Die Ölpreisrallye ist zu Ende
Fast ein Jahr lang kannte der Ölpreis nur die Richtung nach oben. Nun scheint die Rallye erst einmal gestoppt – und das vielleicht auf lange Zeit. Die Opec+ hat ihre Macht erneut bewiesen.
Nur wenige Tage ist es her, dass mancher Analyst, beflügelt vom fast einjährigen Ölpreisanstieg auf zwischenzeitlich 80 Dollar, Notierungen von demnächst 100 Dollar pro Barrel prognostiziert hat. Daraus wird nun allem Anschein nach auf längere Zeit nichts. Seit Freitag ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Binnen zweier Tage ging die Notierung für die in Europa relevante Nordseesorte Brent um fünf Prozent auf nun 75 Dollar zurück. Bei der US-Sorte WTI sogar um sieben Prozent.
Auslöser für den Kurssturz waren Nachrichten, dass die Organisation Erdöl produzierender Länder (Opec) und die elf mit ihr in der sogenannten Opec+ verbündeten Förderstaaten wie Russland ihre Fördermengen in der zweiten Jahreshälfte ausweiten könnten.
Russlands Energieminister, Alexandr Nowak, hatte diese Überlegung am Freitag kundgetan und wurde dabei von seinem saudischen Amtskollegen, Khalid al-Falih, unterstützt. Laut Nowak werde man bei der nächsten gemeinsamen Sitzung am 22. Juni in Wien darüber befinden: Komme man zu der Ansicht, dass man die vor eineinhalb Jahren beschlossene und nach wie vor geltende Förderkürzung lockern solle, werde man das wohl schon ab dem dritten Quartal vornehmen, sagte er.
Wie der einjährige Preisanstieg so zeigt auch der jetzige Preisrückgang, dass die Opec+ sich tatsächlich zu einer marktbewegenden Allianz etabliert hat. Bis vor einem Jahr ist dies noch bezweifelt worden und stattdessen den USA mit ihrer Förderung aus Schiefergestein die führende Rolle auf dem Markt zugeschrieben worden.
Ob führend oder nicht, ihre Rolle ist in der Tat groß. Und sie wurde im letzten Jahr in dem Maße wieder größer, in dem der Ölpreis anstieg. Der Preiszuwachs nämlich machte und macht Investitionen in neue Bohrlöcher wieder richtig rentabel. Davon zeugt etwa, dass die Zahl der US-Bohraktivitäten in der letzten Woche nach Daten der Erdöl-Service-Gesellschaft Baker Hughes um 15 Ölbohrungen auf 859 gestiegen ist. „Das war der stärkste Wochenanstieg seit Februar“, schreibt die Commerzbank in einem Kommentar: „Im gesamten Monat Mai sind bislang 34 neue Ölbohrungen hinzugekommen.“
Ins Auge springt, dass sich nun auch Russlands Präsident, Wladi- mir Putin, gegen einen zu hohen Ölpreis aussprach und damit eine gewisse Marschrichtung für die Opec+ vorgab. Vor wenigen Wochen hatte sich schon sein USAmtskollege, Donald Trump, über den hohen Preis empört. Putin sagte Ende der Vorwoche, dass ein Preis von 60 Dollar je Barrel ausgewogen sei, weil er Investitionen im Sektor prognostizierbar mache: Ein zu hoher Preis verursache gewisse Probleme bei den Konsumenten, woran auch die Produzenten nicht interessiert seien.
Über das Ausmaß der möglichen Produktionsausweitung durch die Opec+ kursieren derzeit noch unterschiedliche Einschätzungen: Sie reichen von 300.000 Barrel pro Tag bis zu einer Million Barrel. In jedem Fall wird die Opec+ damit plötzlich in dieselbe preisdämpfende Richtung wirken wie die USA.
Dem stehen auch künftig die geopolitischen Risken gegenüber, die den Preis recht schnell wieder stützen oder gar erhöhen könnten – allen voran die US-Sanktionen gegen den Iran.
Und an den preistreibenden Produktionsausfällen im finanziell ausgebluteten Venezuela, in Angola und Algerien wird sich so schnell auch nichts ändern.