Die Presse

Die Ängste der Christen

Studie. Westeuropa­s Christen suchen eine nationale Orientieru­ng, wollen die Einwanderu­ng reduzieren und zeigen insgesamt weniger Toleranz als konfession­slose Bürger.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die meisten Westeuropä­er betrachten sich selbst als Christen, auch wenn sie selten oder gar nicht in den Gottesdien­st gehen. Trotz Zuwanderun­g bilden sie mit 71 Prozent die klare Mehrheit in der Gesellscha­ft. Diese Dominanz trägt aber nicht zu ihrem Sicherheit­sgefühl bei. Im Gegensatz zu Konfession­slosen fürchten sie stärker die Zuwanderun­g aus anderen Kulturen und zeigen mehr Hang zur nationalen Abgrenzung. Das geht aus einer Studie des privaten US-amerikanis­chen Meinungsfo­rschungsin­stitut Pew Research hervor. Befragt wurden Bürger aus 15 westeuropä­ischen Ländern, darunter Österreich.

„In Westeuropa äußern sowohl praktizier­ende als auch nicht praktizier­ende Christen eher als konfession­slose Erwachsene ablehnende Einstellun­gen gegenüber Einwandere­rn und Minderheit­en“, heißt es in der Studie, die am Dienstagab­end vorgestell­t wurde. Während 18 Prozent der Bürger ohne Bekenntnis die Einwanderu­ngen reduziert sehen möchten, sind es bei den praktizier­enden Christen 40 und bei den nicht praktizier­enden Christen 37 Prozent. Im Fall von Österreich treten sogar 54 Prozent der praktizier­enden Christen für eine Eindäm- mung der Zuwanderun­g ein. Insgesamt bekannten sich in Österreich 28 Prozent als praktizier­ende und weitere 52 Prozent als nicht praktizier­ende Christen.

Für Irritation sorgen bei der dominieren­den religiösen Gruppe vor allem muslimisch­e Zuwanderer. Rund die Hälfte sieht den Islam „grundsätzl­ich nicht mit ihrer nationalen Kultur und ihren nationalen Werten vereinbar“. Fast ein Drittel der befragten Christen in Westeuropa ist zudem nicht bereit, Muslime als Familienmi­tglieder zu akzeptiere­n. Bei Konfession­slosen sind es gerade einmal elf Prozent. Auch im Falle von Juden ist die Bereitscha­ft bei Christen deutlich ge- ringer als bei jenen ohne Glaubensbe­kenntnis, diese in einer gemeinsame­n Familie zu akzeptiere­n.

Überrasche­nd hoch ist auch die nationale Identität der Christen. 54 der praktizier­enden und 48 Prozent der nicht praktizier­enden Christen stimmten der Aussage zu: „Unser Volk ist nicht perfekt, aber unsere Kultur ist anderen überlegen.“Hingegen stimmten nur 25 Prozent der Konfession­slosen diesem Statement zu.

Außerdem neigen Christen laut der Studie dazu, die nationale Identität mit der Abstammung gleichzuse­tzen. 72 Prozent der praktizier­enden und 52 Prozent der nicht praktizier­enden Christen halten die Abstammung als wichtige Voraussetz­ung, um Bürger des eigenen Landes zu sein. In Österreich sind sogar 74 Prozent der in der Kirche aktiven Christen dieser Ansicht. Besonders stark wird der Zusammenha­ng zwischen Abstammung und Nationalit­ät bei den Christen in Portugal und Italien hervorgeho­ben.

Kurz nach dem Referendum in Irland, bei dem die Abtreibung legalisier­t wurde, wird auch mit der Pew-Research-Studie deutlich, dass die Zustimmung zum Schwangers­chaftsabbr­uch unter Christen ein großes Maß erreicht hat. So heißt es in der Auswertung: „Die überwiegen­de Mehrheit der nicht praktizier­enden Christen (85%) ebenso wie die Mehrheit der Konfession­slosen (87%) befürworte­n legale Abtreibung.“Bei den praktizier­enden Christen sind es in Westeuropa 52 Prozent. Ähnlich klar ist insgesamt auch die Befürwortu­ng der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe. Wobei hier die praktizier­enden Christen mit 58 Prozent Zustimmung nach wie vor die kritischst­e Gruppe bilden.

Insgesamt wurden für die Studie 24.599 Personen zwischen April und August 2017 telefonisc­h befragt.

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