Domingo bereitet sich selbst Feste
Erst mit dem Auftritt von Vater Germont gewann die Aufführung der „Traviata“an Format: An der Seite des Doyens schärften auch Irina Lungu und Pavol Breslik ihr Profil.
Es hätte doch ein Fest für und mit Pla-´ cido Domingo, den ungekrönten Weltmeister der Opernbühne, werden sollen. Das aber war am Samstag nur recht bedingt möglich, da an der Staatsoper (bereits zum 54. Mal) die hilf- und orientierungslose Inszenierung von Jean-Francois¸ Sivadier aus Aix-en-Provence gespielt wird, an der alles pseudo ist. Vorhänge, Tapeten, schlechte Bilder und Fetzen hängen herab, die Handlung stottert dahin.
Der Zufall ist der beste Regisseur. Im zweiten Bild hat auf Violettas Landgut das Stimmungsbarometer Tiefstwerte erreicht, nachdem das hellhörige Publikum Alfredos Cabaletta den Beifall versagt hatte und die Landlady wenig ausstrahlte, strömen plötzlich kostbare Töne aus der Kulisse: Das Timbre fasziniert wie immer, so auch Kontur, Charakter, Präzision und Präsenz – Vollprofi Placido´ Domingo ist wieder da, warum nicht auch als Bariton? Drei Auftritte als Giorgio Germont in dieser Wiener Saison; es gibt schließlich Verdi-Partien, die ihm weniger liegen. Germont P`ere ist keine Jünglingsrolle, Fachkollege Renato Bruson hat sie an der Volksoper auch noch 75-jährig bewältigt.
Keine Zwischenfragen nach 51 Jahren
Wie immer Domingos irdisches Leben gezählt werden mag, sein einzigartiges Bühnenleben währt an der Staatsoper bereits 51 Jahre. Dieser wahrscheinlich musikalisch intelligenteste Darsteller spürt und fühlt die Dramatik jeder Situation und die seiner Partner, ob er nun noch als Tenor denkt oder abgedunkelt phrasiert – allein die Prägnanz seiner Diktion darf Mitbewerber erblassen lassen. Es hätte wenig Sinn, über Tessitura, Volumen, mehr oder weniger Obertöne zu philosophieren: Die Stimme funktioniert auf ihre Art und Weise wunderbar – und darauf kommt es an!
Auf einem anderen Blatt steht freilich das langweilige Grau-in-Grau-Kostüm (kontrastlos zu Bart und Haaren). So sieht ein Banker aus, der um Kredite feilscht. Auch der Notentext verdiente natürlich etwas Beachtung: Die Cabaletta nach der „Leierkasten“-Arie wird (wie früher üblich) gestrichen – einfach so tun, als wäre da nix gewesen.
Domingo ist in seiner rezenten Bestform wieder on tour: Da verbieten Respekt und Dankbarkeit, ihm vorzurechnen, was dies- mal vielleicht weniger klappte. Das weiß er wohl selbst am besten, hoffentlich bevor er darangeht, sein eigenes Denkmal zu demolieren.
Domingo ist weiterhin ein Kassenmagnet – und das Bühnenleben erbarmungslos: Was mag ein relativ junger Tenor wie Pavol Breslik denken, wenn er neben Domingo auf der Bühne steht? Immerhin sympathisch macht ihn, dass er gar nicht versucht, ein hohes C zu singen. Die wenig charaktervolle Stimme lebt von schmelzloser Geradlinigkeit, zeigt sich so belastbar, ohne zu glänzen oder mitzureißen. Auch das braucht der Repertoirebetrieb. Ebenso wie das von gefälliger Routine beherrschte Dirigat von Marco Armiliato – da wird Verdis musikalische Grammatik mehr buchstabiert als erlebt.
Eine derart durchwachsene „La Traviata“-Vorstellung verlangte nach einer umwerfenden Präsentation der Titelpartie. Die junge, attraktive Russin Irina Lungu kam dafür nur langsam in Fahrt – das erste Pariser Bild schleppte sich zur Gänze recht hölzern dahin, ehe Domingo später den Umschwung brachte. Lungus Visitenkarte kann sich wahrlich sehen lassen, Domingos OperaliaWettbewerb inklusive. Ihr anfänglicher Hilfsgriff nach großzügigen Portionen von Vibrato trug kaum zur Sicherheit bei, als wollte sie auch auf anderes Repertoire verwiesen haben. Das finale hohe Es gelang fast, aber eben nur fast.
Dann wurde der schlanke Sopran geschmeidiger und zeigte sich auch emotional belastbar. Als es um existenzielle Fragen der Liebe ging, bot sie Placido´ Domingo Paroli und vermochte sogar Pavol Breslik etwas mitzunehmen. Weniger in der Mittellage als in innigen Höhen gelangen Irina Lungo berührende Piani im Finale. Das war doch fast große Oper.