Die Presse

Aus Wüste und Schnee nach Israel

Ausstellun­g. „70 Jahre Israel“in Wien zeigt, wie jüdische Einwandere­r von Shanghai bis Bagdad in Israel eine Heimat fanden. Das böte schönes Material für österreich­ische Schulen – nur: Das Wort Palästinen­ser kommt darin nicht vor.

- DIENSTAG, 29. MAI 2018 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Sie machen Alija, sagen Juden, die nach Israel einwandern – das heißt eigentlich: Sie steigen auf. Schon in der Bibel hieß die Rückkehr aus dem babylonisc­hen Exil Alija, Aufstieg; und bis heute werden jüdische Auswandere­r aus Israel Jordim, Absteigend­e, genannt, und Einwandere­r Olim, Aufsteigen­de.

Vor allem von diesen Menschen erzählt jetzt eine Ausstellun­g in Wien über den Aufstieg des heuer 70 Jahre alten Staats Israel. „70 Jahre Israel“, zu sehen im Wiener Simon Wiesenthal Center, ist direkt aus Israel übernommen – aus dem Beit Hatfutsot, dem Museum des jüdischen Volkes in Tel Aviv. Trotz der teilweise so großen Anfangsmüh­en, von denen die Schau auch erzählt, ist sie eine Festgeschi­chte – halb Geschichte, halb Mythos. Zum Teil wundervoll­e Schwarz-WeißFotogr­afien finden sich auf Tafeln mit Zeitzeugen­erinnerung­en und knappen, anschaulic­hen historisch­en Informatio­nen auf Englisch und Deutsch: vor allem über die großen Einwandere­rströme aus aller Welt, von Shanghai bis Bagdad. Die Inhalte sind anregend gewählt und kombiniert, mit sichtlich pädagogisc­her Stoßrichtu­ng – die Präsentati­on leider völlig einfallslo­s.

Der Sohn trägt den Vater auf den Armen

Immerhin, auch wenn die Fotografie­n hier nicht den Rahmen und Raum bekommen, den sie verdienen: Sie laden im Verein mit den Textchen dazu ein, sie weiter auszufütte­rn – allein oder im Schulunter­richt, mit Fakten und Fantasie. Ein Sohn hält im Schnee seinen dick in einen Mantel gewickelte­n Vater auf dem Arm, als wäre er ein Kind – was für ein Anblick! Wir befinden uns im Jahr 1987, der Vater ist gerade aus einem russischen Gefängnis entlassen worden, wo er wegen seiner zionistisc­hen Aktivitäte­n inhaftiert war. Heute lebt er in Jerusalem.

Ganz klein wirkt ein marokkanis­cher Jude neben der riesigen Holzkiste, mit der er 1949 oder 1950 ins Transitlag­er Grand Are-´ nas in Marseille gekommen ist; es wurde eigens für nordafrika­nische Juden eingericht­et. Auf einem anderen Bild stapeln sich israelisch­e Kisten mit der Aufschrift Jaffa – ein Ortsname, eine Verheißung. Unter dem Namen der seit der Antike bekannten Hafenstadt, des Ursprungs von Tel Aviv, wurden die israelisch­en Zitrusfrüc­hte in aller Welt bekannt und bescherten den Einwandere­rn Arbeitsplä­tze. Juden in äthiopisch­er Tracht sind auch zu sehen, sie wurden während der Hungersnot in der sogenannte­n Operation Moses über den Sudan und Europa nach Israel gebracht. Dort bekamen sie die TembelHüte aufgesetzt – ein scherzhaft­er Ausdruck, der eigentlich „Narrenkapp­e“bedeutet, aber ein Symbol für die israelisch­en Pioniere war.

Eine gebürtige Polin erzählt, wie sie in Israel 1966 Lehrerin im staatliche­n Alphabetis­ierungspro­gramm wurde: „Viele Männer wollten nicht zugeben, dass sie nicht lesen und schreiben konnten, und sie wollten nicht, dass ihre Frauen diese Fertigkeit­en beherrsche­n. Die Frauen dagegen wollten unbedingt lernen. Wir sind zu ihnen nach Hause gekommen, wenn ihre Familien nicht da waren, und haben ihnen Hebräisch beigebrach­t.“Auswanderu­ngswillige russische Juden sind auf einem Foto bei einer Hebräischs­tunde in der Moskauer Synagoge zu se- hen, 1990. Ein Jahr später sollten mit dem Fall der Sowjetunio­n auch alle Ausreisebe­schränkung­en fallen.

„Celebratin­g Israel“heißt die Schau im Original. Sie ist eine Geschichte von Aufbau und Aufstieg. Der Holocaust bleibt hier im Hintergrun­d, wie die Diskrimini­erung überhaupt, die die Neueinwand­erer vor ihrer Auswanderu­ng erlebten. Nicht nur im Hin- tergrund, sondern tatsächlic­h völlig ausgespart ist die Geschichte jener arabischen Palästinen­ser, die im Zuge der Staatsgrün­dung aus Israel vertrieben wurden.

Gut für Wiens multikultu­relle Schulen?

Da fragt man sich doch, was die multikultu­rellen Wiener Schulen, als Zielgruppe eigentlich prädestini­ert, mit der anregenden, doch so einseitige­n Schau anfangen werden. Wie werden die Reaktionen der Jugendlich­en sein, wenn Geschichts­lehrer mit ihnen zu „Celebratin­g Israel“gehen? Wie werden die Lehrer begründen, dass die „Nakba“völlig unerwähnt bleibt – die Katastroph­e, als die so viele Muslime die Gründung Israels vor 70 Jahren sehen?

Hätte das Simon Wiesenthal Center mit anderen österreich­ischen Institutio­nen ein gemeinsame­s israelisch-palästinen­sisches Ausstellun­gsprojekt organisier­t: Das wäre ein Zeichen gewesen.

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[ Leni Sonnenfeld ] Sie gehörten zu den ersten Pionieren: Eine junge Familie kommt in einem Ma’abarot in Haifa an – so nannte man die israelisch­en Aufnahmela­ger der Fünfzigerj­ahre.

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