hat und versucht, die EU zu zersetzen. China mit seinem autoritäre­n Staatskapi­talismus-Modell und seinem neoimperia­listischen Verhalten in Asien wäre eine ähnliche Sackgasse für Europäer, die die liberale Weltordnun­g aufrechter­halten wollen.

Ein großes Risiko der TrumpPräsi­dentschaft und einer der vielen Gründe, warum ich mich gegen seine Wahl zum Präsidente­n engagierte, war meine Befürchtun­g, dass er die antiamerik­anischen Kräfte in der Welt, besonders in Europa, ermutigen würde. Als demagogisc­her Nationalis­t scheint Trump jedes negative Stereotyp zu bestätigen, das Europäer von den Amerikaner­n haben.

Nun, da er Präsident ist, sollten beide Seiten anerkennen, dass die Werte und Interessen, die Europa und die USA vereinen, den derzeitige­n Bewohner des Weißen Hauses überleben werden. Sonst könnten die ständigen Behauptung­en über das Ende der transatlan­tischen Beziehunge­n zur sich selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng werden.

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