Streit ums Geld nach Flugausfall
Fluggastrechte. Fälle, in denen Fluggäste mit Airlines um Entschädigungen streiten, könnten sich häufen. Die aktuelle EuGH-Judikatur habe eine Büchse der Pandora geöffnet, sagt ein Anwalt.
Auch das gehört zur Hauptreisezeit, die nun bald beginnt: Flugverspätungen und Flugausfälle, die so manchem den Urlaub vermiesen und Anlass für zahllose Rechtsstreitigkeiten sind. Das liegt allein schon an der großen Anzahl der Betroffenen bei jedem einzelnen Vorfall. „Wir haben rund 2000 Fälle pro Jahr, und es gibt sehr viel mehr“, sagt Rechtsanwalt Gerald Gries, Partner in der Kanzlei SSFP.
Und es könnten noch mehr werden: Vor einigen Wochen hat der EuGH die Möglichkeiten für Fluggäste, Entschädigungsansprüche geltend zu machen, erweitert. Er entschied, dass auch bei einem „wilden Streik“des Flugpersonals den Passagieren eine Entschädigung zustehen kann (C 195/17 u. a.). Welche Folgen wird das haben? Gries ist skeptisch: „Es wurde eine Büchse der Pandora geöffnet.“Und zwar für beide Seiten, „denn was der EuGH gesagt hat, ist nur ein ,Vielleicht‘. Wie ein solcher Rechtsstreit ausgeht, weiß niemand.“
Aber von Anfang an: Der Anlassfall ereignete sich im Herbst 2016, es ging um massenhafte Krankmeldungen des Personals von Tuifly. Zuvor hatte das Management Umstrukturierungen angekündigt. Im Zeitraum vom dritten bis achten Oktober mussten viele Flüge gestrichen werden, auch große Verspätungen gab es. Das Ereignis wurde als wilder Streik gedeutet. Betroffene Fluggäste machten Ausgleichsleistungen aufgrund der EU-FluggastrechteVerordnung geltend, die Fluglinie wehrte sich dagegen und berief sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.
Vorhersehbar oder nicht?
Der EuGH habe in der Vergangenheit auch bereits so entschieden, sagt Gries. Diesmal gab der Generalanwalt in seinem Schlussantrag ebenfalls der Fluggesellschaft recht – die Richter kamen jedoch zu einem anderen Ergebnis. Zwar könne ein Streik außergewöhnli- che Umstände begründen, das sei aber nicht immer der Fall, befanden sie. Sondern nur dann, wenn das Vorkommnis „nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Unternehmens ist und es von ihm tatsächlich nicht beherrschbar ist“.
Umstrukturierungen seien jedoch in Unternehmen nicht ungewöhnlich, und ebenso wenig, dass es dadurch zu Konflikten mit der Belegschaft kommen könne. Das Risiko eines wilden Streiks nach Bekanntgabe solcher Pläne gehöre zur normalen Betriebsausübung, im konkreten Fall liege daher kein außergewöhnlicher Umstand vor. Entscheidend sei demnach, ob das Ereignis für die Fluglinie unvorhersehbar war und sie nicht darauf reagieren konnte, sagt Gries.
Wäre das der Fall, müsste sie bei einem wilden Streik weiterhin keine Entschädigung zahlen. Jeder Fall sei gesondert zu beurteilen. Relevant ist die EuGH-Entschei- dung aber auch für andere Szenarien, in denen strittig sein kann, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen oder nicht.
Eigenes Thema: Schadenersatz
Eine sehr häufige Ursache für Flugverspätungen sei Vogelschlag, sagt der Jurist. Dazu habe der EuGH im vergangenen Herbst das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bejaht: Das Ereignis sei nicht zu verhindern gewesen. Dennoch werde von Gerichten neuerdings auch hier stärker differenziert und die Frage aufgeworfen, ob man im konkreten Fall nicht doch etwas dagegen hätte tun können.
Ganz generell ist zu beachten, dass es bei Ansprüchen nach der Fluggastrechte-Verordnung zwar um eine finanzielle Ausgleichsleistung, aber nicht um Schadenersatz geht. Ein allfälliger Anspruch auf Schadenersatz ist unabhängig davon zu sehen. Er besteht nur bei Verschulden, und zwar gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner. Ein großes Thema ist das vor allem, wenn eine Flugverspätung sehr kostspielige Folgen hat – etwa, wenn jemand deshalb sein Kreuzfahrtschiff versäumt. Einen solchen Schaden müsste man gesondert geltend machen, sagt Gries. Bei einer Pauschalreise haftet der Anbieter, z. B. das Reisebüro (OGH 8 Ob14/18v – „Die Presse“berichtete). Wobei es schon reichen kann, dort eine zweite Leistung dazuzubuchen – etwa die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel –, damit eine Reise rechtlich zur Pauschalreise wird (neue Regeln ab Juli: siehe nebenstehenden Artikel).