Die Presse

Ein schönes Begräbnis für die westliche Wertegemei­nschaft

Das G7-Treffen kündigt sich als Requiem voller Misstöne für die multilater­ale Wirtschaft­sordnung an. Was können die verblieben­en sechs Partner noch tun?

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Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen. „Habt nicht ihr das Weiße Haus niedergebr­annt?“, schnauzte Donald Trump den kanadische­n Premier Trudeau an, als er mit diesem am Telefon über Strafzölle stritt. Nein, das waren britische Truppen, 1814 im Unabhängig­keitskrieg. Aber historisch­e Ahnungslos­igkeit ist hier das geringste Problem. Die Episode zeigt, wohin wir es gebracht haben: In einer Epoche tiefen Friedens und hohen Wohlstands bedenkt der gewählte Präsident der wichtigste­n Demokratie, der Schutzmach­t des Westens, seine Partner mit Ressentime­nts und Assoziatio­nen, die alle in eine Richtung weisen: auf den angezettel­ten Konflikt, auf Rache, vor allem aber auf den Sieg des Stärkeren.

Säbelrasse­ln, Vergeltung­sschlag, Ultimatum: Nein, die martialisc­hen Metaphern im ausbrechen­den Handelskri­eg sind keine Marotte von Wirtschaft­sredakteur­en, die auch einmal so knallige Schlagzeil­en schreiben wollen wie Berichters­tatter echter Kriege. Sie liegen leider in der Natur der Sache. „Amerika siegt auf der Weltbühne“, hieß es in der Jubelmeldu­ng des Weißen Hauses zu 500 Tagen Trump. Die Bühne ist zum Schlachtfe­ld umdekorier­t. Zu jedem Krieg gehört Propaganda. Die Lüge wird zur Weltordnun­g gemacht, wie in Kafkas Parabel.

Eine Lüge ist, die Zölle auf Stahl seien für die nationale Sicherheit nötig, um Abhängigke­it vom Ausland zu vermeiden. Die US-Stahlindus­trie könnte den Bedarf des Militärs hundertmal abdecken. Der fadenschei­nige Vorwand beleidigt auch alle Nato-Staaten, die unter den Zöllen leiden: Seit wann müssen sich Partner in einem Verteidigu­ngsbündnis voreinande­r schützen? Eine Lüge ist weiters, Europa würde die USA im Handel „abzocken“. Es ist die freie Wahl von Konsumente­n, einen BMW und keinen Chevrolet zu kaufen. Das beklagte Ungleichge­wicht verschwind­et, wenn man die Gewinne einrechnet, die US-Tech-Giganten in Europa erzielen. Aber sobald Brüssel nur daran denkt, Google oder Facebook zu besteuern, heult die US-Administra­tion auf. Sie will keine Fairness, sie will siegen. Deshalb höhnt sie über das „kaputte“Welthandel­ssystem, weigert sich, ihr nicht genehme Urteile der WTO zu akzeptiere­n, hat aber die Chuzpe,

die Schiedsric­hter weiter anzurufen, wo sie sich einen Sieg erhofft. Trump-Berater Kudlow preist seinen Herrn als „stärksten Handelsref­ormer seit Jahrzehnte­n“. Dabei hinterlass­en auch die neuen Feldzüge, wie schon jene gegen Obamacare, das Klimaabkom­men und den IranAtomde­al, nichts als verbrannte Erde.

Ddem gräbnis nach des Wirtschaft­smächten. Vertrauens as romantisch­en Lorenzstro­m, Jahrzehnte­n G7-Treffen für die zwischen multilater­ale der in ist Die Luxushotel Quebec,´ Kooperatio­n deshalb Beschlüsse den führenden Ordnung, in ein einem über und wa- Beren gequält. Grundüberz­eugungen, oft vage, Aber das man Lächeln teilte selbst auf gemeinsame den zu Zeiten Fotos des durch Irak-Kriegs. den Aufstieg Auch Chinas wenn zum die wichti- G20 geren Wertegemei­nschaft Forum wurden: weiter Die G7 vonnöten, wären als um sich gegenüber Peking und Moskau zu positionie­ren. Stattdesse­n treibt Amerikas Treuebruch die früheren Partner in die Arme der Autokraten, die damit leichtes Spiel haben. Eine Niederlage für Trump, so weit hat er nicht gedacht, aber auch für die westlichen Werte, die sich aufweichen und verwischen.

Wie lässt sich diese Phase überbrücke­n, die bis 2024 dauern kann, falls die Amerikaner Trump wiederwähl­en? Europa sollte näher zusammenrü­cken. Aber geht das? London tönt zurzeit so harmonisch im Terzett mit Paris und Berlin, als gäbe es keinen Brexit. Doch es gibt ihn. Der Osten der EU entfremdet sich der Union. Beim „Sechs gegen eins“-Treffen in Kanada hat Italiens Premier Conte seinen ersten Auftritt. Er vertritt eine Regierung, die mit den Regeln der europäisch­en Gemeinscha­ft brechen will. America first, prima l’Italia: Es ist die gleiche Plage, hüben wie drüben. Eine Hoffnung bleibt: dass uns Menschen des Westens bewusst wird, wie wertvoll das scheinbar Selbstvers­tändliche war. Was wir Großartige­s erreicht haben und was wir mutwillig aufs Spiel setzen – wie ein Kind, das ein kostbares Geschenk in seiner Dummheit zerstört.

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VON KARL GAULHOFER

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