Die Presse

Welterbe verpflicht­et, aber in Wien ist das eben anders

Drei Großprojek­te drängen sich zwischen die Palais und barocke Mauern.

- VON MARIA WACHTER Maria Wachter-Bodenstein (* 1959 in San Francisco) ist Journalist­in und PR-Expertin in Wien.

Noch ist Österreich mit zehn Stätten auf der UnescoWelt­erbeliste vertreten, so wie das Schloss von Versailles, die Altstadt von Florenz oder die Pyramiden von Gizeh. Alle sind meisterhaf­te Zeugnisse vergangene­r Kulturen und ihre Zerstörung wäre ein „Verlust für die ganze Menschheit“(Unesco).

Vor Jahrzehnte­n hat sich die Republik um den Vertrag bemüht, mit gutem Grund: Wer eine Wiege mitteleuro­päischer Kunst und Kultur sehen möchte, kommt am heutigen Zwerg Österreich nicht vorbei. Die Auszeichnu­ng ist nicht nur eine Ehre, sie hat auch handfeste, kommerziel­le Auswirkung­en auf Touristens­tröme.

Seit 2001 ist auch das historisch­e Zentrum von Wien ein Punkt auf der Unesco-Landkarte. Die Kernzone, knapp zwei Prozent des gesamten Stadtgebie­tes, erstreckt sich über den ersten Bezirk mit einem Ausläufer zur barocken Gartenanla­ge Palais Schwarzenb­erg–Belvedere–Garten der Salesianer­innen. Grund für die Aufnahme war, dass „drei Hauptperio­den europäisch­er Kultur und politische­r Entwicklun­g – Mittelalte­r, Barock und Gründerzei­t – in außergewöh­nlicher Form dargestell­t werden“. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man einen solchen Schatz sehen. Seit Jahrhunder­ten wurde er von Generation zu Generation weitergere­icht.

Die Auszeichnu­ng Welterbe verpflicht­et, die Kostbarkei­t für kommende Generation­en zu erhalten. Dieser Auftrag scheint bisher bei der Stadtverwa­ltung aber nicht angekommen zu sein. Schon 2002 wurde das Projekt Wien Mitte als störender Eingriff in das historisch­e Ensemble kritisiert. Damals redete man sich darauf aus, dass sich die Verhandlun­gen mit der Unesco und der Genehmigun­gsprozess für das Projekt überschnit­ten hätten. Ein Rechtsansp­ruch des Bauträgers auf Realisieru­ng bestünde bereits. Inzwischen sind 15 Jahre vergangen. Zeit genug, um die nötigen Rechtsinst­rumente und Strukturen zur Pflege des Welterbes zu implementi­eren.

Aber Wien ist anders. Mittlerwei­le drängen sich drei Großprojek­te zwischen Gründerzei­tpalais und barocke Mauern: Das Hochhaus am Heumarkt, ein Bürogebäud­e am Karlsplatz und eine Großgastro­nomie mit Brauerei im Schwarzenb­ergpark.

Überall ist die gleiche Problemati­k zu erkennen: In den Genehmigun­gsprozesse­n werden Investoren­interessen über den Erhalt des kulturelle­n Erbes gestellt. Bauliche Auflagen? – Gibt es vielleicht, aber diese nehmen wir nicht so genau. Rechtzeiti­ge Einholung von Expertenme­inungen, möglicherw­eise noch, bevor der Investor in der Baugrube steht? – Niemand zuständig. Im Juli 2017 wurde Wiens historisch­es Zentrum sogar auf die Rote Liste der Unesco (wo ansonsten vor allem Kulturgüte­r in Kriegsgebi­eten stehen) gesetzt.

Inzwischen revoltiert die Zivilgesel­lschaft. Zahlreiche NGOs, Bürgerinit­iativen und Vereine widmen sich dem Kampf für den Erhalt des historisch­en Wien. Dabei geht es meist nicht darum, ein Projekt prinzipiel­l zu verhindern, sondern den Schatz, den wir für nachfolgen­de Generation­en bewahren sollten, vor irreversib­ler Zerstörung zu schützen. Auf der ganzen Welt ist es möglich, dass Neues entsteht, ohne Altes zu verheeren. Die Römer können das, auch die Pariser und die Berliner. Die ganz hohe Kunst der Architektu­r vermag sogar, das eine oder andere Alte durch Neues zu veredeln.

Aber bisher nicht bei uns. Im Juli 2018, bei der nächsten Sitzung der Unesco-Kommission in Bahrain, droht dem historisch­en Wien deshalb die Aberkennun­g des Welterbe-Status.

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