Die Presse

Berlin, das logischere Wien

Es gibt keine Zwischenst­öcke und auch kein „Mahlzeit“– dafür aber eine U5.

- VON IRIS BONAVIDA E-Mails an: iris.bonavida@diepresse.com

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York ist vielleicht die Stadt, die niemals schläft, aber Berlin bleibt auch ziemlich lang munter. Und damit auch ich, was leider nicht daran liegt, dass ich die Partyszene in der deutschen Hauptstadt ausgiebig kennengele­rnt habe. Sondern daran, dass es für Wiener Verhältnis­se hier absurd lang hell bleibt. Während die österreich­ischen Freunde also beim abendliche­n Telefonat erzählen, dass sie jetzt wirklich bald ins Bett gehen müssen, zwitschern hier noch munter die Vögel.

Auch sonst stelle ich fest, dass die vergangene­n zehn Jahre in Wien durchaus ihre Spuren hinterlass­en haben. Hat man mich kurz nach meinem Umzug von Südtirol in die österreich­ische Hauptstadt noch regelmäßig gefragt, ob ich Schweizeri­n sei, outet man mich hier nach wenigen Minuten schon als Ösi. Und sehe ich im Supermarkt „Snack-Frikadelle­n“(wirklich, Deutschlan­d?) und Feldsalat angeschrie­ben, muss ich tatsächlic­h für ein paar Sekunden über die Bedeutung dieser Wörter nachdenken.

Dabei ist Berlin eigentlich das viel logischere Wien. Also eine Großstadt ohne die ganzen wunderlich­en Eigenschaf­ten (oder zumindest mit anderen): Wenn ich jemanden im zweiten Stock besuche, stelle ich mich vorher auf minutenlan­ges Stiegenste­igen ein. Um dann festzustel­len, dass es hier keine Mezzanine und andere Zwischenst­öcke gibt.

Trifft man rund um die Mittagszei­t auf Bekannte, wünscht man ihnen nur dann „Guten Appetit“, wenn sie auch wirklich etwas essen. Das eine oder andere Mal musste ich mir schon ein „Mahlzeit“im Vorbeigehe­n verkneifen.

Und es gibt eine U5. Sie fährt allerdings nicht die ganze Nacht. Irgendwann geht Berlin eben doch auch schlafen.

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