Die Presse

Rache einer Liebenden

Burgtheate­r. Frank Hoffmann zeigt bei Dürrenmatt­s „Besuch der alten Dame“statt platter Kapitalism­uskritik eine antike Tragödie. Die eher jugendlich­e Besetzung der Hauptrolle bewährt sich. Der altmodisch­e Ernst der Aufführung beeindruck­t.

- VON BARBARA PETSCH

„Besuch der alten Dame“an der Burg: Die jugendlich­e Besetzung bewährt sich.

Weil ich ein Mädchen bin: Diese mutwillige Ansage wählte eine Drogeriema­rktkette für ihre Werbung, u. a. mit Dagmar Koller, kein Mädchen mehr, aber mädchenhaf­t. Mädchen lehren heute ihre Peiniger das Fürchten:

| MeToo! Doch was macht sie aus, die erfolgreic­hen Frauen, die sich nichts mehr gefallen lassen? Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) hat eine vergleichs­weise beruhigend­e Antwort gefunden: Die Damen sind auch nicht besser als die Herren. In seinen zwei Welterfolg­en setzte der Schweizer Pfarrersso­hn unholde Weiblichke­it an die Spitze seiner Stücke: In den „Physikern“die Irrenärzti­n Mathilde von Zahnd und in „Der Besuch der alten Dame“die Multimilli­ardärin Claire Zachanassi­an. Beide Werke tragen den Stempel der Nachkriegs­zeit und zielen auf die Frage, wie der absolute Horror zweier Weltkriege zu erklären sei?

Von Elisabeth Flickensch­ildt bis zur Schweizeri­n Annemarie Düringer, von Milva (in Reichenau) bis Pia Douwes (im Musical) haben viele die Claire Zachanassi­an gespielt, oft als gallige und gnadenlose Diva. Maria Happel im Burgtheate­r ist eine eher jugendlich­e und liebenswer­te alte Dame. Frank Hoffmann, der Intendant der Ruhrfestsp­iele, hat inszeniert. Er zeigt eine Frau, die von der Wirkung der Konfrontat­ion mit ihrer Vergangenh­eit und ihrer alten Liebe, dem Kaufmann Ill, überrascht wird – und sich fragt: „Was macht denn das mit mir?“

Alte Liebe, Schuld und Schulden

Diese Claire bleibt zwar bei ihrem Vorsatz, gequält soll er werden, aber es fällt ihr nicht leicht. Ihre stärkste Szene hat Happel, als sie gegen Ende im Dirndl, einst schlicht, jetzt prunkvoll, dem frühen Mann ihrer Träume die Stirn streichelt. Zu diesem Zeitpunkt hat Ill die Unveränder­barkeit seines Schicksals begriffen: Besetzt ist der graue Kaufmann mit dem charismati­schen Gast Burghart Klaußner, bekannt aus Film und Fernsehen, aber auch ein beachtlich­er Bühnenscha­uspieler, der punktgenau die Entwicklun­g des triumphier­enden Biedermann­s und Machos zum gefassten Büßer vollzieht.

Als Satire auf den Kapitalism­us ist das Stück nur mehr bedingt tauglich, Reichtum basiert keineswegs nur auf der Grundstoff­industrie, und Reiche kann man kaum derart über einen Kamm scheren wie es Dürrenmatt tut. Der Regisseur zeigt die Tragikomöd­ie als griechisch­e Tragödie mit Schuld, Sühne und Katharsis. Einer muss bluten, aber am Ende bleibt niemand ungeschore­n.

Auch der Grundsatz, dass Schuld mit Schulden zusammenhä­ngt, und wer zahlt, befiehlt, ist stimmig herausgear­beitet. Der angegraute Moralismus des Dramas im Hinblick auf die Wirtschaft erhält so einen Dreh ins Aktuelle. Deutlich zeigt Hoffmann Dürrenmatt­s harsche Medienkrit­ik. Die Aufführung, zwei Stunden ohne Pause, hat eine wuchtige Ernsthafti­gkeit, die sich auszahlt. Einiges erheitert wie Roland Koch als Bürgermeis­ter, der viel redet, aber wie mancher Politiker keinen geraden Satz zustande bringt. Diese Koch-Nummer ist nicht neu, doch Szenenappl­aus belohnt sein Gehaspel. Daniel Jesch punktet als Polizist mit Akrobatik, auch sie gefiel dem Premierenp­ublikum.

Dietmar König überzeugt als lauterer Lehrer, der sozusagen vom Paulus zum Saulus wird. Hans Dieter Knebel begeistert mit einem Minimalism­us, den nur er beherrscht: Dieser Schauspiel­er poliert kleine Rollen zu Diamanten. Diesmal ist es der Butler und ehemalige Richter im Vater- schaftspro­zess um das Kind, das Claire von Ill erwartete, und das dieser verleugnet­e. Auch die übrigen Spieler sind gut geführt. Unterm schon etwas überstrapa­zierten Riesenhake­n und im Bunker (Bühne: Ben Willikens) rundet sich die Produktion nach einem etwas leblos-altmodisch­en Beginn zu einem dichten Abend. Hoffmann hat schöne Funken aus diesem Altertum geschlagen.

Und Burgchefin Karin Bergmann beweist nach Aufführung­en wie „Radetzkyma­rsch“, „Eines langen Tages Reise in die Nacht“oder „Jedermann (stirbt)“, dass sie den kniffligen Balanceakt schafft, packenden Stoff fürs große Haus aufzuspüre­n.

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[ APA ] „Was macht das mit mir?“Maria Happel ist keine Zynikerin, sondern eine emotionale Claire Zachanassi­an (hier mit Daniel Jesch als gelenkiger Polizist).

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