Was sagt der Koran über die Liebe?
Akademietheater. Ayad Akhtars Kammerspiel „The Who and the What“setzt sich mit dem Islam intelligent auseinander. Felix Prader hat es mit perfektem Ensemble subtil inszeniert.
Ayad Akhtars Kammerspiel „The Who And the What“setzt sich mit dem Islam intelligent auseinander. Felix Prader hat es mit perfektem Ensemble subtil inszeniert.
Tolles Theater, das den Nerv der Zeit trifft, braucht nicht viel: Manchmal genügen ein riesiger Teppich als eine Art Rückwand sowie fünf Stühle für das Bühnenbild (Anja Furthmann), vier wunderbare Darsteller, eine unaufdringliche, vielleicht gerade deshalb äußerst wirksame Regie und ein gut gemachtes, aktuelles Stück, das in knapp zwei Stunden unterhält und belehrt.
Tolles Theater braucht sehr viel: All die genannten Faktoren müssen perfekt zusammenpassen. Das ist am Sonntag im Akademietheater bei der österreichischen Erstaufführung von „The Who and the What“(deutsche Übersetzung von Barbara Christ) gelungen. Ayad Akhtar, 1970 in New York City als Sohn pakistanischer Einwanderer geboren, in Milwaukee aufgewachsen, inzwischen ein Shooting Star der US-Literatur, hat in Wien erneut mit einem raffiniert simplen Stück entzückt, wie schon vor knapp zwei Jahren im Burgtheater mit „Geächtet“(für das er 2013 einen Pulitzer-Preis erhielt).
Nur ein Muslim darf die Tochter haben
Felix Prader hat sich bei seiner Inszenierung nicht auf Mätzchen eingelassen, er hat mit seinem vierköpfigen Ensemble ganz einfach ein rasantes Kammerspiel mit fliegenden Szenenwechseln entwickelt, das Einblicke in Leben und Denkweisen von Muslims in den USA bietet. Worum geht es? Afzal (Peter Simonischek) ist ein äußerst erfolgreicher Taxiunternehmer. Ein Drittel des Geschäfts in der Großstadt Atlanta macht die Firma die- ses aus Pakistan stammenden Mannes. Er hat ganz klein angefangen, wie es der amerikanische Traum projiziert. Er ist Witwer und hat zwei Töchter, die er liebt und vor allem gut versorgt wissen will. Er ist gutgläubiger Muslim. Deshalb verhinderte er, dass seine hoch intelligente, skeptische ältere Tochter Zarina (Aenne Schwarz) ihre große Liebe heiratete, die sie beim Studium der Literatur kennengelernt hatte. Dieser Ryan wollte nicht zum Islam konvertieren. Zarina hat sich dem Willen ihres in dieser Hinsicht gar nicht verwestlichten Vaters gebeugt.
Offenes Gespräch über Sexpraktiken
Nun macht die simple jüngere Schwester Druck. Mahwish (Irina Sulaver) ist einem Bekannten aus ihrem pakistanischen Umfeld seit Kindheit versprochen, meint aber, nicht vor der Älteren heiraten zu dürfen. Die beiden Töchter unterhalten sich. Über eine Frau des Propheten Mohammed, die er seinem Adoptivsohn weggenommen hat, über Sexpraktiken, die zwar laut Koran verboten sind, aber die Jungfernschaft intakt halten, über die Liebe. Mühelos scheinen die beiden Schauspielerinnen zu agieren, wenn sie diese zwei sehr unterschiedlichen Charaktere entfalten. Mit wenigen Sätzen wird jene Welt ganz konkret, der Zarina zu entkommen versucht. Sie schreibt einen Roman. Es geht angeblich um Genderpolitik, im Mittelpunkt steht aber der Prophet, der hier mit moralischen Schwächen behaftet ist. Vor allem geht es um die muslimische Frau, der laut einer Koran-Auslegung zwingend das Tragen eines Schleiers vorgeschrieben wird.
Inzwischen hat sich der Vater via Datingportal – muslimlove.com, dort gibt er sich als die ältere Tochter aus – auf Partnersuche für sie gemacht. Und findet einen passenden Konvertiten. Die Gespräche zwischen Afzal und dem erstaunten Eli (Philipp Hauß) sind ebenso raffiniert wie die zwischen den Schwestern. Simonischek verwandelt sich ganz und gar in einen Patriarchen, der nicht nur ein vifer Geschäftsmann, sondern auch ein manipulativer und harmoniebedürftiger Patriarch ist. Hauß spielt das nötige Korrektiv zum dominanten Älteren mit viel Witz, als sensibel Suchenden. Eli hört zu, auch den Frauen. Ein paar Zeilen Dialog nur auch zwischen diesen Männern – und man ist mitten drin in den ethisch-religiösen Konflikten, die derzeit die halbe Welt bewegen. Lauter Familienprobleme.
Ein „Skandalbuch“über Mohammed
Eli, der als Imam wirkt, wird Zarina dabei helfen, dass sie ihre Schreibhemmung überwindet, doch das Ergebnis, das „Skandalbuch“, führt zum Bruch mit dem Vater. Alles steuert auf eine Tragödie zu, sogar durch das Verhalten der jüngeren Schwester, die sich doch passgenau mit ihrer Religion arrangiert hatte. So leicht kann man aus der Bahn geworfen werden! Der Schluss ist bei aller Islamkritik versöhnlich. Man weiß jedoch, es könnte ganz anders ausgehen. Fazit: Hier wird von einem Ensemble auf höchstem Niveau ein Lehrstück der Toleranz geboten. In diesem Lob der Vielfalt gibt es keine billigen Lösungen. Sanft wird man dazu ermahnt, auch andere Seiten verstehen zu wollen.