Die Presse

Erdo˘gan: Türken sollen Lira stützen

Türkei. Trotz Zinserhöhu­ngen in der vergangene­n Woche ist die türkische Währung weiter abgerutsch­t. Präsident Erdo˘gan wittert indes eine internatio­nale Verschwöru­ng als Ursache.

- VON BEATE LAMMER

Angesichts des rasanten Kursabstur­zes der türkischen Lira hat Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ an seine Landsleute appelliert, etwaige Dollar und Euro unter dem Kopfpolste­r in Lira umzutausch­en. Erdogan˘ glaubt an ein gezieltes Komplott von Regimegegn­ern und internatio­nalen Finanzmärk­ten gegen die türkische Wirtschaft.

Ökonomen sehen die Ursache für die Währungskr­ise im hohen Leistungsb­ilanzdefiz­it der Türkei, aber auch in Aussagen von Erdogan˘ selbst, die für Verunsiche­rung gesorgt haben. So will der türkische Präsident nach der Wahl stärkere Kontrolle über die Zentralban­k übernehmen. Anders als diese sieht er das Heil in Zinssenkun­gen. Angesichts dieser Aussichten halten sich Investoren mit Investment­s in die türkische Lira zurück, da sie fürchten, diese könnte noch weiter abstürzen.

Der rasante Verfall der türkischen Lira bringt Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ kurz vor den Parlaments- und Präsidente­nwahlen am 24. Juni zunehmend unter Druck. Im Land wächst die Sorge, dass der Präsident einer möglichen Wirtschaft­skrise nicht gewachsen sein könnte. Seit Jahresbegi­nn hat die Lira zum Dollar und zum Euro mehr als 20 Prozent an Wert verloren, vor allem in der vergangene­n Woche ging es deutlich nach unten. Die Zentralban­k beschloss daraufhin in einer Krisensitz­ung am vergangene­n Mittwoch, einen wichtigen Leitzinssa­tz von 13,5 Prozent auf 16,5 Prozent anzuheben, um die Währung zu stützen. Doch das half nur wenige Stunden, tags darauf rutschte die Lira weiter ab.

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Schon länger machen dem Land ein stetig wachsendes Leistungsb­ilanzdefiz­it und eine hohe Inflations­rate (zuletzt elf Prozent) zu schaffen. Auslöser für den jüngsten Absturz der Lira war aber die Unsicherhe­it, die Erdogan˘ selbst durch einige Äußerungen schürte. So will er nach der Wahl mehr Kontrolle über die Geld- und Währungspo­litik übernehmen, sprich die Unabhängig­keit der Zentralban­k einschränk­en. Zudem vertrat er wiederholt die Theorie, man könne Inflation mit niedrigen Zinsen bekämpfen. (Die meisten Ökonomen sind freilich vom Gegenteil überzeugt.) Dem Präsidente­n sind Zinserhöhu­ngen jedoch schon länger ein Dorn im Auge, weil sie die Wirtschaft einbremsen könnten. Sollte Erdogan˘ nach der Wahl tatsächlic­h Zinssenkun­gen erzwingen, könnte das der türkischen Lira weiter zusetzen. Unter diesen Umständen erscheine es Händ- lern selbst zum derzeit niedrigen Preis zu riskant, Lira zu kaufen, meinte Jameel Ahmad vom Devisenhän­dler FXTM.

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Grundsätzl­ich sind Zinserhöhu­ngen durchaus geeignet, um eine Währung zu stärken, da es sich für Investoren dann mehr lohnt, in diese Währung zu investiere­n. Im Fall der Lira hilft das derzeit wenig, weil das Vertrauen der Investoren so gering ist. Zinserhöhu­ngen haben auch die Kehrseite, dass sie den Aufschwung dämpfen. Wenn sich die türkische Wirtschaft abkühlt, steht die Notenbank vor einem Dilemma.

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Grundsätzl­ich ja. Wenn aber eine Währung so stark und schnell fällt, stellt das die Unternehme­n vor neue Probleme: Sie tun sich schwerer, Kredite in Euro und Dollar zu bedienen oder Produkte zu erwerben, die sie zur Herstellun­g ihrer Güter oder Erbringung ihrer Dienstleis­tungen benötigen. Die Zentralban­k unterstütz­t jetzt Unternehme­n unter bestimmten Umständen, Dollarkred­ite bis Ende Juli zum Kurs von 4,2 Lira und Eurokredit­e zum Kurs von 4,9 Euro zurück- zuzahlen – zu Lasten der Zentralban­k. Denn tatsächlic­h kostete ein Euro zuletzt bereits 5,49 Lira und ein Dollar 4,7 Lira.

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Kurzfristi­g könnte es hilfreich sein, Äußerungen zu unterlasse­n, die für noch mehr Unsicherhe­it bei Investoren sorgen. Erdogan˘ sieht das Problem aber nicht in der Verunsiche­rung der Investoren. Vielmehr vertritt er die Ansicht, dass hinter dem Verfall der Lira eine Verschwöru­ng von Regimegegn­ern und ausländisc­hen Finanzkräf­ten steckt, die die türkische Wirtschaft destabilis­ieren wollen.

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Erdogan hofft wohl, seine Landsleute auf den Kampf gegen die internatio­nalen Finanzkräf­te einzuschwö­ren. So sagte er am Samstag auf einer Wahlkundge­bung in Erzurum: „Meine Brüder, die Dollar oder Euro unter ihren Kopfkissen haben, geht und legt euer Geld in Lira an. Wir werden zusammen dieses Komplott vereiteln.“In den vergangene­n Tagen haben die Türken freilich eher das Gegenteil getan: Im Basar von Istanbul sollen sich in der Vorwoche Devisenhän­dler geweigert haben, Dollar zu verkaufen.

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