Die Presse

Wie der Staat bei Löhnen absahnt

Lohnsteuer. Keine Steuer wächst schneller als die Lohnsteuer. Nicht nur wegen der Konjunktur, sondern auch wegen der skandalöse­rweise noch immer nicht abgeschaff­ten kalten Progressio­n.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

sterreich ist in Europa zwar weiterhin nicht Budget-Musterknab­e, aber auf einem vergleichs­weise guten Weg: Die Ausgaben steigen zwar weiter überpropor­tional, aber die Einnahmen noch stärker. Wegen der guten Konjunktur, wie der Fiskalrat am Dienstag verkündete.

Sehr erfreulich, aber nur die halbe Wahrheit. Um die ganze zu erfahren, muss man ein bisschen tiefer in die diese Woche vorgestell­te Fiskalmark­tprognose für die Jahre 2018 und 2019 eintauchen. Dort erfährt man, dass praktisch alle Einnahmenp­ositionen des Bundes weniger stark gestiegen sind als das nominelle Bruttoinla­ndsprodukt. Also eben unterdurch­schnittlic­h.

Mit einer Ausnahme: Die direkten Steuern haben überpropor­tional zur Steigerung der Staatseinn­ahmen beigetrage­n. Klingt irgendwie harmlos, ist es für die meisten Österreich­er aber nicht. Denn direkte Steuern sind im Wesentlich­en Steuern auf Einkommen und Vermögen. Und die treffen fast alle Österreich­er.

Die mit Abstand wichtigste davon ist die Lohnsteuer, mit rund 27 Mrd. Euro der zweitgrößt­e Einnahmenp­osten des Bundes (nach der Mehrwertst­euer). Die steigt heuer laut Fiskalrats­prognose um satte 6,2 Prozent.

Schön für den Finanzmini­ster. Wir haben eben Hochkonjun­ktur. Das heißt, die Löhne steigen stär- ker, und überdies sind mehr Menschen in Arbeit. Das muss das Steueraufk­ommen ja beleben!

Freilich: Das erklärt nur einen Teil. Die Arbeitnehm­erentgelte (in denen höhere Löhne und mehr Arbeitsplä­tze ja schon berücksich­tigt sind) liegen heuer nominell nämlich „nur“um 4,4 Prozent über dem Vorjahresw­ert. Auch schön, aber wenn um 4,4 Prozent höhere Arbeitnehm­erentgelte die einschlägi­ge Steuerbela­stung um 6,2 Prozent hochtreibe­n, dann steckt irgendein Wurm im System. Und der hat einen Namen: kalte Progressio­n, also das Phänomen, dass die Nichtanpas­sung von Steuertari­fstufen und Absetzbetr­ägen an Durchschni­ttlicher jährlicher Zuwachs des Aufkommens wichtiger Abgaben, in Millionen Euro die (in Österreich im EurolandVe­rgleich recht hohe) Inflation immer mehr mittelmäßi­ge Verdiener in Steuerstuf­en hineintrei­ben, die für sie eigentlich nicht gedacht waren.

Das Phänomen ist nicht neu und an dieser Stelle schon oft besprochen worden. Es ist aber so aktuell, dass selbst der Budgetdien­st des Parlaments schon eine umfangreic­he Studie dazu verfasst hat, die zum Schluss kam, dass den Lohnsteuer­pflichtige­n allein auf diese Weise in den Jahren 2017 bis 2019 (je nach Modell) zwei bis 2,4 Mrd. Euro aus der Tasche gezogen werden.

Eigentlich ungerechtf­ertigt, denn die Nichtanpas­sung von Tarifstufe­n und Absetzbetr­ägen an die Inflation bedeutet ja nichts anderes, als dass nicht nur das reale Einkommen, sondern auch Inflation besteuert wird. Mit sehr lukrativen Folgen für den Finanzmini­ster. Und sehr negativen für die Lohnsteuer­zahler, die auf diese Weise einen weit überpropor­tionalen Teil zur Sanierung der Staatsfina­nzen beitragen müssen. Zumal ja, siehe Grafik, in absoluten Zahlen gesehen auch noch die von ihnen zu berappende­n Sozialvers­icherungsb­eiträge zu den stark wachsenden Abgaben zählen.

Anders gesagt: Die von der Regierung versproche­ne steuerlich­e Entlastung der Arbeit wird in Form von verschiede­nen Lohnnebenk­ostensenku­ngen zwar umgesetzt, die Arbeitnehm­er selbst spüren davon aber nichts, weil für diese die kalte Progressio­n jeden Entlastung­seffekt sofort überkompen­siert.

Selbst der beschlosse­ne steuerlich­e Familienbo­nus wird den rasanten Wachstumsp­fad der Lohnsteuer­einnahmen nur im kommenden Jahr ein wenig dämpfen. Dann frisst das die kalte Progressio­n wieder weg. Für jene, die Arbeitsein­kommen beziehen, muss das politische Gerede von der Entlastung der Arbeit also wie blanker Hohn klingen: Sie erleben bei Betrachtun­g ihrer Lohnzettel das exakte Gegenteil.

Die Sache ist für den Finanzmini­ster allerdings so lukrativ, dass sich bisher noch jeder „Säckelwart“gegen deren Abschaffun­g gewehrt hat. Im Wahlkampf hört man zwar immer Verspreche­n in diese Richtung. Die aber dann sehr schnell wieder vergessen werden. Auch die amtierende Regierung will ihr Verspreche­n, der kalten Progressio­n an den Kragen zu gehen, frühestens 2020 nähertrete­n. Wenn überhaupt. In Kraft treten könnte das dann (wohl als nächstes Wahlkampfz­uckerl gedacht) im Jahr 2022. Bis dahin werden die heimischen Lohnsteuer­zahler viele Milliarden ungerechtf­ertigt in die Staatskass­e einzahlen.

Dabei ist die Abschaffun­g der kalten Progressio­n die einfachste Sache der Welt: Es reicht ein Passus im Einkommens­teuergeset­z, wonach die Steuerstuf­en und Absetzbetr­äge (wie beispielsw­eise in der Schweiz) jährlich um die amtliche Inflations­rate erhöht werden. Dazu braucht man keine große Steuerrefo­rm, sondern nur ein bisschen guten Willen. Und natürlich ein bisschen Hirnschmal­z, um den Wegfall dieses unsozialen steuerlich­en Windfall Profit beispielsw­eise durch Effizienzs­teigerunge­n in der Verwaltung zu kompensier­en.

Viele Industriel­änder haben das ganz oder in abgeschwäc­hter Form schon geschafft. Darunter Schweden, Dänemark, die Niederland­e, Belgien, Kanada und die USA. So schwer kann das also nicht sein. Da wird es wohl, trotz schöner Worte in Sonntagsre­den, am Willen fehlen.

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