Wollen alle Katalanen sich von Spanien abspalten?
Die tiefe Ursache der Krise um Katalonien ist ein irrationaler und leidenschaftlicher Nationalismus auf beiden Seiten.
Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hat vor einer Woche das vom Präsidenten Kataloniens, Quim Torra, angebotene Gesprächsangebot abgelehnt. Begründung: Torra wolle in sein Kabinett vier Politiker aufnehmen, die sich entweder in spanischer Untersuchungshaft befinden oder als „Justizflüchtlinge“im Exil leben.
Man sieht sich jetzt in einer ähnlichen Lage wie im September 2017, als die Regierung Kataloniens ein verfassungswidriges Unabhängigkeitsreferendum durchführen wollte: Madrid schickte 10.000 Polizisten und die Guardia Civil. Sie konnten trotz ihres brutalen Einsatzes die Menschen nicht davon abhalten, an die Urnen zu gehen. Der spanische Verfassungsgerichtshof verbot vorsorglich eine Unabhängigkeitserklärung; die katalanische Regierung von Carles Puigdemont erließ daraufhin eine konfuse Absichtserklärung.
Später ordnete Rajoy die Verhängung einer Zwangsverwaltung an. Acht Minister der katalanischen Regierung und zwei bekannte Aktivisten wurden verhaftetet, und andere – wie Puigdemont selbst – flohen ins Ausland. Ende Dezember fanden dann Regionalwahlen statt, die die politische Landschaft aber nicht verändert haben: Die Hälfte der Stimmberechtigten wählte separatistische Parteien, die sofort den sogenannten „Prozess der Unabhängigkeit“wieder aufnahmen.
Der spanische Staat entstand 1469, zuerst als Personalunion von Castilla/Leon´ mit Aragonien (darunter die Grafschaft von Barcelona). Wie aber ist es möglich, dass mehr als 500 Jahren danach dieser gemeinsame Staat sich offenkundig aufzulösen beginnt?
Katalonien war schon 988 ein selbstständiges Staatsgebilde, nachdem der Graf von Barcelona dem fränkischen König keinen Treueeid mehr geleistet hatte. Die spätere dynastische Bindung Kataloniens (Grafschaft von Barcelona) an Aragonien war immer sehr locker. Das Spanien der katholischen Könige bestand eigentlich aus ziemlich autonomen Einheiten. Erst im Laufe der 17. und 18. Jahrhundert wurde der spanische Staat mit Gewalt und Krieg zentralisiert – und Katalonien verlor nach und nach seine Sonderstellung im spanischen Staatsverband. Bis sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Katalanen ihrer Kultur und nationalen Identität bewusst wurden.
Für die Mehrzahl der Spanisch sprechenden Spanier ist das Wort „Nation“ein Synonym für „Staat“. Für die Mehrzahl der Katalanisch sprechenden Spanier ist „Nation“ein historisch-kultureller Begriff, um ihre Identität als Volk zu bezeichnen. Ein Volk, das eine Kultursprache, eine Geschichte, ein Zivilrecht, ein öffentliches Recht, eine reife und reiche Literatur, eine eigene Kunstgeschichte und eine zusammenhänge Wirt-