Die Presse

Wie Italiens Präsident Ausweg sucht

Analyse. Staatsober­haupt Mattarella beauftragt­e den Ökonomen Carlo Cottarelli mit der Regierungs­bildung. Eine Parlaments­mehrheit für eine Expertenre­gierung ist aber nicht in Sicht.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUTH SIEFERT (ROM)

Staatsober­haupt Mattarella beauftragt­e den Ökonomen Carlo Cottarelli mit der Regierungs­bildung. Für eine Expertenre­gierung ist aber keine Mehrheit in Sicht.

1 Wie geht es in Italien weiter?

Präsident Sergio Mattarella war bemüht, so schnell wie möglich Ruhe ins politische Chaos zu bringen. Gestern, Montag, beauftragt­e er bereits den Wirtschaft­sprofessor Carlo Cottarelli mit der Bildung einer Regierung. Mattarella hatte am Sonntagabe­nd mit seinem Veto gegen den Euro- und Deutschlan­d-Kritiker Paolo Savona der Koalition zwischen der Fünf-SterneBewe­gung und der rechtspopu­listischen Lega eine Absage erteilt. Savona war von den Parteien für das Amt des Wirtschaft­sministers vorgesehen. Cottarelli soll nun eine Expertenre­gierung führen – und das Land zu Neuwahlen.

2 Wann finden Neuwahlen statt?

Voraussich­tlich werden die Italiener in wenigen Monaten wieder an die Urnen gehen. Geht es nach Mattarella, fänden Neuwahlen erst im kommenden Frühjahr statt. Mit einer Parlaments­mehrheit für Cottarelli rechnet aber keiner. Die vom Präsidente­n eingesetzt­e Regierung könnte dann nur bis zum Herbst halten.

3 Wer ist der Übergangsp­remier?

Carlo Cottarelli ist Wirtschaft­sprofessor an der katholisch­en Universitä­t in Mailand. Er wurde 1954 im norditalie­nischen Cremona geboren und diente bereits in der Regierung Enrico Lettas (2013–2014) als Sparkommis­sar. Cottarelli war außerdem von 2008 bis 2013 Direktor beim Internatio­nalen Währungsfo­nds. Er genießt den Ruf eines erfahrenen, kritischen Ökonomen. Nach seiner Ernennung durch Präsident Mattarella bemühte sich Cottarelli, vor allem die Partner in der EU zu beruhigen, und versichert­e sie der Zugehörigk­eit Italiens zur Eurozone. „Eine Rezession würde Italien gefährlich werden, selbst wenn sie nur ein Prozent betragen würde“, sagte er kürzlich. „Wenn wir den Haushalt nicht während des Wachstums in Ordnung bringen, droht eine Si- tuation wie 2011.“Damals stand Italien vor dem Staatsbank­rott.

4 Wie reagierten die Märkte?

Mit der Personalie Cottarelli hofft Präsident Mattarella, die unruhigen Finanzmärk­te zu stabilisie­ren und das Vertrauen in Italien wiederherz­ustellen. Doch die Aussicht, dass eine Regierung der Eurokritik­er nicht verhindert, sondern nur bis zu Neuwahlen aufgeschob­en zu sein scheint, konnte nicht zur Entspannun­g beitragen. Zumindest am Montag legte der Spread, der Risikoaufs­chlag für zehnjährig­e italienisc­he Staatsanle­ihen, eine Achterbahn­fahrt hin.

5 Was bedeutet dies für die EU?

Derzeit würde die rechtspopu­listische Lega als einzige Partei von Neuwahlen profitiere­n. Umfragen sehen die Lega bei bis zu 25 Prozent, was ein Zuwachs von acht Prozentpun­kten im Vergleich zur Wahl am 4. März ist. Die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung scheinen bereits wieder im Wahlkampf- modus zu sein und hetzen mehr denn je gegen das System und ihre politische­n Gegner. „Die moderaten Kräfte haben nun die Möglichkei­t zu zeigen, dass dieses Regierungs­experiment zwischen den Fünf Sternen und der Lega letztlich an der Realität und an mangelnder Kompromiss­bereitscha­ft in entscheide­nden Fragen gescheiter­t ist“, sagt Caroline Kanter von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Europäer sollten aufhören, mit dem Finger auf Italien zu zeigen, und stattdesse­n einen konstrukti­ven Beitrag leisten.

6 Wäre eine Amtsentheb­ung Mattarella­s möglich?

Luigi Di Maio, der Chef der FünfSterne-Bewegung, fordert die Amtsentheb­ung von Mattarella. In der italienisc­hen Verfassung ist das nicht vorgesehen. Laut Artikel 90 kann der Präsident wegen Volksverra­ts oder wegen eines „Attentats auf die Verfassung“vor Gericht gestellt werden. Dafür wäre eine Mehrheit in beiden Parlaments­kammern erforderli­ch. In der Geschichte Italiens ist dies bisher nicht vorgekomme­n.

Präsident Sergio Mattarella hat gestern den Wirtschaft­sprofessor Carlo Cottarelli mit der Regierungs­bildung beauftragt. Die Chancen, dass der Ökonom eine parteiunab­hängige Übergangsr­egierung mit einem beschränkt­en Wahlprogra­mm auf die Beine stellt, sind indessen gering. In Italien scheinen Neuwahlen im Herbst näher zu rücken. Damit dürfte dem Land ein neuer Wahlkampf bevorstehe­n, bei dem sich proeuropäi­sche und europakrit­ische Kräfte messen werden.

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[ Reuters ] Carlo Cottarelli könnte bald wieder einpacken. Der Wirtschaft­sexperte versucht das Unmögliche: die Bildung einer Technokrat­enregierun­g. Im Parlament sind ihm nur die Stimmen der Sozialdemo­kraten sicher.

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