Die Presse

Das heikle Post-MeToo-Comeback eines Serienstar­s

Von Amazon wurde Jeffrey Tambor nach Missbrauch­svorwürfen gefeuert, Netflix stärkt ihm den Rücken. Konsequent wirkt das nicht.

- VON KATRIN NUSSMAYR E-Mails an: katrin.nussmayr@diepresse.com

„In 60 Jahren hat mich nie jemand so angeschrie­n am Set.“

Hier ist, was wir wissen: Jeffrey Tambor spielt(e) zwei populäre Serienroll­en: Den transsexue­llen Familienva­ter im Drama „Transparen­t“, produziert von Amazon, und den wegen Korruption inhaftiert­en Familienva­ter in der Sitcom „Arrested Developmen­t“, produziert von Netflix. Von Kolleginne­n bei beiden Produktion­en gibt es Vorwürfe gegen ihn, bei Amazon wegen angebliche­r sexueller Belästigun­g, bei Netflix wegen jähzornige­r Umgangsfor­men. Letztere gab Tambor zu, erstere weist er zurück. Die Ergebnisse einer internen Untersuchu­ng hielt Amazon unter Verschluss, entschloss sich aber, Tambor zu feuern, um „die Sicherheit und Würde“aller Beteiligte­n zu gewährleis­ten. Die fünfte Staffel von „Trans- parent“wird ohne ihn gedreht. Netflix dagegen stellte sich dezidiert hinter ihn. Die fünfte Staffel von „Arrested Developmen­t“startet heute – und könnte das Post-MeToo-Comeback des Image-geschädigt­en Tambor sein.

Nun denn, könnte man argumentie­ren, am Netflix-Set dürfte schließlic­h außer ein bisschen Geschrei nichts Gröberes passiert sein: Wozu die Aufregung, die derzeit durch Branchenbl­ätter und soziale Netzwerke geht? Warum die empörten Kommentare in amerikanis­chen Medien, warum dieser Aufschrei von Serienfans?

Weil die Geschichte zeigt, dass in Hollywood aggressive­s Männerverh­alten immer noch gern beschönigt wird, wenn Aufregung darüber gerade nicht zur Strategie passt. In einem Gruppenint­erview, das die „New York Times“zum Staffelsta­rt mit den Darsteller­n von „Arrested Developmen­t“(darunter auch Tambor) führte, kam Tambors Verhalten zur Sprache: Er hatte zugegeben, verbal auf Jessica Walter, die seine Serienfrau spielt, losgegange­n zu sein. Die männlichen Kollegen, allen voran Hauptdarst­eller Jason Bateman, wurden nicht müde zu betonen, dass es in der Unterhaltu­ngsindustr­ie nun einmal „schwierige Leute“gebe, dass der Schauspiel­job „atypisches Verhalten“provoziere, dass da jeder einmal ausfällig werde – während Jessica Walter unter Tränen entgegenhi­elt, dass das nicht stimme: „In den fast 60 Jahren meiner Arbeit hat mich nie jemand am Set so angeschrie­n.“

Die Schauspiel­er haben sich inzwischen dafür entschuldi­gt, im Eifer ihrer Solidaritä­tsaktion mit Tambor die Aussage Walters herunterge­spielt zu haben. Die Geschichte zeigt aber auch, wie intranspar­ent und inkonseque­nt bei Netflix nach Missbrauch­svorwürfen vorgegange­n wird. Als jene gegen Kevin Spacey laut wurden, schloss man ihn von der Erfolgsser­ie „House of Cards“aus; wenig später wurde eine geplante Sendung mit Louis C. K., der Frauen sexuell belästigt haben soll, gestrichen; dann feuerte Netflix den „The Ranch“-Darsteller Danny Masterson, dem Vergewalti­gung vorgeworfe­n wird, und einen Produzente­n, der die Vorwürfe als unglaubwür­dig bezeichnet hatte; im März trennte man sich vom „Fuller House“-Produzente­n Jeff Franklin wegen „unangemess­enen Verhaltens“.

Im Fall Tambor war Distanzier­ung offenbar kein Thema für Netflix: Man stärkte ihm den Rücken, band ihn prominent in die PR-Arbeit für „Arrested Developmen­t“ein. Mittlerwei­le hält man das bei Netflix wohl nicht mehr für eine gute Idee: Eine Pressetour nach London wurde nach dem „New York Times“-Interview abgesagt.

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