Sollen Europäer Schluss machen mit den USA?
Angesichts der ständigen Ausfälle von US-Präsident Donald Trump gegen die Europäer sehen viele das Ende der transatlantischen Beziehungen gekommen. Aber alle sollten wissen, dass ein solcher Bruch nicht sinnvoll ist.
Von Beginn seiner Präsidentschaft an stellte Donald Trump Grundprinzipien der transatlantischen Beziehungen infrage: Washington müsse seine Sicherheitszusage davon abhängig machen, dass die Nato-Mitglieder „ihren fairen Anteil“zahlen. Die EU sei ein Konkurrent in Handelsfragen. Trump vermittelte Ambivalenz darüber, ob die EU weiter bestehen sollte, und jubelte über den Brexit. Während er Angela Merkel kritisierte, hatte er über Wladimir Putin, den Führer jenes Landes, von dem die größte Bedrohung der Sicherheit Europas ausgeht, nur Gutes zu sagen. Liberalen Werten, die Europa und die USA teilen – den Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Pluralismus –, steht Trump gleichgültig gegenüber.
Seit er im Amt ist, hat Trump viel unternommen, was die Europäer ärgert: Er zog sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurück, erkannte Jerusalem als Israels Hauptstadt an und droht mit der Einführung von Zöllen. Aber es ist sein Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran, der dazu geführt hat, dass viele die transatlantischen Beziehungen für tot erklären.
So beschrieb Schwedens früherer Premierminister Carl Bildt Trumps Entscheidung als „massiven Angriff auf Europa“; Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats und ein solider Transatlantiker, fragte offen: „Braucht man mit solchen Freunden noch Feinde?“Und zwei frühere Beamte der Obama-Administration lancierten die Idee, die europäischen Regierungen sollten ihre Botschafter aus Washington abziehen.
Diese Leichenreden auf die transatlantischen Beziehungen sind unverantwortlich und verfrüht. Obwohl Trump die Vereinigten Staaten zweifellos unzuverlässiger gemacht hat, teilen die USA und Europa immer noch dieselben grundlegenden Werte und Interessen. Zudem ignorieren solche Todesanzeigen das Ausmaß, in dem das europäische Projekt seine Existenz den USA verdankt und sich sicherheitspolitisch noch immer auf Washington verlässt.
Es ist viel zu früh, um etwas so Tiefgreifendes zu verkünden wie das Ende einer seit 70 Jahren wäh- renden politischen, wirtschaftlichen, strategischen und militärischen Allianz der USA mit Europa – allein wegen der Wahl eines Mannes ins Weiße Haus.
Natürlich waren die transatlantischen Beziehungen auch vor der Ära Trump nicht ungetrübt. Unter Präsident Barack Obama wurden transatlantische Spannungen von dessen Popularität übertüncht. Aber schon kurz nach seinem Amtsantritt provozierte sein „Neustart“mit Russland eine Gruppe hochrangiger mittel- und osteuropäischer Politiker – darunter Lech Wałesa und Vaclav´ Havel –, in einem offenen Brief zu warnen, dass „Russland als revisionistische Macht eine Agenda des 19. Jahrhunderts mit Methoden des 21. Jahrhunderts verfolgt“.
Aber auch Europäer tragen Verantwortung für die Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen. Eine Umfrage unmittelbar nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 ergab, dass die Mehrheit der Deutschen eine neutrale Position bevorzugt. Eine weitere Umfrage im folgenden Jahr zeigte, dass sich Mehrheiten in Deutschland, Italien und Frankreich gegen die Verteidigung eines von Russland angegriffenen NatoVerbündeten aussprachen – eine deutlichere Absage an Solidarität kann es kaum geben.
Und so kontraproduktiv wie die Drohungen Trumps, Strafzölle zu verhängen, war auch der Protest Hunderttausender Europäer gegen TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU.
Hingegen stellt der Rückzug aus dem Iran-Abkommen nicht jene Katastrophe dar, zu der Kritiker diesen Schritt machen. Die Rhetorik vieler Europäer legt nahe, dass lukrative Geschäftsabschlüsse mit dem Iran wichtiger seien als die Eindämmung eines aggressiven Regimes in Teheran. Anstatt dieses von seinen Ambitionen abzubringen, reden viele Europäer so, als bedrohe Washington und nicht das iranische Regime den Frieden. Im schlimmsten Fall, schrieb Christiane Hoffman im „Spiegel“, könnte Trump Europa zwingen, eine Wahl zwischen den USA und dem Iran treffen. Ist das eine Wahl?
Eine Umfrage vergangene Woche ergab, dass nur noch 14 Prozent der befragten Deutschen die USA als „zuverlässigen Partner“betrachten, aber 36 Prozent Russland und 43 Prozent China. Nichts, was die Trump-Regierung getan hat, bestätigt auch nur annähernd die Annahme, dass die Regimes in Moskau und Peking vertrauenswürdiger sein könnten.
Aber die hyperbolische Rhetorik jener, die in die Erzählung „Trump zerstört die Welt“investiert haben, bestärkt viele Europäer darin. Angeregt durch solche Übertreibungen machen einige Europäer seltsame Prognosen. So erklärte Kom-
(*1983 in Boston) studierte an der US-Eliteuni Yale. Er arbeitet als Reporter und Kolumnist für US- und internationale Medien und ist Mitarbeiter der Brookings Institution. Obwohl den US-Republikanern nahestehend, engagierte er sich bei der Wahl 2016 für die demokratische Kandidatin. Sein jüngstes Buch: „The End of Europe: Dictators, Demagogues, and the Coming Dark Age“. missionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt vor dem flämischen Parlament, man müsse die USA ersetzen, weil sie als internationaler Akteur an Kraft verloren hätten. Dies in einer Region, deren Sicherheit und Wohlstand seit 1945 mit den USA auf das engste verknüpft sind.
Viele tun so, als wüssten sie das nicht. Europa müsse sich von den USA emanzipieren, meinte im „Spiegel“Klaus Brinkbäumer. Wirklich? Im Vergleich zum Rest der Welt ist Europa in jeder Hinsicht ein schrumpfender Kontinent. Vorzuschlagen, dass es allein und ohne Bündnis mit einem Partner einem aufstrebenden China, aggressiven Russland und unruhigen Nahen Osten gegenüberstehen soll, ist weit hergeholt.
Es gibt für Europa und die USA keine überzeugende Alternative zum transatlantischen Bündnis. Die Wiederannäherung an Russland zu suchen ist kein Erfolgsmodell, wenn man bedenkt, dass Moskau die europäische Sicherheitsordnung in der Ukraine schärfstens verletzt hat und versucht, die EU zu zersetzen. China mit seinem autoritären Staatskapitalismus-Modell und seinem neoimperialistischen Verhalten in Asien wäre eine ähnliche Sackgasse für Europäer, die die liberale Weltordnung aufrechterhalten wollen.
Ein großes Risiko der TrumpPräsidentschaft und einer der vielen Gründe, warum ich mich gegen seine Wahl zum Präsidenten engagierte, war meine Befürchtung, dass er die antiamerikanischen Kräfte in der Welt, besonders in Europa, ermutigen würde. Als demagogischer Nationalist scheint Trump jedes negative Stereotyp zu bestätigen, das Europäer von den Amerikanern haben.
Nun, da er Präsident ist, sollten beide Seiten anerkennen, dass die Werte und Interessen, die Europa und die USA vereinen, den derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses überleben werden. Sonst könnten die ständigen Behauptungen über das Ende der transatlantischen Beziehungen zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.