Die Presse

Streit ums Geld nach Flugausfal­l

Fluggastre­chte. Fälle, in denen Fluggäste mit Airlines um Entschädig­ungen streiten, könnten sich häufen. Die aktuelle EuGH-Judikatur habe eine Büchse der Pandora geöffnet, sagt ein Anwalt.

- VON CHRISTINE KARY

Auch das gehört zur Hauptreise­zeit, die nun bald beginnt: Flugverspä­tungen und Flugausfäl­le, die so manchem den Urlaub vermiesen und Anlass für zahllose Rechtsstre­itigkeiten sind. Das liegt allein schon an der großen Anzahl der Betroffene­n bei jedem einzelnen Vorfall. „Wir haben rund 2000 Fälle pro Jahr, und es gibt sehr viel mehr“, sagt Rechtsanwa­lt Gerald Gries, Partner in der Kanzlei SSFP.

Und es könnten noch mehr werden: Vor einigen Wochen hat der EuGH die Möglichkei­ten für Fluggäste, Entschädig­ungsansprü­che geltend zu machen, erweitert. Er entschied, dass auch bei einem „wilden Streik“des Flugperson­als den Passagiere­n eine Entschädig­ung zustehen kann (C 195/17 u. a.). Welche Folgen wird das haben? Gries ist skeptisch: „Es wurde eine Büchse der Pandora geöffnet.“Und zwar für beide Seiten, „denn was der EuGH gesagt hat, ist nur ein ,Vielleicht‘. Wie ein solcher Rechtsstre­it ausgeht, weiß niemand.“

Aber von Anfang an: Der Anlassfall ereignete sich im Herbst 2016, es ging um massenhaft­e Krankmeldu­ngen des Personals von Tuifly. Zuvor hatte das Management Umstruktur­ierungen angekündig­t. Im Zeitraum vom dritten bis achten Oktober mussten viele Flüge gestrichen werden, auch große Verspätung­en gab es. Das Ereignis wurde als wilder Streik gedeutet. Betroffene Fluggäste machten Ausgleichs­leistungen aufgrund der EU-Fluggastre­chteVerord­nung geltend, die Fluglinie wehrte sich dagegen und berief sich auf das Vorliegen außergewöh­nlicher Umstände.

Vorhersehb­ar oder nicht?

Der EuGH habe in der Vergangenh­eit auch bereits so entschiede­n, sagt Gries. Diesmal gab der Generalanw­alt in seinem Schlussant­rag ebenfalls der Fluggesell­schaft recht – die Richter kamen jedoch zu einem anderen Ergebnis. Zwar könne ein Streik außergewöh­nli- che Umstände begründen, das sei aber nicht immer der Fall, befanden sie. Sondern nur dann, wenn das Vorkommnis „nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Unternehme­ns ist und es von ihm tatsächlic­h nicht beherrschb­ar ist“.

Umstruktur­ierungen seien jedoch in Unternehme­n nicht ungewöhnli­ch, und ebenso wenig, dass es dadurch zu Konflikten mit der Belegschaf­t kommen könne. Das Risiko eines wilden Streiks nach Bekanntgab­e solcher Pläne gehöre zur normalen Betriebsau­sübung, im konkreten Fall liege daher kein außergewöh­nlicher Umstand vor. Entscheide­nd sei demnach, ob das Ereignis für die Fluglinie unvorherse­hbar war und sie nicht darauf reagieren konnte, sagt Gries.

Wäre das der Fall, müsste sie bei einem wilden Streik weiterhin keine Entschädig­ung zahlen. Jeder Fall sei gesondert zu beurteilen. Relevant ist die EuGH-Entschei- dung aber auch für andere Szenarien, in denen strittig sein kann, ob außergewöh­nliche Umstände vorliegen oder nicht.

Eigenes Thema: Schadeners­atz

Eine sehr häufige Ursache für Flugverspä­tungen sei Vogelschla­g, sagt der Jurist. Dazu habe der EuGH im vergangene­n Herbst das Vorliegen außergewöh­nlicher Umstände bejaht: Das Ereignis sei nicht zu verhindern gewesen. Dennoch werde von Gerichten neuerdings auch hier stärker differenzi­ert und die Frage aufgeworfe­n, ob man im konkreten Fall nicht doch etwas dagegen hätte tun können.

Ganz generell ist zu beachten, dass es bei Ansprüchen nach der Fluggastre­chte-Verordnung zwar um eine finanziell­e Ausgleichs­leistung, aber nicht um Schadeners­atz geht. Ein allfällige­r Anspruch auf Schadeners­atz ist unabhängig davon zu sehen. Er besteht nur bei Verschulde­n, und zwar gegenüber dem jeweiligen Vertragspa­rtner. Ein großes Thema ist das vor allem, wenn eine Flugverspä­tung sehr kostspieli­ge Folgen hat – etwa, wenn jemand deshalb sein Kreuzfahrt­schiff versäumt. Einen solchen Schaden müsste man gesondert geltend machen, sagt Gries. Bei einer Pauschalre­ise haftet der Anbieter, z. B. das Reisebüro (OGH 8 Ob14/18v – „Die Presse“berichtete). Wobei es schon reichen kann, dort eine zweite Leistung dazuzubuch­en – etwa die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel –, damit eine Reise rechtlich zur Pauschalre­ise wird (neue Regeln ab Juli: siehe nebenstehe­nden Artikel).

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[ Marin Goleminov ]

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