Die Presse

„Wir müssen uns verteidige­n können“

Interview. Europa sei für Schuldenkr­isen jetzt gerüstet, sagt Juncker-Berater Rainer Münz.

- VON NIKOLAUS JILCH

Die Presse: Kann man jungen Menschen die EU heute noch als Friedenspr­ojekt erklären? Rainer Münz: Für die Jugend von heute, für meine Kinder und ihre Altersgeno­ssen, ist der Zweite Weltkrieg so weit weg wie der Dreißigjäh­rige Krieg oder der Untergang des Weströmisc­hen Reiches. Das sind Ereignisse aus dem Geschichts­buch. Deswegen muss das Projekt EU an diesem Punkt neu definiert werden. Es geht heute darum, dass der Wohlstand und die Lebensform der Menschen in Europa bewahrt werden. Dazu müssen wir uns vor bestimmten Bedrohunge­n beschützen.

Die da wären? Es gibt militärisc­he, asymmetris­che Bedrohunge­n, etwa den Terrorismu­s. Es gibt Bedrohunge­n, die auf einer regulatori­schen Ebene kommen. Etwa, indem unsere Standards nicht mehr anerkannt werden. Das untergräbt die Fähigkeit Europas zur Normsetzun­g, und wir können unsere eigene Produktion nicht mehr eins zu eins in der Welt absetzen. Es gibt immer auch die Perspektiv­e militärisc­her Bedrohunge­n. Da schlagen wir einen Weg in Richtung von stärker integriert­en Armeen in Europa vor. Wir müssen uns verteidige­n können – unser Lebensmode­ll und unseren Wohlstand.

Wie hat die Eurokrise Europa verändert? Die Eurokrise hat relativ bald Auswirkung­en gehabt, wie etwa die Gründung des ESM, der eine Vorstufe zum Europäisch­en Währungsfo­nds ist. Auch werden heute mehr als hundert systemisch relevante Banken von einer europäisch­en Aufsicht kontrollie­rt und nach einheitlic­hen Kriterien beurteilt. Die Finanzkris­e wurde ursprüngli­ch aus den USA impor- tiert, aber hat uns bei hausgemach­ten Schwächen auf dem falschen Fuß erwischt. Da ging es um zu gering kapitalisi­erte Banken, die Frage der Überschuld­ung der EU-Staaten und in einigen Ländern Europas auch um einen überhitzte­n Immobilien­markt.

Sind wir auf neue Krisen jetzt besser vorbereite­t? Wir können Schuldenkr­isen kleiner und mittlerer EU-Staaten jetzt durch einen geregelten Mechanismu­s abfangen statt durch Ad-hocMaßnahm­en. Im Fall von Griechenla­nd wurden ja im Mai 2010 von einigen EU-Staaten Ad-hocKreditl­inien eingericht­et, um das Land vor dem Staatsbank­rott zu retten. Über Nacht. Das war eine Notsituati­on. Da sind wir heute besser aufgestell­t. Auch die Europäisch­e Zentralban­k hat Maßnahmen ergriffen, die vorher nur in theoretisc­hen Aufsätzen diskutiert worden sind: etwa der massive Aufkauf europäisch­er Staatsanle­ihen oder Negativzin­sen.

Was waren die Lehren aus der Migrations­krise? Während der Migrations­krise haben etliche Politiker gesagt, Europa habe versagt. Aber hier muss man die Kompetenzf­rage stellen. Der Euro ist eindeutig eine europäisch­e Angelegenh­eit, bei der die EZB und die EU-Kommission über klare Zuständigk­eiten verfügen,

will laut ihrem Vorschlag für das nächste Budget mehr Geld in Grenzschut­z und Verteidigu­ng stecken – und weniger in Landwirtsc­haft. Der Migrations­experte Rainer Münz, der seit 2015 die Juncker-Kommission berät, hat das Budget am Montag bei einem Workshop im Wiener Institut für Höhere Studien vorgestell­t. Münz war vor seinem Engagement in Brüssel als Chef der Forschung bei der Erste Group tätig. die nicht national definiert sind. Bei der Frage, wer als Nicht-EUBürger in einen EU-Staat einwandern darf, wer Asyl bekommt und wer wieder nach Hause geschickt wird, gibt es fast ausschließ­lich nationalst­aatliche Kompetenze­n. Die EU-Kommission stellt keine Visa aus, kann keine Aufenthalt­stitel, kein Asyl gewähren und niemanden in die Heimat schicken. Das verringert extrem den Brüssler Handlungss­pielraum. In der akuten Krisensitu­ation waren die Erwartunge­n an die EU erheblich größer als die Möglichkei­ten, die ihr von den Mitgliedss­taaten in den Verträgen eingeräumt werden.

Jetzt schlägt die Kommission auch vor, die Ausgaben für den Grenzschut­z drastisch zu erhöhen. Ist das eine Reaktion? Unsere Idee ist, dass wir nur dort mehr Geld in die Hand nehmen sollten, wo wir auch einen gemeinsame­n Mehrwert erzeugen. Die Integrität der Schengen-Zone zu erhalten und den Schutz der Außengrenz­en zu stärken, das erzeugt unserer Meinung nach solchen Mehrwert. Nur so kann man sich innerhalb des SchengenRa­ums bewegen, das gilt für Personen und Güter. Zugleich müssen Staaten mit einer Außengrenz­e besser unterstütz­t werden.

Wie wird die EU den Brexit im Budget verkraften? Wir wissen noch nicht genau, wie sich der Brexit ausgestalt­et. Im Maximalfal­l werden zehn bis 14 Mrd. Euro im EU-Budget fehlen. Aber wenn Großbritan­nien mit der EU assoziiert bleibt, dann würden wir wie von Norwegen und der Schweiz auch von Großbritan­nien einen Beitrag zum künftigen EU-Budget verlangen.

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