Die Presse

Domingo bereitet sich selbst Feste

Erst mit dem Auftritt von Vater Germont gewann die Aufführung der „Traviata“an Format: An der Seite des Doyens schärften auch Irina Lungu und Pavol Breslik ihr Profil.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Es hätte doch ein Fest für und mit Pla-´ cido Domingo, den ungekrönte­n Weltmeiste­r der Opernbühne, werden sollen. Das aber war am Samstag nur recht bedingt möglich, da an der Staatsoper (bereits zum 54. Mal) die hilf- und orientieru­ngslose Inszenieru­ng von Jean-Francois¸ Sivadier aus Aix-en-Provence gespielt wird, an der alles pseudo ist. Vorhänge, Tapeten, schlechte Bilder und Fetzen hängen herab, die Handlung stottert dahin.

Der Zufall ist der beste Regisseur. Im zweiten Bild hat auf Violettas Landgut das Stimmungsb­arometer Tiefstwert­e erreicht, nachdem das hellhörige Publikum Alfredos Cabaletta den Beifall versagt hatte und die Landlady wenig ausstrahlt­e, strömen plötzlich kostbare Töne aus der Kulisse: Das Timbre fasziniert wie immer, so auch Kontur, Charakter, Präzision und Präsenz – Vollprofi Placido´ Domingo ist wieder da, warum nicht auch als Bariton? Drei Auftritte als Giorgio Germont in dieser Wiener Saison; es gibt schließlic­h Verdi-Partien, die ihm weniger liegen. Germont P`ere ist keine Jünglingsr­olle, Fachkolleg­e Renato Bruson hat sie an der Volksoper auch noch 75-jährig bewältigt.

Keine Zwischenfr­agen nach 51 Jahren

Wie immer Domingos irdisches Leben gezählt werden mag, sein einzigarti­ges Bühnenlebe­n währt an der Staatsoper bereits 51 Jahre. Dieser wahrschein­lich musikalisc­h intelligen­teste Darsteller spürt und fühlt die Dramatik jeder Situation und die seiner Partner, ob er nun noch als Tenor denkt oder abgedunkel­t phrasiert – allein die Prägnanz seiner Diktion darf Mitbewerbe­r erblassen lassen. Es hätte wenig Sinn, über Tessitura, Volumen, mehr oder weniger Obertöne zu philosophi­eren: Die Stimme funktionie­rt auf ihre Art und Weise wunderbar – und darauf kommt es an!

Auf einem anderen Blatt steht freilich das langweilig­e Grau-in-Grau-Kostüm (kontrastlo­s zu Bart und Haaren). So sieht ein Banker aus, der um Kredite feilscht. Auch der Notentext verdiente natürlich etwas Beachtung: Die Cabaletta nach der „Leierkaste­n“-Arie wird (wie früher üblich) gestrichen – einfach so tun, als wäre da nix gewesen.

Domingo ist in seiner rezenten Bestform wieder on tour: Da verbieten Respekt und Dankbarkei­t, ihm vorzurechn­en, was dies- mal vielleicht weniger klappte. Das weiß er wohl selbst am besten, hoffentlic­h bevor er darangeht, sein eigenes Denkmal zu demolieren.

Domingo ist weiterhin ein Kassenmagn­et – und das Bühnenlebe­n erbarmungs­los: Was mag ein relativ junger Tenor wie Pavol Breslik denken, wenn er neben Domingo auf der Bühne steht? Immerhin sympathisc­h macht ihn, dass er gar nicht versucht, ein hohes C zu singen. Die wenig charakterv­olle Stimme lebt von schmelzlos­er Geradlinig­keit, zeigt sich so belastbar, ohne zu glänzen oder mitzureiße­n. Auch das braucht der Repertoire­betrieb. Ebenso wie das von gefälliger Routine beherrscht­e Dirigat von Marco Armiliato – da wird Verdis musikalisc­he Grammatik mehr buchstabie­rt als erlebt.

Eine derart durchwachs­ene „La Traviata“-Vorstellun­g verlangte nach einer umwerfende­n Präsentati­on der Titelparti­e. Die junge, attraktive Russin Irina Lungu kam dafür nur langsam in Fahrt – das erste Pariser Bild schleppte sich zur Gänze recht hölzern dahin, ehe Domingo später den Umschwung brachte. Lungus Visitenkar­te kann sich wahrlich sehen lassen, Domingos OperaliaWe­ttbewerb inklusive. Ihr anfänglich­er Hilfsgriff nach großzügige­n Portionen von Vibrato trug kaum zur Sicherheit bei, als wollte sie auch auf anderes Repertoire verwiesen haben. Das finale hohe Es gelang fast, aber eben nur fast.

Dann wurde der schlanke Sopran geschmeidi­ger und zeigte sich auch emotional belastbar. Als es um existenzie­lle Fragen der Liebe ging, bot sie Placido´ Domingo Paroli und vermochte sogar Pavol Breslik etwas mitzunehme­n. Weniger in der Mittellage als in innigen Höhen gelangen Irina Lungo berührende Piani im Finale. Das war doch fast große Oper.

 ?? [ Michael poehn] ?? Placido´ Domingo, nur dank der Regie grau in grau, doch stimmlich in Höchstform.
[ Michael poehn] Placido´ Domingo, nur dank der Regie grau in grau, doch stimmlich in Höchstform.

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