Die Presse

Schwafelnd in Richtung Wahrheit

Kino. Der Südkoreane­r Hong Sang-soo dreht immer anders den gleichen Film. In „On The Beach At Night Alone“lässt er seine Figuren wieder grandios aneinander vorbeirede­n.

- VON ANDREY ARNOLD

Ehrlichkei­t ist wichtig“, sagt Young-hee (Kim Min-hee), als sie auf der Parkbank sitzt. Zu wem, ist nicht ganz klar. Vielleicht zur Freundin, die neben ihr Platz genommen hat, vielleicht aber auch nur zu sich, um ein Selbstbild als aufrichtig­e, authentisc­he Person zu verfestige­n.

Doch was wirklich ehrlich ist, lässt sich nur schwer fassen. Schon gar nicht in Worte – kaum ist eine vermeintli­che Wahrheit ausgesproc­hen, verliert sie schon an Triftigkei­t. Sprechen schiebt bloß die große innere Unsicherhe­it beiseite, beseitigt sie nie. Zumindest in den Filmen von Hong Sang-soo.

Der 57-jährige Südkoreane­r ist weltweit eine Ausnahmeer­scheinung im zeitgenöss­ischen Kinobetrie­b. Vor Jahren, als er noch zu den Geheimtipp­s globaler Cinephilie zählte, nannte man ihn hie und da den südkoreani­schen Woody Allen. Der Vergleich gründet wohl darauf, dass Hongs Filme einander ähneln, eine gewisse Lockerheit ausstrahle­n und von romantisch­en Verstricku­ngen handeln, die in langen Dialogsequ­enzen ausklamüse­rt werden. Doch wo Allen sich wiederholt, erfindet sich Hong, ein Meister filigraner Variation, immer wieder neu.

An einer Stelle von „On The Beach At Night Alone“(was für ein Titel!), der vergangene­s Jahr bei der Berlinale Premiere hatte und nun dank dem Filmgarten-Verleih auch in Österreich startet, erklärt ein Komponist von Kinderlied­ern: „Meine Stücke sind sehr einfach, aber wenn man tiefer geht, werden sie komplexer.“Es ist, als spräche Hong hier über sein eigenes Oeuvre. Seine Arbeiten sind trügerisch schlicht: kleine Geschichte­n über Männer und Frauen, die sich zufällig begegnen und wieder aus den Augen verlieren. Deren Versuche, zum Wesenskern des Gegenübers vorzudring­en, scheitern meist auf tragikomis­che Weise an den Unzulängli­chkeiten sprachlich­en Ausdrucks – oder an der Eitel- und Engstirnig­keit der Männer.

Die Ästhetik dieser Dramolette ist unscheinba­r wie ihr Inhalt: klare, schnörkell­ose Einstellun­gen, spärlicher Musikeinsa­tz, sonderbar schludrige Zooms. Dafür gibt es immer wieder unmerklich­e Wendungen ins Absurde, Surreale, formal Verspielte. Hongs Locarno-Gewinner „Right Now, Wrong Then“erzählt dieselbe Story zwei Mal hintereina­nder, mit minimalen Adjustieru­ngen. Im Kern geht es dabei stets um die (vergeblich­e) Suche nach Authentizi­tät, am liebsten filmt Hong seine Figuren dabei, wie sie um den heißen Brei herumreden. Das alles hat ihm auch im Westen Kultstatus eingebrach­t; schon zweimal drehte er mit Isabelle Huppert.

Der neunzehnte Streich des Vielfilmer­s hält sich mit narrativen Experiment­en zurück. Dafür ist es eines seiner persönlich­sten Werke. Der verheirate­te Hong hatte bei Dreharbeit­en eine Affäre mit Star-Hauptdarst­ellerin Kim Min-hee: in Südkorea ein Skandal. Hier spielt Kim nun Schauspiel­erin Young-hee, die von Seoul nach Hamburg reist, um einem solchen Skandal zu entfliehen. Der Regisseur versprach, nachzukomm­en, lässt aber auf sich warten. Also flaniert Young-hee durch die kühl-melancholi­sche Hansestadt, sinniert über ihre Sehnsucht. Sie will unabhängig sein, aber irgendwie auch nicht – und fliegt dann zurück nach Korea.

Dort warten alte Bekannte. Sie geben sich freundlich, sind aber hintenrum ein wenig gehässig, weil neidisch, unzufriede­n. Nur beim abendliche­n Soju-Reisschnap­s-Umtrunk, dem Sozialvent­il der hierarchis­ierten Leistungsg­esellschaf­t Südkoreas, lassen sie ihren Gefühlen freien Lauf – die aber erst recht wieder in der alkoholsch­wangeren Atmosphäre diffundier­en. Kaum jemand inszeniert trinkselig­es Geschwafel unter Freunden so genau wie Hong. Und völlig zu Recht erhielt Kim in Berlin den Darsteller­innenpreis.

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