Die Presse

Der Parsifal aus dem Gölsental

Porträt. Tenor Andreas Schager singt beim Life Ball-Konzert zum Thema Heimat. Der ist er verbunden – trotz seines unglaublic­hen Karriereau­fstiegs.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Andreas Schager hat ein Stück aus seinem Kernrepert­oire ausgesucht. Nein, nicht aus dem Parsifal, auch wenn der inzwischen zu einem Lebens-Stück geworden ist, sondern aus dem Siegfried, wo es um den Ausbruch aus der Heimat geht. Siegfried schmiedet das Schwert, um endlich von seinem gehassten Ziehvater Mime fliehen zu können – das, sagt Schager, gehöre „genauso zur Heimat wie die Sehnsucht“.

Die Heimat ist das große Motto, wenn der Life Ball am Freitag im Rahmen seines 25-Jahr-Jubiläums zum Konzert ins Burgtheate­r lädt. Jonas Kaufmann ist dabei, Rene´ Pape und Hila Fahima – und Schager, zum ersten Mal. Es passt gut, wo er doch, nach seinem Hausdebüt an der Wiener Staatsoper im Dezember, nun mit dem Freischütz hier seine erste Premiere vorbereite­t. Dass der Niederöste­rreicher heute selbst 300 Tage im Jahr fern der Heimat ist, hat freilich weniger mit Flucht zu tun als mit einer ziemlich unglaublic­hen Karriere vom Lehramtsst­udenten über den Operettens­änger zum Wagner-Tenor, die auf einem einfachen Motto fußt: „Die Dinge auf sich zukommen zu lassen.“

Schagers Geschichte beginnt auf einem Bauernhof im Gölsental, mit einer glücklich klingenden Kindheit. Zwar gab es weder klassische Musik noch freie Wochenende­n, aber Letzteres habe rückblicke­nd viel für seinen Beruf gebracht: „Dass man nicht zwischen Freizeit und Arbeit trennt – das ist unerlässli­ch.“Die Familie war musikalisc­h, die Mutter hatte eine schöne Stimme, der Vater spielte das Akkordeon, die Brüder Ziehharmon­ika, Gitarre und Sax. Nach dem Ende der Heuarbeit im Sommer gab es auf dem kleinen Milchbetri­eb ein Fest, die Nachbarn kamen, es wurde gegrillt „und dabei musiziert, gesungen und geblödelt – im Prinzip“, scherzt Schager, „hat sich da bis heute nicht viel geändert.“

Nach dem Tod des Vaters kam er nach Melk ins Internat, er erinnert sich an aufgeschlo­ssene Priester, der Chor sollte eine wichtige Station werden. Später, Schager studierte in Wien schon Geschichte und Theologie, um Lehrer zu werden, lud ihn ein Schulfreun­d aus Melker Tagen in die Wiener Singakadem­ie. Sein erstes Stück war von Schönberg, der Dirigent ein gewisser Claudio Abbado. „Ich kannte den nicht, aber das war das Level, mit dem ich musikalisc­h groß geworden bin.“Das nächste Stück immerhin, Beethovens Neunte, war ihm geläufig, Simon Rattle hieß der Dirigent.

Schließlic­h wechselte er an die Musikuni, rutschte von dort „ziemlich rasch in die Operettens­chiene“. Es folgte das, was er heute seine Lehrjahre nennt: Tourneen mit Wiener Blut und der Csard´asfürstin´ durch Holland und Belgien. Da sei man, schildert Schager, dann in einem Hotel stationier­t, tuckert fünf, sechs Stunden mit dem Bus zum Aufführung­sort, gibt eine Doppelvors­tellung und fährt danach wieder ins Hotel. Immerhin: Als er seinen ers- ten Siegfried angeboten bekam, habe er die Notenblätt­er gezählt und festgestel­lt: Auch nicht mehr als zweimal Zigeunerba­ron. „Da habe ich gewusst, ich kann mir Wagner zutrauen.“

Zumal der Schritt von der Operette zu Wagner stimmlich ein viel kleinerer sei als in den Köpfen: „Vom Umfang und der Stimmart her ist es sehr ähnlich“, von Mozart zu Wagner wäre etwa ein viel weiterer Weg. Sein großes Glück sei freilich Gustav Kuhn in Erl gewesen, der ihn in Wagners Meistersin­gern besetzte. „Er hat in meiner Stimme die Wagner-Stimme entdeckt“, sagt Schager, „und den Mut gehabt, mich einzusetze­n.“

Keine Selbstvers­tändlichke­it, wie sich in Folge zeigen sollte. Das Schubladen­denken, Schager musste es „oft und oft“bemerken. „In vielen Fällen wird nur auf den Lebenslauf geschaut, und die Operette wird gering geschätzt. Oft wurde ich gar nicht zum Vorsingen eingeladen.“Eine der wichtigste­n von vielen wichtigen Begegnunge­n war wohl jene mit Daniel Barenboim, der auf Schagers Operettenv­ergangenhe­it nicht nur nicht herabsah, sondern sie zu schätzen wusste: „Dass man sich freier auf der Bühne bewegen kann und die Worte deutli-

wurde als Andreas Schagerl in Rohrbach an der Gölsen geboren, den letzten Buchstaben ließ er, eine Idee Hans Peter Haselstein­ers, irgendwann weg. Nach Jahren als Operettens­änger ist er heute ein gefeierter Wagner-Tenor, zukünftige Projekte führen ihn u. a. nach Bayreuth, an die Scala und die Met, am 11. Juni hat er in Wien als Freischütz Premiere. Am Freitag singt er beim Life + Celebratio­n Concert, Karten (40 bis 190 Euro) sind noch verfügbar: www.burgtheate­r.at cher spricht.“Barenboim holte Schager zu sich an die Berliner Staatsoper Unter den Linden, ließ ihn in der weltweit beobachtet­en Neuprodukt­ion des Parsifal als Neuling die Titelrolle singen. „Das bedeutet Mut und Vertrauen“, sagt der 47-Jährige. „Ich bin froh, dass ich dem standhalte­n konnte.“

Heute ist er tief in die Wagner-Welt hineingewa­chsen. „Wenn ich jetzt die ersten Akkorde höre, ist es wie eine andere Welt. Es kommen so viele Erinnerung­en, Gefühle, ich lebe das.“Und gerade Parsifal und Siegfried, „die liegen mir am Herzen. Vielleicht, weil sie mir am ähnlichste­n sind. Leute, die im Wald aufgewachs­en sind, mit der Natur, mit Tieren, die vielleicht auch mit der Hand in Flüssen gefischt haben.“Die alten Bekannten aus dem Gölsental reisen ihm jedenfalls treu hinterher, lassen sich von ihm für die Oper begeistern. Wagner einfach wie Filmmusik wirken zu lassen, rät er.

Inzwischen singt er die beiden großen Rollen auch in Bayreuth – seit dem Vorjahr den Parsifal als erster Österreich­er seit 55 Jahren, 2020 auch den Siegfried. Den hat – so viel Nationalst­olz darf sein – dort bisher überhaupt noch nie ein Österreich­er gesungen. Gerade der Parsifal scheint mit seinem Leben inzwischen eng verwoben. Seine Frau Lidia Baich hat er in einer Parsifal-Vorstellun­g kennengele­rnt, der gemeinsame Sohn kam vor sechs Wochen während des Pariser Parsifal zur Welt – er durfte für die Geburt die Hauptprobe schwänzen. Manchmal, seufzte der Regisseur, sei das Leben eben größer als die Kunst. Der zuständige Dirigent Philippe Jordan, künftiger Staatsoper­n-Musikdirek­tor, saß übrigens einst im Schlossthe­ater Schönbrunn in Schagers allererste­r Produktion. „Aber das“, lacht Schager, „hat er mir erst Jahrzehnte später verraten.“

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[ Akos Burg]

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