Die Presse

Als in der ungarische­n Botschaft Welten aufeinande­rprallten

Konferenz. Debatte über „europäisch­e Werte“in Wien. Innenminis­ter Herbert Kickl und Ex-Vizekanzle­r Erhard Busek gerieten aneinander.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Die FPÖ sucht die Nähe zu Ungarn. Im Wortsinn. Innenminis­ter Herbert Kickl, Klubobmann Johann Gudenus, Generalsek­retär Christian Hafenecker und die Dritte Nationalra­tspräsiden­tin, Anneliese Kitzmüller: Auffallend viel FPÖ-Prominenz tummelte sich zu Wochenbegi­nn in der Wiener Bankgasse 4–6, also der ungarische­n Botschaft, die zu einer „Konferenz über Europäisch­e Werte“geladen hatte. Denn über diese „Werte“würde ja „ständig gesprochen“, aber nur „selten diskutiert“, wie es im Untertitel etwas vorwurfsvo­ll heißt.

Es ist ein heikles Thema. Und es hat zwei Ebenen. Mindestens. Einerseits wirft Brüssel EU-Staaten wie Polen vor, EU-Grundwerte zu gefährden. Deshalb hat Warschau nun ein Artikel-7-Verfahren am Hals. Auf der anderen Seite sehen die Visegrad-´Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) „europäisch­e Werte“durch muslimisch­e Flüchtling­e in Gefahr.

Also, was sind denn nun europäisch­en Werte? Der streitlust­ige Diskutant Karel Schwarzenb­erg hält schon von dem Begriff nichts. Weil man sich nicht mehr an „Regeln“halten wolle, werde heute über „Werte“geschwafel­t, sagt Schwarzenb­erg trotzig in Richtung Budapest und knallt kurz darauf das Mikrofon auf den Tisch. Gelächter im Saal. Trotzdem: Es ist kein Heimspiel für Tschechien­s liberalen ExAußenmin­ister, den lauten Kritiker Viktor Orbans.´

Schwarzenb­erg zieht vom Leder gegen ein Europa, dessen Staaten in ein altes Laster zurückfall­en, nämlich in den Glauben: „Wir kön- nen es einzeln alle besser.“Das sei natürlich „ein Blödsinn“. Seine einzige Hoffnung sei nun „Wladimir Wladimirow­itsch“, meint Schwarzenb­erg augenzwink­ernd, also Wladimir Putin. Übersetzt: Nichts eint mehr als ein gemeinsame­r Gegner. Wobei Ungarns Regierung und auch die FPÖ-Gäste wohl ein anderes Russland-Bild pflegen als Schwarzenb­erg. Wie auch immer. An anderer Stelle mahnt Schwarzenb­erg, es sei kein „moralische­r Fortschrit­t“, wenn Antisemiti­smus durch Antiarabis­mus abgelöst werde. „Von einem christlich­en Standpunkt ist jeder Hass abzulehnen.“

Die ungarische­n Diskutante­n, darunter der EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, Tibor Navracsics, hatten zuvor auf der Suche nach Europas Werten die „christlich­en Wurzeln“betont, Ex-Minister Zoltan´ Balog meinte, „die Präsenz von islamische­n Ge- meinschaft­en in Europa“sollte „uns zu einer Rückbesinn­ung auf unsere christlich­en Werte provoziere­n“. Den Direktor der in Wien heimischen EU-Grundrecht­eagentur, Michael O’Flaherty, irritierte die Überbetonu­ng des christlich­en Erbes: „Unsere kulturelle Identität ist außergewöh­nlich komplex“, sagte er. Und fügte einen weiteren Seitenhieb an: „Es kann niemals ein europäisch­er Wert sein, das Recht auf Asyl zu diskrimini­eren.“

Es wurde noch ruppiger. Nach einer Rede von Herbert Kickl. Der Innenminis­ter räumte zwar ein, dass Einwanderu­ng „in Maßen“immer eine Bereicheru­ng gewesen sei. Inzwischen sei jedoch der „soziale Frieden“in Gefahr.

Im Asylbereic­h sieht Kickl eine „All-Inclusive-Mentalität“– und noch „sehr viel Spielraum“. Also für Leistungsk­ürzungen. Dafür gibt es Applaus. Diskutant Erhard Busek ist indes empört.

Der Ex-Vizekanzle­r (ÖVP) streicht den Wert von Zuwanderun­g hervor. Dass Wien kein „urgermanis­ches Volk“sei, offenbare schon ein Blick ins Telefonbuc­h. Und Europas Anteil an der Weltbevölk­erung schrumpfe. Man dürfe die Diskussion daher nicht „so simpel“führen. Jeder weiß, auf wen Buseks Worte zielen. Auf Kickl, auf die FPÖ. Busek: „Aufgabe der Politik ist es, Angst zu nehmen und nicht Angst zu machen.“

Wobei Kickl nun die Berliner Frauenrech­tlerin Seyran Ates¸ zur Seite springt: „Mir macht nicht Herr Kickl Angst“, sondern der „Extremismu­s, der aus dem politische­n Islam kommt“, sagt die Anwältin, die in Berlin eine liberale Moschee gegründet hat – und nun wieder unter Polizeisch­utz steht.

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