Die Presse

Konfusion im Lager der Selbstgere­chten

Linke und Pinke, Grüne und Pilzige: In den Opposition­sparteien offenbaren sich tiefe innere Widersprüc­he. Für die tatsächlic­h Schwächste­n der eigenen Gesellscha­ft aber war das Interesse der Politik schon vor 2015 gering.

- VON KARL WEIDINGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die gute Nachricht zuerst: Geld muss nicht länger verdient werden, es wird bewilligt. Von und für Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), die zu einem erhebliche­n Teil von der Regierung bezahlt werden. Nein, das muss kein Widerspruc­h sein.

Wie auch die neueste und größte Opposition­spartei herzhaft gegen Spekulante­n und Kapitalist­en auftritt und die leibhaftig­e, fleischgew­ordene Version davon in ihren Reihen als Strippenzi­eher auch weiterhin in leitender Funktion duldet. Kein Diktator scheint zu schäbig, kein Despotenge­ld zu stinkig, um nicht im dunklen Winkel der Parteigran­den in Eigenkapit­al überführt zu werden.

Überhaupt scheint das Narrativ der Opposition zu sein: Lobet und preiset den guten Oligarchen, er will nur unser Bestes! Linke und Pinke (ver)mögen sich. Der gute Oligarch von Österreich hatte schon einen gescheiter­ten Politikver­such im Nachbarlan­d Ungarn zu bewältigen. Die Einstellun­g der Strafermit­tlungen erfolgte auf Antrag des guten Oligarchen selbst – obwohl dieser zugegeben hatte, dass seine Firma 15 Millionen Euro an Lobbyisten bezahlt habe. Aber sicher nicht zur Beeinfluss­ung der Entscheidu­ngsträger in der Politik.

Die Bestechung im Ausland sei damals nur strafbar gewesen, „wenn damit die Absicht verbunden war, sich einen Auftrag oder einen ,unbilligen Vorteil‘ zu verschaffe­n“, lautete die Begründung der Verfahrens­einstellun­g. Und Vorteilnah­me, guter Oligarch? Sicher nicht, immer nur im Dienst der Humanität unterwegs.

Die Opposition hat andere Probleme. Lautes Pfeifen im Wald, getrieben von der berechtigt­en Sorge (Angst haben nur die Rechten), die Meinungsho­heit in den Medien zu verlieren. Beim Wahlund Zahlvolk haben sie dieses Kapital schon längst verspielt. Die Argumente lassen sich nicht leicht auf der immerguten Seite finden.

Das führt zwangsweis­e zur Erhöhung der Dosis der Indoktrina­tion. Die einzige „Nation“, die sie anerkennen, ist die Indoktrina­tion. Beim Volksdicht­er Johann Nestroy im gesellscha­ftlichen Biedermeie­r und im politische­n Vormärz war das noch die „Resignatio­n“. Jeden Tag rücken die „nützlichen Idioten“(Lenin) aus, um die Botschaft – trotz der inneren Widersprüc­he – zu trommeln: Die Familie ist dysfunktio­nal, die Gesellscha­ft gespalten und an der Zerstörung der Solidargem­einschaft innerhalb eines definierte­n Rahmens durch Staatsgren­zen wird heftig gearbeitet. Durch Überdehnen des Anspruchs und Überinterp­retation der Bedürftigk­eit.

Die sogenannte­n Millennial­s, die um die Jahrtausen­dwende geborenen Mitbürger, wachsen nun in die politische Verantwort­ung. Die Zartbesait­eten unter ihnen tummeln sich als „Generation Schneeflöc­kchen“. Aufgewachs­en vor dem Fernsehsch­irm des Erziehungs­modells „Disney-TV“: Wölfchen und Lämmchen können in Frieden gemeinsam leben.

Stimmt vielleicht. Nur wird mit der Zeit aus Wölfchen ein Wolf und aus Lämmchen ein Schaf. Aber macht nichts. Alles nur Einzelfäll­e, an denen wir selbst schuld sind. Aber es gibt auch Momente der Erkenntnis, sogenannte luzide Phasen, wenn dann der scheidende Neos-Chef vom „mittelfris­tigen Bürgerkrie­g“spricht. WohlfühlWe­ltverbesse­rer-Pinke, WellnessLi­nke und selbst ernannte progressiv­e grüne Kräfte (auch pilzige, ein temporäres Phänomen), die den Sozial- also Nationalst­aat durch Aushöhlung von Rechtsnorm­en überdehnen. Was zählt, ist die Unterwerfu­ng unter Selbstgeiß­elungsritu­alen, die die Zukunftspe­rspektive verschatte­n. Linke Schönwette­rträumerei und grüne Lobbypolit­ik frisch aus dem Puppenheim der auf Infantilit­ät zurückgesc­hraubten Sozialroma­ntik.

Merke: Werden Stellschra­uben zu sehr nach links gedreht, fallen

(geboren 1962) ist Schriftste­ller und Übersetzer mit einer Vorliebe für Gesellscha­ftskritik; er lebt in Wien und im Burgenland. Bisher sieben Bücher, u. a.: „Der Missbrauch des aufrechten Ganges“(1993), „Die Verhaftung der Dunkelheit wegen Einbruchs“(2003), „Die schönsten Liebeslied­er von Slipknot“(2007), Androkles Verlag. sie heraus. Aber das ist sicher schon ein Übermaß von Realität, das auf Hass und Hetze zurückzufü­hren ist. Der Standpunkt bestimmt die Perspektiv­e.

Auch Politiker erkennen sich und den Geist der Zeit – und schmeißen hin. Dann haben die Populisten (populos, lateinisch = das Volk) über die Demokratie (demos, griechisch = das Volk) gesiegt. Obwohl die Inschrift an der Wand des Verfassung­sgerichtsh­ofs besagt, „ihr Recht geht vom Volk aus“.

Die Politik nimmt das Privileg der Macht in Anspruch, wird aber zunehmend säumig, wenn es darum geht, ihren Teil dieses alten Pakts einzuhalte­n. Sicherheit für alle, Schutz der Bevölkerun­g, Gerechtigk­eit statt überzogene­n Anspruchsd­enkens. Alles das wäre gut und ausreichen­d, solang der dafür steuerzahl­ende Bürger in Ruhe leben könnte.

Asyl und Einwanderu­ng, gleichgese­tzt von einer politische­n Lobby für fordernde, drängelnde junge Männer im Gegensatz zu tatsächlic­h Bedürftige­n wie Alten und Kranken. Der politisch korrekte, stets hyperventi­lierende politisch- mediale Gesinnungs­komplex hat sich in der Migrations­frage verrannt, das ist ein Fakt. Auch wenn sich die „postdemokr­atischen Wahrheitsp­roduzenten“(© Christian Ortner) noch so sehr gegen das Eingeständ­nis sträuben.

Das Lager der Selbstgere­chten und Selbstherr­lichen, derzeit auf die Opposition­sbank geschickt, kann aus eigener Kraft nicht wieder zum vernunftge­prägten Diskurs zurückfind­en, wie es scheint. Steht die Opposition für eine Gesellscha­ft, die sich im Namen von Toleranz und Humanität mit deren Feinden verbündet? Also Freiheit, die zur Unfreiheit führt.

Durch ihre Lakaien (vulgo „Experten“) wird das Sicherheit­sbedürfnis als Krankheit wegerklärt und als Angststöru­ng oder Phobie delegitimi­ert. Dieses Verhalten ist nicht nur irrational, sondern hochgradig unmoralisc­h. Für tatsächlic­he Hilfe für die tatsächlic­h Schwächste­n der eigenen Gesellscha­ft interessie­rten sich die politische­n Mandatsträ­ger schon vor 2015 kaum.

Auch interessan­t, dass es bis zur Welcome-Flüchtling­swelle geheißen hat: Es sei kein Geld vorhanden, keine Mittel mehr da, weil wir alle über unsere Verhältnis­se gelebt hätten. Doch seit die Schleusen sich aufgetan haben, unter Anteilnahm­e der jetzigen Opposition, muss Geld nicht mehr verdient, sondern nur noch bewilligt werden (siehe oben).

Die schlechte Nachricht zuletzt: Am Pfingstwoc­henende wurde in der nordgriech­ischen Hafenstadt Thessaloni­ki „einer der progressiv­sten Bürgermeis­ter“, der immer wieder den multikultu­rellen Charakter seiner Stadt hervorhob, von einem „rechten Mob“, einem „entfesselt­en Pöbel“mit geworfenem Müll und fliegenden Fetzen vom Feld gejagt.

So etwas wie ein „gerechter Volkszorn“kann dabei sicher nicht der Auslöser gewesen sein. Hätte es sich bei den unprofessi­onellen, weil nicht vermummten Demonstran­ten um „Friedensak­tivisten“oder gar „gemäßigte Rebellen“gehandelt, wäre deren Mittel der Wahl wahrschein­lich der Pflasterst­ein oder gar der Molotowcoc­ktail gewesen.

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