In Linz stirbt Thomas Mann selbst
Musiktheater. Brittens „Death in Venice“– auf hohem musikalischen und szenischen Niveau – und Tschaikowskys „Eugen Onegin“laufen derzeit im 2013 eröffneten Haus.
Von Eros zu Thanatos, von Liebe und Schönheit in den Tod getrieben wird Gustav Aschenbach, die Hauptfigur in Thomas Manns „Der Tod in Venedig“und Benjamin Brittens auf dieser Novelle basierender Oper „Death in Venice“. Die Identifikationsangebote für diese Künstlerfigur sind vielfältig: von Thomas Mann über Britten (der diese, seine letzte Oper auch als Liebeserklärung an seinen Lebensgefährten, Peter Pears, geschrieben haben soll) bis zu Gustav Mahler, dessen Musik Luchino Visconti nicht zufällig für seine Verfilmung wählte.
Der Linzer Intendant, Hermann Schneider, entschied sich als Regisseur nun für einen in seinem Arbeitszimmer träumenden Thomas Mann. In einem nach innen gerichteten Monolog erlebt Aschenbach auf dem Sofa nochmals die Stationen seines Lebens und die Krisen seines Schaffens, nach jahrelanger Beherrschung zerbricht er an der Spannung der Leidenschaften, zwischen Zwang zur formalen Ordnung von Leben und Arbeit und verhängnisvollem Streben nach formvollendeter Schönheit.
Schneider erzählt das ohne viel Schnörkel und überflüssige Kommentare, Tenor Hans Schöpflin als Aschenbach ist dementsprechend verlässlich. Für Ensembleszenen öffnet sich der Raum der peniblen Großbürgerlichkeit, damit Hotelgäste, diverse Chargen und die meist Gymnastik treibende Jeunesse doree´ um den idealisierten Jüngling Tadzio Platz haben. Im Hintergrund gewähren Videos von verhaltener älterer Technik venezianische Atmosphäre von Sinnesfreude wie morbider Zweideutigkeit. Dazu aus dem Graben die schlagzeugbetonten Kommentare des Bruckner-Orchesters unter der Leitung von Roland Böer.
Britten und seine Librettistin, Myfanwy Piper, aber wollten dem angezählten Poeten Aschenbach das Terrain nicht allein überlassen. Sie schufen einen Gegenpart, der nicht weniger als acht Charaktere, meist diabolische, auf die Bühne bringen darf: vom Reisenden bis zum Hotelmanager, vom alten Gondoliere bis zum Coiffeur, vom Straßensänger bis zur Stimme des Apollo. Man kann ja auch darüber diskutieren, ob nicht doch der Mephisto die dankbarere Rolle als der Faust sei – bei „Tod in Venedig“räumt jedenfalls der Linzer Ensemble-Bariton Martin Achrainer als Aschenbachs Alter Ego ab. Ein präziser, wandlungsfähiger Sängerdarsteller voll famoser Ecken und Kanten, wenn er nur den richtigen Regisseur hat.
In der Aprilproduktion des Linzer Musiktheaters, „Eugen Onegin“, inszeniert von Gregor Horres, spielt Achrainer die Titelpartie, die er über weite Strecken mit statischer Arroganz auszufüllen hat: Erst im Schlussbild zeigt seine markante, im Fundament bestens abgesicherte Stimme Kontur und Wirkung – Kunststück, da hat er auch eine fabelhafte Tajana (die Polin Izabela Matuła) zur Seite: ein schöner, tragfähiger Sopran mit sicheren, metallischen Höhen. Die Gästepolitik scheint in Linz zu funktionieren, und auch im Ensemble stimmt einiges (etwa der Fürst Gremin von Michael Wagner). Die atmosphärisch nicht einfach darzustellende Tschaikowsky-Oper besticht jedenfalls durch musikalische Wirkungskraft (es dirigiert der erst 35-jährige Leslie Suganandarahjah), während die Bühnenoptik sich in bescheidenen Beiträgen verliert: Viele Sessel (vielleicht symbolhaft für die „Gesellschaft“) stehen in allen Schräglagen des Bühnenbodens – als hätte Christoph Marthaler, der Weltmeister des Inszenierens mit Stühlen, einen Räumungsverkauf ausgerufen. Platt ist auch der Einfall, bei Tatjanas Briefszene Onegin als Traumfigur auf die Bühne zu schicken.
Zurück in die banale Wirklichkeit: Dem Linzer Landestheater wurde überraschend die Subvention für das Kalenderjahr 2018 um 2,4 Millionen Euro gekürzt, das entspricht fast sieben Prozent des operativen Budgets. Vorerst konnte Intendant Schneider die Löcher durch „Umschichtungen“stopfen – sprich: Investitionen von anderen Budgetposten wegnehmen –, doch er mahnt im Gespräch mit der „Presse“, dass sich all diese Tricks auf das künstlerische Niveau auswirkten. Jedenfalls fühlt er sich von der Politik nicht für seine Erfolge bestraft – „Ich bin da leidenschaftslos“–, und er blickt zuversichtlich den bevorstehenden Budgetverhandlungen entgegen. Auslastungs- und Besucherzahlen sprechen jedenfalls für die Intendanz des Musiktheaters. Dieses hat Wagners „Ring“bereits herausgebracht. „Weißt du, wie das wird?“, singen die besorgten Nornen in der „Götterdämmerung“– ob die Kulturpolitiker das verstanden haben?