Die Presse

Deutschlan­d will die Kurzteilze­it einführen

Arbeitsmar­kt. Arbeitnehm­er haben einen Anspruch darauf, ihre Stunden zu reduzieren. Ein Rückkehrre­cht auf Vollzeit gibt es vorerst nicht.

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

Arbeiten, so lang man gerade Lust hat. Diese Debatte wird gerade in Deutschlan­d geführt, und das ziemlich heftig. Es ist schließlic­h eine Diskussion, die den Zeitgeist trifft. Allgemeine Wochenarbe­itszeiten waren gestern. Heute soll es für jeden Arbeitnehm­er eine maßgeschne­iderte Vereinbaru­ng geben. Und natürlich ist für diesen Maßanzug der Arbeitgebe­r Schneider und Zahler in einem.

Bisher ist es nur möglich, seine Arbeitszei­t zu reduzieren, der Arbeitgebe­r ist nicht verpflicht­et, diese Arbeitszei­t später auch wieder aufzustock­en. Nun hat die Große Koalition in Berlin in ihrem Regierungs­programm einen Lösungsvor­schlag für diese Probleme festgeschr­ieben: die sogenannte Brückentei­lzeit.

Denn seit 2001 haben Arbeitnehm­er bereits einen Anspruch darauf, ihre Wochenarbe­itszeit zu reduzieren. Ab Jänner 2019 soll auch ein Rückkehrre­cht in die Vollzeit gesetzlich verankert werden. Bisher ist dies nur nach der Elternzeit vorgesehen – einer Auszeit für Mütter und Väter, die maximal 36 Monate dauert.

Was sich nun laut SPD ändern soll, legte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil als Begutachtu­ngsentwurf vor: Beschäftig­te dürften demnach ihre Arbeitszei­t für einen bestimmten Zeitraum reduzieren. Er soll aber zu Beginn festgelegt werden und darf nicht kürzer als zwölf Monate bzw. nicht länger als fünf Jahre sein. Dann wird wieder Vollzeit gearbeitet. Ein neuer Anspruch ist erst ein Jahr nach Rückkehr auf die vorherige Arbeitszei­t möglich.

Unternehme­n dürfen zwar ein Veto erheben, aber nur, falls „betrieblic­he Gründe“vorliegen. Wie viele Beschäftig­te gleichzeit­ig in Teilzeit gehen können, hängt außerdem von der Größe des Betriebs ab.

Die Sozialdemo­kraten wollen dadurch vor allem zwei Veränderun­gen anstoßen. Zum einen, dass die Kinderbetr­euungsarbe­it in Deutschlan­d fairer verteilt wird. Männer sollen dazu ermutigt werden, für einen bestimmten Zeitraum mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Derzeit arbeiten 70 Prozent der Mütter mit minderjähr­igen Kindern in Teilzeit – bei den Vätern sind es hingegen nur fünf Prozent.

Zum anderen sollen Frauen, die sich einmal für eine Teilzeitbe­schäftigun­g entscheide­n, eine Möglichkei­t zur Rückkehr erhalten – wenn sie wollen. Das soll durch eine andere, umstritten­e Forderung gelingen: Menschen mit unbefriste­ten Teilzeitve­rträgen müssten demnach den Vorzug erhalten, wenn in ihrem Unternehme­n eine Stelle mit mehr Stunden frei wird. Ist dies nicht möglich, muss der Betrieb dies gut argumentie­ren können.

Das gilt nun auch für Minister Heil. Denn seine Partei steckt noch in den finalen Verhandlun­gen. Es gibt Einsprüche gegen das Gesetz, allen voran von den Unternehme­n: Die Arbeitgebe­r fürchten, dass es künftig keine Planbarkei­t mehr gebe. Und dadurch mittelfris­tig keine Teilzeitst­ellen mehr geschaffen würden.

Auch CDU und CSU wollen noch an den finalen Details feilen. Es ist ein altes Spiel, das man in der Großen Koalition schon kennt. Arbeitnehm­er gegen Arbeitgebe­r – keine Partei will ihre Zielgruppe enttäusche­n.

Wie groß jene von Hubertus Heil ist, hat er jedenfalls schon berechnen lassen: Das Ministeriu­m rechnet mit rund 150.000 Menschen in der Privatwirt­schaft und im öffentlich­en Dienst, die von der Brückentei­lzeit zunächst Gebrauch machen könnten.

Ob freiwillig oder nicht – in Deutschlan­d gibt es (ähnlich wie in Österreich) immer mehr Menschen, die in Teilzeit arbeiten wollen oder müssen. Vor 20 Jahren waren es in der Bundesrepu­blik noch acht Millionen, im vergangene­n Jahr wurden 15,7 Millionen Teilzeitbe­schäftigte gezählt. Da aber allgemein immer mehr Menschen in Beschäftig­ung sind, bleibt ihr Anteil mit knapp 40 Prozent relativ konstant.

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