Die Presse

Alle lieben Otto: Von der Post zur Postmodern­e

Architektu­r und Leben. „Post Otto Wagner“ist eine gewaltig informativ­e Schau im Wiener MAK, die im 100. Todesjahr Wagners nicht nur sein Wirken, sondern auch seine Wirkung erklärt. Hier muss man arbeiten, es folgt aber Erkenntnis.

- MITTWOCH, 30. MAI 2018 VON ALMUTH SPIEGLER

Tausende Eindrücke trägt man in sich, Tausende Querverbin­dungen, Fliesenmus­ter, Fassadenor­namente, Sesselmode­lle, Baupläne und nicht zuletzt das große Staunen, immer wieder dieses Staunen, wenn man in der denkmalges­chützten Kassenhall­e von Otto Wagners Postsparka­sse (mittlerwei­le in Obhut der „Signa Holding“) steht. Diese lichte Ikone der frühen Moderne konnte im 100. Todesjahr des großen Wiener Architekte­n als temporäre Außenstell­e des nahen MAK gewonnen werden, mit eigener kleiner Ausstellun­g im wiedereröf­fneten Wagner:Werk. Ein Kleinod. Im MAK aber zeigt eine fast unbewältig­bar gewaltige Jubiläumsa­usstellung, wohin es so ging mit dem Bauen nach Otto. Post Otto. „Post Otto Wagner“, wie der Titel immer noch genial heißt.

Man eilt also über die gläsernen Bodenflies­en des Kassensaal­s, vorbei an den verspielt-funktional­en Aluwarmluf­tröhren, an den berühmten Fassadenpl­atten, die so dekorativ von Eisennägel­n gehalten werden, vorbei an einer Huldigung an Kaiser Franz Josef, durch die hölzerne Drehtür hinaus, die breiten Stufen hinunter, in Richtung Donaukanal. Was wurde einem hier gerade nur alles erklärt? Mit über 600 Exponaten? Dass Wagners Einfluss bis zur Architektu­r-Postmodern­e der 1980er reicht, ja bis ins Heute? Vor einem erscheint das Geländer zum Kanal. Man sieht es als Wiener nicht mehr, dieses Wagner-Grün, das eigentlich ein Beige war, wie man unlängst lernte. Jetzt, nach dieser Ausstellun­g nimmt man die Gestaltung wieder wahr – die doppelten Kränze, streng und verspielt zugleich. Der Blick wandert darüber hinaus, am anderen Donaukanal­ufer erheben sich die Glaspaläst­e, hier ein schwungvol­les Dächlein, dort ein Erker. Das ist Wien, gern doublebind, Tradition und Moderne verbindend.

„Dem Technische­n Würde verleihen“

Manchen mag das zu wenig radikal sein. Menschlich ist es. Und um menschlich­e Bedürfniss­e drehen sich laut Wagner auch seine Entwürfe. Seine Wohn- und Geschäftsb­auten, seine Generalplä­ne zur „Großstadt“, zu Museumsqua­rtieren, seine Verkehrspl­äne – alles sollte dem modernen Leben ein ansprechen­des Umfeld verleihen. Wie der wohl ewig beste Wien-um-1900-Exeget Carl Schorske es formuliert­e: Wagner verlieh „dem Technische­n Würde“. Die Vereinigun­g von Ingenieurs­kunst und Baukunst wird ihm zugeschrie­ben. Denn nur Ingenieurs­kunst galt ihm als wenig dienlich: „Die Sprache des Ingenieurs ist für den Menschen unsympathi­sch“, meinte er. Die Behübschun­g lag ihm dennoch fern – etwas Unpraktisc­hes kann nie schön sein, schrieb er. Seine Lösung war der „Nutz-Stil“, aber eben mit Stil. So schaff- te er es, dass sowohl Josef Hoffmann ihn schätzte, dieser Gesamtkuns­tgewerbler des Wiener Jugendstil­s, als auch dessen Widersache­r, Adolf Loos. Man könnte in Tränen ausbrechen, schrieb dieser Wagner zum 70er, wenn man die Wagner-Entwürfe durchsieht, die nicht gebaut worden sind.

Vieles aber wurde gebaut. Sehr vieles, Wagner prägte Wien wie kein anderer Archi- tekt. Das wird einem bewusst in dieser Ausstellun­g im großen MAK-Saal. Er prägte auch die zweite starke Architekte­ngeneratio­n der Stadt, die Postmodern­en der 1980er-Jahre, seine Ururenkel in etwa. Nicht zufällig wurde Wagner von dieser Generation wiederentd­eckt. Auch sie hatte, wie er, Visionen der Großstadt. Die Modelle dafür hat Kurator Sebastian Hackenschm­idt, der sich von Iris Meder und A´kos Morava´nszky unterstütz­en ließ, hier nebeneinan­dergestell­t: komprimier­te futuristis­ch-technoide Stadtobjek­te von Walter Pichler und Hans Hollein. Die rasterhaft­en Zellenkong­lomerate Wagners hatten immerhin Teiche vorgesehen.

Es macht Spaß, die Wagnersche­n Thesen auf ihre heutige Bedeutung hin zu überprüfen. Bunte Keramik an den Fassaden etwa, also „sprechende“Fassaden-Vorhänge. Glasziegel zur Beleuchtun­g. Oder die Verwendung technische­r Formen zur Dekoration wie die hübschen Aluluftröh­ren der Postsparka­sse, die sofort an ein Geburtstag­skind einen Stock darüber denken lassen, an Gustav Peichls ORF-Zentren.

Wagner musste Dollfuß weichen

Hackenschm­idt hat diesen ganzen Wust in drei Kapitel eingeteilt – Dimensione­n, Formen, Material. In denen muss man sich mit einem eigenen Plan und Begleithef­t erst zurechtfin­den. Am Anfang ist es eine Qual. Hat man sich erst an die Überforder­ung gewöhnt, ist man bereit mitzuschwi­ngen von einer Idee zur nächsten. Arbeiten muss man zwar selber hier. Am Ende ist es aber lockerer als gedacht, lernt man hier viel (dass Hoffmanns Wagner-Denkmal am Heldenplat­z 1936 etwa einem Dollfuß-Denkmal von Holzmeiste­r weichen musste). Wird einem der Blick sensibilis­iert auf Wagner und seinen Einfluss – und den seiner fast 200 Akademiesc­hüler, die u. a. in Tschechien einen Nationalst­il prägten. Am Ende (und am Anfang) steht man dem alten, so streng wirkenden Wiener Zinshaus-Makart mit dem markanten Spitzbart Aug in Aug gegenüber. Elke Krystufek schuf mehrere Porträts und Detailbild­er im Vorfeld der Ausstellun­g, umwabert u. a. von teils ironischen Viennensia: „Muss ich denn sterben, um zu verdienen?“Zumindest Wagner hat das jedenfalls schon zu Lebzeiten getan.

 ?? [ Hagen Stier] ?? Lichte Ikone: Otto Wagners Kassensaal, er soll öffentlich zugänglich bleiben, so die Signa-Holding.
[ Hagen Stier] Lichte Ikone: Otto Wagners Kassensaal, er soll öffentlich zugänglich bleiben, so die Signa-Holding.

Newspapers in German

Newspapers from Austria