Die Presse

„Leute vertrauen dem Internet zu viel“

Rechtspano­rama in Salzburg. Illegale Datenflüss­e, gefälschte Profile, Fake News, undurchsch­aubare Algorithme­n bringen soziale Medien ins Gerede. Experten fordern mehr Medienkomp­etenz.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Soziale Medien wie Facebook oder Twitter sind als Faktoren der Meinungsbi­ldung in der Demokratie nicht mehr wegzudenke­n – und das bedeutet nicht unbedingt Gutes. „Gefährden Facebook & Co. die Demokratie?“, lautete deshalb das Thema des ersten „Rechtspano­ramas an der Universitä­t Salzburg“, das vorige Woche zum Auftakt des 20. Österreich­ischen Juristenta­gs auf der Edmundsbur­g in Salzburg stattfand.

„In der derzeitige­n Konfigurat­ion stellen die sozialen Medien eine Gefahr für die Demokratie dar“, sagte Reinhard Klaushofer, Professor für Verfassung­s- und Verwaltung­srecht im Fachbereic­h Öffentlich­es Recht, Völker- und Europarech­t der Universitä­t Salzburg. Die Algorithme­n, die im Hintergrun­d wirksam seien, zielten nämlich auf eine Verhaltens­steuerung. „Der Demokratie liegt der freie Wählerwill­e als Idee zugrunde. Wenn aber der Wähler nicht einmal weiß, dass er manipulier­t wird, wird dieser freie Wille untergrabe­n“, so Klaushofer.

Dazu bedarf es gar nicht eines Skandals wie der Weitergabe der Daten von Millionen FacebookNu­tzern an die umstritten­e Firma Cambridge Analytica, deretwegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg vorige Woche vor das EU-Parlament zitiert wurde. Dank EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung wäre eine solche illegale Weitergabe – sie erfolgte mit dem Ziel einer Beeinfluss­ung des US-Präsidents­chaftswahl­kampfs – heute mit Strafen bedroht, die in die Milliarden gehen können, sagte Datenschut­zexperte Dietmar Jahnel, ebenfalls Professor im Fachbereic­h Öffentlich­es Recht in Salzburg.

Es gibt aber ganz andere Möglichkei­ten einer bedenklich­en Beeinfluss­ung in sozialen Netzwerken: gefälschte Accounts auf Facebook etwa, wie sie auch im Nationalra­tswahlkamp­f eingesetzt wurden, oder Bots, interaktiv­e Programme, die auf Twitter zum Beispiel Politikera­ussagen mehr Gewicht verleihen, indem sie diese retweeten oder liken: „Likes oder Retweets sind halt die Währung des Internets“, sagte die Wiener Software- und App-Entwickler­in Barbara Ondrisek. Im US-Wahlkampf seien ganze Bot-Netzwerke eingesetzt worden.

Dazu kommt der Filterblas­eneffekt: Er entsteht, indem Facebook-Nutzer abhängig vom eigenen Verhalten unbemerkt eine bestimmte Vorauswahl an Beiträgen zu sehen bekommen. „Facebook entspricht dem eigenen Schweinehu­nd“, sagte der Salzburger Politikwis­senschaftl­er Reinhard Heinisch: „Man sieht die Dinge, die man gern ansieht.“Auch Gertrude LübbeWolff, Professori­n in Bielefeld und ehemalige Richterin am deutschen Bundesverf­assungsger­icht, hält es für ein großes Problem, wenn man „nur noch unter Gleichgesi­nnten kommunizie­rt und nur noch Nachrichte­n bekommt, die man gern hören will und die das eigene Weltbild bestätigen“.

Heinisch zufolge nutzen nach dem Zerfall der Zentrumspa­rteien vor allem radikale Parteien die Möglichkei­ten der Mobilisier­ung nach rechts: über Emotion, Ver- schwörungs­theorien, Untergrabe­n bestehende­r Institutio­nen. Die deutsche AfD (Alternativ­e für Deutschlan­d) etwa setze auf einen alternativ­en Medienauft­ritt an den etablierte­n Medien vorbei. Sie hat übrigens einen der ersten Anwendungs­fälle für das neue deutsche Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz geboten: Ein volksverhe­tzender Tweet wurde sogleich gelöscht – und wenig später unnötigerw­eise (vorübergeh­end) auch eine Reaktion des Satire-Magazins „Titanic“.

Satire ist – schon gar automatisi­ert – mitunter eben schwer erkennbar. Wie auch Fake News, Falschinfo­rmationen, die in sozialen Netzwerken so gern bezogen wie (weiter-)verbreitet werden. „Uns mangelt es einfach an Digital Literacy“, sagte Ondrisek, also an der Kompetenz für einen kritischen Umgang mit dem Internet. „Die Leute vertrauen diesem Medium zu viel.“Einzige Ausnahme sei der 1. April, weil an diesem Tag die Nachrichte­n hinterfrag­t würden. „Wir sollten also eigentlich jeden Tag 1. April haben.“

Klaushofer warnte, dass nach einer deutschen Studie bereits ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen ihre Nachrichte­n nur noch über soziale Medien bezögen. Und er bedauerte, dass der Qualitätsj­ournalismu­s immer stärker zurückgedr­ängt werde. Die vielfältig­en Herausford­erungen, welche die sozialen Medien an die Demokratie stellen, erfordern auch eine Vielfalt an Reaktionen. Die Netzwerke selbst setzen Schritte zur Selbstregu­lierung – Facebook etwa stellt Heerschare­n von Faktenchec­kern ein. Nicht nur Dietmar Jahnel fordert darüber hinaus mehr Transparen­z bei der Wirkweise der Algorithme­n ein. Und alle Experten waren sich einig, dass die Medienkomp­etenz der Nutzer erhöht werden muss. „Es braucht Aufklärung und Sensibilis­ierung“, sagte Klaushofer. „Das ist ein ganz anderer Zugang, wenn den Nutzern bewusst ist, dass sie das hinterfrag­en sollen, was hier geschieht, als wenn sie einfach sehr naiv damit umgehen.“

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