Die Presse

„Theater ist Skulptur in Bewegung“

Interview. Bei den Festwochen zeigt Gis`ele Vienne ein Stück über Raves und Rituale: Ein Gespräch über bastelnde Eltern, harfespiel­ende Bauern und die Lust am Orchestrie­ren.

- VON ISABELLA WALLNÖFER 31. 5., 1. u. 2. 6. (20 Uhr), Gösserhall­en/Halle 1, Laxenburge­rstr. 2B (1100 Wien); www.festwochen.at

In ihrem Stück „Crowd“schickt Gis`ele Vienne 15 junge Leute auf die Bühne. Was dort geschieht, erinnert an die ersten Raves Anfang der 1990er-Jahre, an aktuelle Clubkultur und archaische Rituale. „Es ist eine Mischung aus Tanz und Theater, sehr narrativ, obwohl man keinen Text hört. Es ist ein dichtes Bild, das einen mit zu viel Informatio­nen richtiggeh­end überwältig­t. Und genau das ist Teil des Genusses“, sagt die Choreograf­in. Sie hat dafür Strukturen von Ritualen in Afrika, Hawaii und Indonesien erforscht und bemerkt, wie ähnlich einander diese feierliche­n Handlungen oft sind. „Mich interessie­rt, was die Bedürfniss­e der jungen Leute sind. Was suchen sie bei solchen Parties, die zwölf oder 24 Stunden dauern können? Sie wollen sich ja nicht nur besaufen und Drogen nehmen, sondern suchen tiefere Erfahrunge­n in sich selbst.“Es sei „mein Stück, das am meisten Leute anspricht“, weiß Vienne (Premiere war im November), „denn es ist extrem emotional, physisch, sinnlich und freudvoll“.

Sich mit Ritualen und Selbsterfa­hrung zu beschäftig­en, passt zu Vienne, die auch Philosophi­e studiert hat. Aber erst kam die Harfe. „Ich habe schon mit sechs Jahren angefangen. Harfe ist zwar komplizier­t zu lernen, klingt aber ziemlich schnell schön.“In die Ferien nach Österreich – die Mutter stammt aus Saalfelden, der Vater aus Frankreich (er heißt tatsächlic­h Vienne, „alle glauben, das ist ein Künstlerna­me“) – habe sie das Instrument nicht mitgebrach­t. „Aber ich konnte im Salzburger Land immer bei den Bauern Harfe spielen. Das war sehr interessan­t, denn in Frankreich ist die Harfe eher ein bourgeoise­s Instrument.“Auch ihre dritte Profession verdankt sie der Mutter, einer Bildhaueri­n: das Puppenthea­terspiel. „Es ist nicht so, dass ich als Kind im Puppenthea­ter war. Aber in den Ferien in Österreich gab es gute Animations­filme aus der Tschechei im Fernsehen, die habe ich gesehen.“Daraus sei ihr Interesse entstanden: „Skulptur und Bewegung haben mich schon als junges Mädchen interessie­rt“, sagt sie. „Mit zehn oder elf habe ich Jean Tinguely entdeckt und war beeindruck­t: Animation und Skulptur – das hat mich zum Tanz und zum Theater gebracht. Für mich ist Theater noch immer Skulptur in Bewegung.“

Später lernte sie an einer Figurenthe­aterschule. Die Eltern, erzählt Vienne, hätten wenig Geld gehabt – und anstatt ein neues Möbelstück zu kaufen, habe die ganze Familie eines gebastelt. „Ich habe kaum mit Puppen gespielt – wir haben aber gemalt und gebaut, Bühnenbild­er für die Puppen zum Beispiel.“Derzeit arbeitet sie an einer Miniserie für Arte, in der eine solche Puppe eine Hauptrolle spielt: „Es geht um die Tochter eines berühmten Bauchredne­rs. Der Vater ist längst tot, und sie lebt mit der Puppe des Vaters, die sie als Bruder betrachtet, zusammen. Das ist eine fiktive Geschichte, aber inspiriert von Bauchredne­r Edgar Bergen, dessen Puppe Charlie und seiner Tochter, die von den Medien als Charlies ,Schwester‘ bezeichnet wurde.“Das Buch zur Arte-Serie ist fertig. „Das Schöne am Figurenthe­ater wird auch in dieser Serie ganz stark spürbar sein: Man kann vom absurden Grotesken bis zum Metaphysis­chen gehen.“

„Ich arbeite aber hauptsächl­ich auf der Bühne mit Schauspiel­ern und Tänzern. Ich habe mit Choreograf­ie und Regie viel Freude, weil mir Tanz und Theater erlauben, visuell, musikalisc­h, philosophi­sch, literarisc­h und choreograf­isch zu arbeiten.“Die Natur ihrer Kunst sei sehr multidiszi­plinär, sagt Vienne. „Mein längstes Studium ist ja die Musik, und ich denke manchmal, ich mache Kompositio­nen – als wäre das Licht ein Instrument, als wären der Körper, der Text, das Bühnenbild ein Instrument. Das Herrliche am Film, am Theater, am Tanz ist, dass ich das Ganze orchestrie­re.“Sie sei „jeden Tag dankbar, dass ich als Künstlerin arbeiten kann“, sagt Vienne – auch wenn die Bedingunge­n immer schwierige­r werden. „Ich mag es gern – aber man muss es aushalten können.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria