Fußball im Hochkulturtempel mit netten Fans
Theater an der Wien. Die charmante Fanklubshow „Stadium“erfreute bei Wiens Festwochen. Sie erzählt freilich nur einen Teil der Wahrheit.
Festwochen-Intendant Tomas Zierhofer-Kin wirkt in Interviews beleidigt: Das Publikum versteht seine Position nicht. Er will ein Kontrastprogramm zur Wien-Kultur bieten, die ihm zu elitär erscheint. Irritiert wirken auch manche Festwochen-Besucher, pikiert rücken sie bei Veranstaltungen ab von vermeintlichen Eindringlingen aus dem Volk. Seid nicht so grantig, liebe Leute! Sommer ist – und Fußball geht uns alle an, auch wenn er im prächtigen historischen Bühnenraum stattfindet. Im Theater an der Wien zeigte Mohamed El Khatib, Franzose mit marokkanischen Wurzeln, seine Fanshow „Stadium“.
Der Fußballfan hat nicht nur bei manchen Schöngeistern einen Hautgout. Das sind diese Kerle und Kerlinnen, die zu viel Bier saufen und randalieren. Auch vorm Theater an der Wien steht ein Stand, wo man Pommes, Wurst und Bier kaufen kann, die Pommes sind Familienportionen, um diese zu verzehren, ist die Pause zu kurz.
El Khatib wählte als Exempel den Arbeiterklub RC Lens und fügte Elemente von Rapid ein. Die Show ist französisch dominiert, und es gibt, trotz Übersetzung, einige Insiderschmähs, die nicht so gut zu verstehen sind. Aber das meiste kommt rüber, hier eine Auswahl: Die Lens-Fans stammen aus einer Bergbaugegend, wo die Minen noch immer besungen werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, geht studieren, riet man den Jungen, erzählt ein Bursch, aber das bringe auch keinen Job. Capos ordnen die Choreografie und andere Wirbel auf der Tribüne. El Khatib organisiert sein Spektakel, ein Capo kritisiert ihn: Warum wird bei der Schilderung von Fans immer die Gewalt in den Vordergrund gerückt und nicht auch polizeiliche Willkürakte? Fans sorgen für dichte Atmosphäre – wie sie dem Theater oft fehlt.
Da alles vorhersehbar ist, erklärt einer der Mitwirkenden, im Fußball kann sich alles blitzschnell ändern. Und nicht jeder Ultra ist ein Hooligan, sprich es gibt begeisterte Fans, die auch einmal laut werden, aber nicht prügeln. Besonders bezaubert die Fußball-Oma, die via Skype zugeschaltet wird und gerade ihren 85. Geburtstag feiert. Auf der Bühne sind ihre zahllosen Nachkommen versammelt. Ein Mann schwingt eine gewaltige Fahne, seine Mutter hat sie genäht, sie war kein Fußballfan, jetzt ist sie tot: Zur Erinnerung nimmt er die Fahne zu jedem Match mit. Eine Cheerleaderin erzählt, warum ihr das Tanzen Selbstbewusstsein gegeben hat. Erst wurde die junge Frau abgelehnt, weil sie zu rundlich war. Nun hat sie keine Scheu mehr, aus sich herauszugehen.
Der Herr, der das Lens-Maskottchen Momo, einen bunten Hund mit Schlappohren, spielt, hat früher bei Pina Bausch und William Forsythe getanzt. Jetzt geniert er sich ein bisschen, wenn seine kleine Tochter ihn fragt, was er beruflich so mache. Hier begrüßt er seine Maskottchenkollegen, mit denen er einmal im Jahr einen Konvent abhält. Ein Gockel ist dabei, und das Rapid-Maskottchen, ein grün-weiß gestreifter Fußball mit Kappe. Am Schluss singt die Truppe vor dem Theater die „Marseillaise“. Plötzlich schreit ein grau melierter Gentleman im Anzug: „Austria!!!“Dann schaut er ringsum in leicht beunruhigte Gesichter und meint entschuldigend: „Das musste jetzt sein.“
Die Performance versetzte Fußballaffine und Fernstehende in beste Laune. Freilich: Spitzensport, auch Fußball, ist Kampf. Das darf man nicht vergessen. „Stadium“ist recht erfinderisch gebaut, zielt auf Friedensstiftung – und hat dabei etwas Kindliches, Glättendes. Das ist nur ein Teil der Wahrheit: Im Stadion kommen alle Klassen zusammen, im Stadion gibt es aber auch Tumulte, auf deren tiefere Ursachen wird hier wenig eingegangen. Ein weiterer Einwand: Die Atmosphäre in einem echten Stadion, egal, ob feindselig oder begeistert, ist viel lebendiger. Die Fusionierung von Kunst und Sport funktioniert (zum Beispiel anders als in Elfriede Jelineks grandiosem „Sportstück“) nur bedingt. Aber Spaß hat’s gemacht.
Die Fusion der Klassen funktioniert noch nicht ganz, die Fusion der Künste ist aber inzwischen perfekt. Es gibt viel „bildende“und Multimedia. Aber auch ein paar Stammgäste sind willkommen, etwa Christoph Marthaler, der ab 4. Juni seine neue Kreation, „Tiefer Schweb“, vorstellt: Flüchtlinge gegen Experten (Theater an der Wien). Poesie, Choreografie sowie der wachsende Gap zwischen dem Privaten und der Politik: „La Plaza“(7.–9. 6. Akzent). Ab heute, 1. Juni (bis 3., ebenfalls im Akzent): „Die Selbstmordschwestern“von Susanne Kennedy nach dem Roman von Jeffrey Eugenides („Virgin Suicides“).