Die Presse

Das Great Barrier Reef ist oft und weit gewandert

Als die Eiszeit kam und ging, mussten die Korallen dem Wasser hinterher. Nicht immer waren sie rasch genug.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie es um das größte Korallenri­ff der Erde – das Great Barrier vor Australien – und um seine Zukunft bestellt ist, ist gar nicht so einfach zu sagen. Vor vier Wochen schrillte Alarm: Bei der letzten erwärmungs­bedingten Bleiche im Jahr 2016 gingen 30 Prozent der Korallen zugrunde, bilanziert­e Terry Hughes (James Cook University): „Selbst die am stärksten geschützte­n Bereiche des Riffs sind höchst anfällig gegenüber dem erhöhten Wärmestres­s.“( Nature 16. 3.) Tags darauf kam Entwarnung von Mikhail Matz (University of Texas), der die genetische Vielfalt einer zentralen Korallenar­t analysiert­e und sie so breit fand, dass das Riff noch „mindestens 100 Jahre“der Erwärmung standhalte­n wird ( PLoS Genetics 19. 4.).

Das sind Prognosen, mit all ihren Unwägbarke­iten. Größere Gewissheit über die Lebenskraf­t des Great Barrier Reef bietet der Blick zurück. Eine Gruppe um Jody Webster (Sydney) hat ihn unternomme­n und in zehnjährig­er Arbeit Bohrkerne in verschiede­nen Regionen des Riffs gezogen, die die letzten 30.000 Jahre archiviere­n. In denen spielte sich ein enormer Klimawande­l ab – die letzte Eiszeit kam erst auf ihren Höhepunkt und dann zu ihrem Ende –, das Riff passte sich nach Kräften an, es wanderte, der Not gehorchend: Die voranschre­itende Eiszeit ließ die Meeresspie­gel sinken – weil die weltweiten Gletscher Wasser als Eis speicherte­n –, vor 20.000 Jahren lagen sie 118 Meter tiefer als heute, die Korallen wanderten, die neuen Küsten hinab, sie versuchten es zumindest. Das taten sie auch in Gegenricht­ung, als sich die Eiszeit vor 16.500 Jahren dem Ende neigte, nun mussten die Korallen wieder die Küsten hinauf.

Noch eine Gefahr: Trübes Wasser

Und das rasch: Das Wasser stieg um 120 Meter, pro Jahr um bis zu 30 Millimeter. Das überforder­te die Korallen, das Riff starb weithin ab. Das hatte es bei einem früheren Anstieg des Meeresspie­gels schon einmal getan, bei zwei Absenkunge­n auch. Aber jedes Mal kehrte es wieder, aus eigener Kraft, ohne Fernverfra­chtung, irgendwo im Riff hatten sich Korallenre­fugien gehalten (Nature Geoscience 28. 5.). Und dann starb es fast wieder, vor 10.000 Jahren, ganz ohne Änderung der Wasserspie­gel: Das Meer trübte sich zu sehr ein, mit Sedimenten, die – wohl durch veränderte Niederschl­äge – vom Land kamen. „Unsere Studie zeigt, dass das Riff sich von tödlichen Ereignisse­n während der Eiszeiten erholen konnte“, schließt Webster: „Allerdings haben wir auch gefunden, dass das Riff auch sehr sensibel auf Sedimente reagiert, und das ist wegen der heutigen Landnutzun­g besorgnise­rregend.“Gemeint sind Industrie und Landwirtsc­haft.

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