Krise in Italien löst Panik aus
Regierungschaos. Italien steckt in der politischen Sackgasse: Die technische Regierung ist de facto eine Totgeburt. Und eine starke Opposition zu Lega und „Grillini“gibt es nicht.
Rom/Berlin. Die Beruhigungspille des italienischen Staatspräsidenten, Sergio Mattarella, wirkte nur kurz: Trotz der Nominierung eines international renommierten Ökonomen als Regierungschef war am Dienstag die Nervosität auf den Märkten groß (siehe Bericht unten). Der „Spread“, die Spanne zwischen zehnjährigen deutschen und italienischen Staatsanleihen, erreichte sogar den höchsten Stand seit 2013. Der Spread ist das „Fieberthermometer“für die überlebenswichtige internationale Glaubwürdigkeit Italiens: Denn die hoch verschuldete, drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat sich ihr Geld zum großen Teil bei ausländischen Investoren ausgeborgt.
Grund für die wiederaufgeflammte Panik auf den Finanzmärkten ist die Sackgasse, in die sich Italiens Politik hineinmanövriert hat. Denn die geplante Technikerregierung unter dem international bekannten Ökonomen Carlo Cottarelli erweist sich jetzt schon als Totgeburt: Außer den bisher regierenden Linksdemokraten wollen dem Professor alle Parteien das Vertrauen verweigern. Damit wären dem ehemaligen IWF-Mitarbeiter und seiner Truppe, die er heute dem Präsidenten vorstellen wollte, die Hände gebunden. Cottarelli könnte nicht viel mehr tun, als das Land irgendwie durch den Sommer zu steuern – bis zu möglichen Wahlen im Frühherbst. Am Dienstag gab es sogar bereits erste Gerüchte, dass Cottarelli gar nicht antreten und schon im Juli erneut gewählt werden könnte. Ängstlich fragen sich Investoren, wer im Oktober das Budget für 2019 verabschieden wird – und ob der von Brüssel eingeforderte Sparkurs weiterverfolgt wird.
Lega und Fünf Sterne jedenfalls sind schon längst im Wahlkampfmodus und setzen wieder auf ein einziges Thema: Sie präsentieren sich als Befreiungskämpfer des in Geiselhaft genommenen Volkes. „Die nächsten Wahlen werden zum Referendum zwischen Kaste und Volk“, verspricht Lega- Chef Matteo Salvini. Am Sonntag war die Bildung der Koalition zwischen beiden Parteien gescheitert. Die Lega hatte auf die Nominierung eines eurokritischen Wirtschaftsministers bestanden, den der Präsident von Anfang an abgelehnt hatte – was laut Verfassung in der Macht des Staatschefs steht.
Machtkampf auf der Straße
Für Lega und Grillini ist diese Ablehnung allerdings ein deutlicher Beweis für die „Verschwörung der Elite“– zwischen Politestablishment (Präsidentschaftskanzlei), „Märkten“und den Berliner sowie Brüsseler „Spar-Dominas“. Die Kaste hätte ihre Machtübernahme von Anfang an verhindern wollen. Kurzfristig wurde sogar ein „Impeachment“gegen den Präsidenten in Erwägung gezogen. Er lasse sich von niemandem versklaven, schon gar nicht von Deutschland, donnert der Lega-Chef. Wie gerufen kam ein Einwand vom deutschen EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger: Die Märkte würden die Italiener schon davon überzeugen, nicht die Populisten zu wählen, sagte er. „Schande“, polterte Salvini. In Rom empörten sich daraufhin alle Parteien über die „Einmischung aus Brüssel“.
Die Spannungen drohen sich nun auf der Straße zu entladen. Denn Lega und „Grillini“ verlegen ihren Wahlkampf auf die Piazze: den Ort, den sie neben dem Internet am erfolgreichsten beherrschen. Als Protest gegen das „Diktat“des Präsidenten soll am Samstag eine Riesendemonstration in Rom stattfinden. Ausschreitungen werden befürchtet.
Auf die Ausweglosigkeit des italienischen Politdramas deuten indes auch andere Faktoren hin: Die Lega-„Grillini“-Koalition hat derzeit keine wirkliche Konkurrenz. Die bisher regierenden Linksdemokraten treten als einzige größere Partei dezidiert proeuropäisch und wirtschaftsliberal auf. Die Partei hat bei der jüngsten Wahlen massiv an Wählern verloren, unter anderem wegen ihrer offen ausgetragenen Streitereien. Silvio Berlusconis Forza Italia, die zweite Großpartei der politischen Mitte, ist in Europa-Fragen ambivalenter. Zu erwarten ist, dass der inzwischen rechtlich rehabilitierte Ex-Regierungschef nun aus taktischen Gründen die Allianz mit der Lega wieder kitten will. Dafür nimmt er wohl auch EU-Bashing in Kauf – wie es bereits in der Vergangenheit geschehen ist.