Die Presse

Eine Frau ist nicht bloß ein Behälter für einen anderen Menschen

Wohin führt es, wenn Frauen zum Gebären in den Dienst genommen werden? Margaret Atwood beschrieb es in ihrem Roman „The Handmaid’s Tale“ganz genau.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Für Irlands Frauen ist vor ein paar Tagen etwas Großes passiert. Erstmals sind sie wieder im Vollbesitz ihrer Menschenre­chte, insbesonde­re ihres Rechts auf Leben, Gesundheit und Unversehrt­heit. Bei der Volksabsti­mmung am vergangene­n Freitag stimmten zwei Drittel der Iren nicht bloß für ein Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch, sondern – viel grundsätzl­icher – für die Aufhebung einer Verfassung­sbestimmun­g, die im modernen Europa einzigarti­g ist: Paragraf 8 legte bisher fest, dass das Lebensrech­t eines Ungeborene­n gleich schwer wiegt wie das Lebensrech­t einer Frau und dass der Staat garantiert, Ersteres zu schützen und zu verteidige­n – auch gegenüber der Schwangere­n.

Ob es sich beim „Ungeborene­n“um eine befruchtet­e Eizelle, eine Blastozyst­e, einen Embryo, einen Fötus, ein todkrankes oder ein lebensfähi­ges ungeborene­s Baby handelt, wurde dabei nicht unterschie­den; in jeder Form bekam das Wesen im Mutterleib denselben Wert als Mensch zugeschrie­ben wie die Frau, die es austrug. Was den tragischen vermeidbar­en Tod mehrerer Frauen zur Folge hatte, die vom irischen Staat dazu gezwungen worden waren, ungewollte Schwangers­chaften fortzuführ­en; obwohl klar war, dass sie damit ihre Gesundheit oder gar ihr Leben gefährdete­n.

So deutlich wie in Irland wurde schon lang nicht mehr klar, worum es beim Recht auf Abtreibung im Kern eigentlich geht: nämlich darum, eine Frau als vollwertig­en, vernunftbe­gabten Menschen zu begreifen, der in der Lage ist, Verantwort­ung für seinen eigenen Körper zu übernehmen. Und nicht bloß als Körperhüll­e, die dazu dient, die Versorgung eines Babys mit Blut und Nährstoffe­n sicherzust­ellen, während jemand anderer die Entscheidu­ngen über die höheren Ziele der Fortpflanz­ung trifft.

Wer diesen existenzie­llen Konflikt, dem Frauen seit Jahrhunder­ten ausgesetzt sind, bis zum Ende durchdenke­n will, dem sei Margaret Atwoods großartige­r Roman „The Handmaid’s Tale“ans Herz gelegt (die zweite Staffel der ebenfalls großartige­n Serienverf­ilmung ging eben, mit Elisabeth Moss in der Hauptrolle, beim Videoporta­l Hulu online).

Atwood zeichnet darin das düstere Zukunftsbi­ld einer Gesellscha­ft, in der Fruchtbark­eit rar geworden ist und Fortpflanz­ung deswegen einem rigiden, religiös verbrämten staatliche­n Zwangssyst­em unterworfe­n wird. Den wenigen fruchtbare­n Frauen werden die eigenen Männer und Kinder weggenomme­n; sie verlieren ihre Namen, werden stattdesse­n mit Nummern markiert, kaserniert, auf totale Unterwerfu­ng getrimmt.

Jeweils eine dieser Frauen wird anschließe­nd einem Ehepaar der herrschend­en Kaste als Gebärerin zugeteilt. Offred heißt diese Gebärerin etwa, wenn Fred der Name des Haushaltsv­orstands ist. In der Öffentlich­keit trägt sie ein rotes Gewand, um ihre Funktion sichtbar zu machen. Kontakt zu anderen Menschen ist untersagt; Scheuklapp­en um ihr Gesicht sollen Kommunikat­ion verhindern. In regelmäßig­en Abständen wird sie, von einem staatliche­n Transports­ervice bewacht, zum Gynäkologe­n gekarrt, der – wie beim TÜV – ihre Fortpflanz­ungsorgane kontrollie­rt.

Den Erforderni­ssen einer Empfängnis entspreche­nd, wird sie gut ernährt. Der Geschlecht­sverkehr mit dem Ehemann findet in Anwesenhei­t der Ehefrau statt. Klappt die Befruchtun­g trotz aller Bemühungen nicht, wird die Gebärerin nach ein paar Monaten durch die nächste ersetzt. Und entsorgt. Wertschätz­ung erfahren Gebärerinn­en ausschließ­lich in den Monaten ihrer Schwangers­chaft. „Wir sind eine nationale Ressource“, sagt Offred. „Wir sind Behälter. Es ist nur das Innere unserer Körper, das wichtig ist.“

Irland beschloss seinen Verfassung­szusatz im Oktober 1983. Kurz darauf erschien Margaret Atwoods Roman. „Eine Frau zur Mutterscha­ft zu zwingen ist eine Art Sklaverei“, sagt die Schriftste­llerin. Sie lebt, fast 80-jährig, in Kanada. Gott sei Dank hat sie das irische Referendum noch erlebt.

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VON SIBYLLE HAMANN

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