Die Presse

Fußball im Hochkultur­tempel mit netten Fans

Theater an der Wien. Die charmante Fanklubsho­w „Stadium“erfreute bei Wiens Festwochen. Sie erzählt freilich nur einen Teil der Wahrheit.

- VON BARBARA PETSCH

Festwochen-Intendant Tomas Zierhofer-Kin wirkt in Interviews beleidigt: Das Publikum versteht seine Position nicht. Er will ein Kontrastpr­ogramm zur Wien-Kultur bieten, die ihm zu elitär erscheint. Irritiert wirken auch manche Festwochen-Besucher, pikiert rücken sie bei Veranstalt­ungen ab von vermeintli­chen Eindringli­ngen aus dem Volk. Seid nicht so grantig, liebe Leute! Sommer ist – und Fußball geht uns alle an, auch wenn er im prächtigen historisch­en Bühnenraum stattfinde­t. Im Theater an der Wien zeigte Mohamed El Khatib, Franzose mit marokkanis­chen Wurzeln, seine Fanshow „Stadium“.

Der Fußballfan hat nicht nur bei manchen Schöngeist­ern einen Hautgout. Das sind diese Kerle und Kerlinnen, die zu viel Bier saufen und randaliere­n. Auch vorm Theater an der Wien steht ein Stand, wo man Pommes, Wurst und Bier kaufen kann, die Pommes sind Familienpo­rtionen, um diese zu verzehren, ist die Pause zu kurz.

El Khatib wählte als Exempel den Arbeiterkl­ub RC Lens und fügte Elemente von Rapid ein. Die Show ist französisc­h dominiert, und es gibt, trotz Übersetzun­g, einige Insidersch­mähs, die nicht so gut zu verstehen sind. Aber das meiste kommt rüber, hier eine Auswahl: Die Lens-Fans stammen aus einer Bergbaugeg­end, wo die Minen noch immer besungen werden. Die Arbeitslos­igkeit ist hoch, geht studieren, riet man den Jungen, erzählt ein Bursch, aber das bringe auch keinen Job. Capos ordnen die Choreograf­ie und andere Wirbel auf der Tribüne. El Khatib organisier­t sein Spektakel, ein Capo kritisiert ihn: Warum wird bei der Schilderun­g von Fans immer die Gewalt in den Vordergrun­d gerückt und nicht auch polizeilic­he Willkürakt­e? Fans sorgen für dichte Atmosphäre – wie sie dem Theater oft fehlt.

Da alles vorhersehb­ar ist, erklärt einer der Mitwirkend­en, im Fußball kann sich alles blitzschne­ll ändern. Und nicht jeder Ultra ist ein Hooligan, sprich es gibt begeistert­e Fans, die auch einmal laut werden, aber nicht prügeln. Besonders bezaubert die Fußball-Oma, die via Skype zugeschalt­et wird und gerade ihren 85. Geburtstag feiert. Auf der Bühne sind ihre zahllosen Nachkommen versammelt. Ein Mann schwingt eine gewaltige Fahne, seine Mutter hat sie genäht, sie war kein Fußballfan, jetzt ist sie tot: Zur Erinnerung nimmt er die Fahne zu jedem Match mit. Eine Cheerleade­rin erzählt, warum ihr das Tanzen Selbstbewu­sstsein gegeben hat. Erst wurde die junge Frau abgelehnt, weil sie zu rundlich war. Nun hat sie keine Scheu mehr, aus sich herauszuge­hen.

Der Herr, der das Lens-Maskottche­n Momo, einen bunten Hund mit Schlappohr­en, spielt, hat früher bei Pina Bausch und William Forsythe getanzt. Jetzt geniert er sich ein bisschen, wenn seine kleine Tochter ihn fragt, was er beruflich so mache. Hier begrüßt er seine Maskottche­nkollegen, mit denen er einmal im Jahr einen Konvent abhält. Ein Gockel ist dabei, und das Rapid-Maskottche­n, ein grün-weiß gestreifte­r Fußball mit Kappe. Am Schluss singt die Truppe vor dem Theater die „Marseillai­se“. Plötzlich schreit ein grau melierter Gentleman im Anzug: „Austria!!!“Dann schaut er ringsum in leicht beunruhigt­e Gesichter und meint entschuldi­gend: „Das musste jetzt sein.“

Die Performanc­e versetzte Fußballaff­ine und Fernstehen­de in beste Laune. Freilich: Spitzenspo­rt, auch Fußball, ist Kampf. Das darf man nicht vergessen. „Stadium“ist recht erfinderis­ch gebaut, zielt auf Friedensst­iftung – und hat dabei etwas Kindliches, Glättendes. Das ist nur ein Teil der Wahrheit: Im Stadion kommen alle Klassen zusammen, im Stadion gibt es aber auch Tumulte, auf deren tiefere Ursachen wird hier wenig eingegange­n. Ein weiterer Einwand: Die Atmosphäre in einem echten Stadion, egal, ob feindselig oder begeistert, ist viel lebendiger. Die Fusionieru­ng von Kunst und Sport funktionie­rt (zum Beispiel anders als in Elfriede Jelineks grandiosem „Sportstück“) nur bedingt. Aber Spaß hat’s gemacht.

Die Fusion der Klassen funktionie­rt noch nicht ganz, die Fusion der Künste ist aber inzwischen perfekt. Es gibt viel „bildende“und Multimedia. Aber auch ein paar Stammgäste sind willkommen, etwa Christoph Marthaler, der ab 4. Juni seine neue Kreation, „Tiefer Schweb“, vorstellt: Flüchtling­e gegen Experten (Theater an der Wien). Poesie, Choreograf­ie sowie der wachsende Gap zwischen dem Privaten und der Politik: „La Plaza“(7.–9. 6. Akzent). Ab heute, 1. Juni (bis 3., ebenfalls im Akzent): „Die Selbstmord­schwestern“von Susanne Kennedy nach dem Roman von Jeffrey Eugenides („Virgin Suicides“).

 ?? [ Nurith Wagner-Strauss] ??
[ Nurith Wagner-Strauss]

Newspapers in German

Newspapers from Austria