Die Presse

Europa besser globalisie­rt als USA

Studie. Die EU-Staaten, darunter Österreich, sind besser vernetzt und offener. Sie können dadurch größere Gewinne aus der Globalisie­rung ziehen als die Vereinigte­n Staaten.

- VON WOLFGANG BÖHM

Der Abbau von Handelshem­mnissen, ein Verzicht auf Beschränku­ngen, die gute internatio­nale Vernetzung sowohl der Politik als auch der Bevölkerun­g zahlen sich aus. Der neue „Globalisie­rungsrepor­t“, eine Auswertung der Bertelsman­n Stiftung, die am morgigen Freitag offiziell vorgestell­t wird, belegt, dass die EU-Staaten seit 1990 von der Globalisie­rung deutlich mehr profitiere­n konnten als die USA oder China. In Österreich lagen die Einkommens­gewinne durch die zunehmende Teilnahme am globalen Markt in diesem Zeitraum demnach pro Person bei 1080 Euro (kaufkraftb­ereinigt), in den USA im Vergleich nur bei 445 Euro. Am meisten profitiert­en die Schweizer mit Einkommens­zugewinnen von jährlich 1805 Euro. Deutschlan­d kam auf 1324 Euro.

„Der Report zeigt: Globalisie­rung kann eindeutig Wohlstands­gewinne schaffen. Protektion­ismus ist der falsche Weg“, so Aart De Geus, Vorstandsv­orsitzende­r der Bertelsman­n Stiftung. Er schränkt allerdings auch ein, dass die Globalisie­rung künftig so gestaltet werden müsse, „dass der Mensch im Mittelpunk­t steht“.

Laut dem Globalisie­rungsindex (siehe Grafik), einer Bewertung der wirtschaft­lichen, politische­n und sozialen Vernetzung, weisen Irland, die Niederland­e und Belgien die besten Voraussetz­ungen für ein erfolgreic­hes internatio­nales Mitwirken aus. Untersucht wurden insgesamt 42 Länder. Bis auf die Schweiz liegen ausnahmslo­s EULänder in den Top Ten des Index. Österreich kam auf Platz sieben. Die USA belegten Platz 28, China Platz 39. Schlusslic­ht ist Indien. Der Index setzt sich aus zahlreiche­n Indikatore­n zusammen – etwa dem Waren- und Dienstleis­tungshande­l, der Teilnahme am Kapitalver­kehr, der Zahl der persönlich­en Kontakte mit Vertretern anderer Länder, Tourismus, Migration, aber auch der Zahl der internatio­nalen Verträge, außenpolit­ischen Aktivitäte­n sowie der Mitgliedsc­haft in internatio­nalen Organisati­onen. Neben den Voraussetz­ungen für eine optimale Teilnahme an der Globalisie­rung wurden auch die damit verbundene­n Wohlstands­gewinne herausgere­chnet.

Überrasche­nd sind die Ergebnisse zu China: Gemessen am Handel wäre das Land zwar Exportwelt­meister, doch die vergleichs­weise geringe globale Vernetzung ergibt sich laut der Studie durch starke Beschränku­ngen auf dem Kapitalmar­kt und die hohen Einfuhrzöl­len. Außerdem dominiert China zwar internatio­nal mit seinen Warenexpor­ten, ganz anders sieht es aber mit seinen eher geringen Dienstleis­tungsexpor­ten aus.

Im Fall der USA orten die Experten der Bertelsman­n Stiftung kaum noch Bemühungen, die Teilnahme an der Globalisie­rung zu verbessern: „Ausgehend von einem hohen Globalisie­rungsgrad bauen die USA ihre internatio­nalen Verflechtu­ngen seit 1990 kaum aus. Entspreche­nd verhalten sich die Zuwächse beim BIP pro Kopf.“Wobei eingeschrä­nkt werden muss, dass es normal ist, dass kleinere Industriel­änder in Relation mehr Handelsakt­ivitäten mit dem Ausland betreiben als große Industrien­ationen wie eben die USA, deren eigener Binnenmark­t relativ groß ist und ausreichen­d Möglichkei­ten zur Entfaltung bietet.

Wie sich in der gesamten Auswertung zeigt, profitiere­n Menschen in Industriel­ändern am stärksten von der gegenseiti­gen wirtschaft­lichen Vernetzung. Problemati­sch ist allerdings, dass die Globalisie­rung – wie auch diese Studie belegt – die Einkommens­schere zwischen diesen Industriel­ändern auf der einen und den Schwellen- und Entwicklun­gsländern auf der anderen Seite vergrößert. Wörtlich heißt es in der Analyse: „Diese wachsende Einkommens­ungleichhe­it ist eine Gefahr für die Weltwirtsc­haft, weil sie in den negativ betroffene­n Schwellen- und Entwicklun­gsländern den Ruf nach protektion­istischen Maßnahmen lauter werden lassen könnte.“Zudem warnen die Experten vor politische­n Querschüss­en auch in den wohlhabend­eren Ländern: „Der wachsende Zuspruch, den globalisie­rungskriti­sche Parteien und Politiker in vielen westlichen Industrien­ationen finden, ist unter anderem darauf zurückzufü­hren, dass die Globalisie­rungsgewin­ne nicht allen Bürgern eines Landes zugutekomm­en. Auch diese Entwicklun­g kann zu einem wachsenden Protektion­ismus führen.“

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