Wie der Staat bei Löhnen absahnt
Lohnsteuer. Keine Steuer wächst schneller als die Lohnsteuer. Nicht nur wegen der Konjunktur, sondern auch wegen der skandalöserweise noch immer nicht abgeschafften kalten Progression.
sterreich ist in Europa zwar weiterhin nicht Budget-Musterknabe, aber auf einem vergleichsweise guten Weg: Die Ausgaben steigen zwar weiter überproportional, aber die Einnahmen noch stärker. Wegen der guten Konjunktur, wie der Fiskalrat am Dienstag verkündete.
Sehr erfreulich, aber nur die halbe Wahrheit. Um die ganze zu erfahren, muss man ein bisschen tiefer in die diese Woche vorgestellte Fiskalmarktprognose für die Jahre 2018 und 2019 eintauchen. Dort erfährt man, dass praktisch alle Einnahmenpositionen des Bundes weniger stark gestiegen sind als das nominelle Bruttoinlandsprodukt. Also eben unterdurchschnittlich.
Mit einer Ausnahme: Die direkten Steuern haben überproportional zur Steigerung der Staatseinnahmen beigetragen. Klingt irgendwie harmlos, ist es für die meisten Österreicher aber nicht. Denn direkte Steuern sind im Wesentlichen Steuern auf Einkommen und Vermögen. Und die treffen fast alle Österreicher.
Die mit Abstand wichtigste davon ist die Lohnsteuer, mit rund 27 Mrd. Euro der zweitgrößte Einnahmenposten des Bundes (nach der Mehrwertsteuer). Die steigt heuer laut Fiskalratsprognose um satte 6,2 Prozent.
Schön für den Finanzminister. Wir haben eben Hochkonjunktur. Das heißt, die Löhne steigen stär- ker, und überdies sind mehr Menschen in Arbeit. Das muss das Steueraufkommen ja beleben!
Freilich: Das erklärt nur einen Teil. Die Arbeitnehmerentgelte (in denen höhere Löhne und mehr Arbeitsplätze ja schon berücksichtigt sind) liegen heuer nominell nämlich „nur“um 4,4 Prozent über dem Vorjahreswert. Auch schön, aber wenn um 4,4 Prozent höhere Arbeitnehmerentgelte die einschlägige Steuerbelastung um 6,2 Prozent hochtreiben, dann steckt irgendein Wurm im System. Und der hat einen Namen: kalte Progression, also das Phänomen, dass die Nichtanpassung von Steuertarifstufen und Absetzbeträgen an Durchschnittlicher jährlicher Zuwachs des Aufkommens wichtiger Abgaben, in Millionen Euro die (in Österreich im EurolandVergleich recht hohe) Inflation immer mehr mittelmäßige Verdiener in Steuerstufen hineintreiben, die für sie eigentlich nicht gedacht waren.
Das Phänomen ist nicht neu und an dieser Stelle schon oft besprochen worden. Es ist aber so aktuell, dass selbst der Budgetdienst des Parlaments schon eine umfangreiche Studie dazu verfasst hat, die zum Schluss kam, dass den Lohnsteuerpflichtigen allein auf diese Weise in den Jahren 2017 bis 2019 (je nach Modell) zwei bis 2,4 Mrd. Euro aus der Tasche gezogen werden.
Eigentlich ungerechtfertigt, denn die Nichtanpassung von Tarifstufen und Absetzbeträgen an die Inflation bedeutet ja nichts anderes, als dass nicht nur das reale Einkommen, sondern auch Inflation besteuert wird. Mit sehr lukrativen Folgen für den Finanzminister. Und sehr negativen für die Lohnsteuerzahler, die auf diese Weise einen weit überproportionalen Teil zur Sanierung der Staatsfinanzen beitragen müssen. Zumal ja, siehe Grafik, in absoluten Zahlen gesehen auch noch die von ihnen zu berappenden Sozialversicherungsbeiträge zu den stark wachsenden Abgaben zählen.
Anders gesagt: Die von der Regierung versprochene steuerliche Entlastung der Arbeit wird in Form von verschiedenen Lohnnebenkostensenkungen zwar umgesetzt, die Arbeitnehmer selbst spüren davon aber nichts, weil für diese die kalte Progression jeden Entlastungseffekt sofort überkompensiert.
Selbst der beschlossene steuerliche Familienbonus wird den rasanten Wachstumspfad der Lohnsteuereinnahmen nur im kommenden Jahr ein wenig dämpfen. Dann frisst das die kalte Progression wieder weg. Für jene, die Arbeitseinkommen beziehen, muss das politische Gerede von der Entlastung der Arbeit also wie blanker Hohn klingen: Sie erleben bei Betrachtung ihrer Lohnzettel das exakte Gegenteil.
Die Sache ist für den Finanzminister allerdings so lukrativ, dass sich bisher noch jeder „Säckelwart“gegen deren Abschaffung gewehrt hat. Im Wahlkampf hört man zwar immer Versprechen in diese Richtung. Die aber dann sehr schnell wieder vergessen werden. Auch die amtierende Regierung will ihr Versprechen, der kalten Progression an den Kragen zu gehen, frühestens 2020 nähertreten. Wenn überhaupt. In Kraft treten könnte das dann (wohl als nächstes Wahlkampfzuckerl gedacht) im Jahr 2022. Bis dahin werden die heimischen Lohnsteuerzahler viele Milliarden ungerechtfertigt in die Staatskasse einzahlen.
Dabei ist die Abschaffung der kalten Progression die einfachste Sache der Welt: Es reicht ein Passus im Einkommensteuergesetz, wonach die Steuerstufen und Absetzbeträge (wie beispielsweise in der Schweiz) jährlich um die amtliche Inflationsrate erhöht werden. Dazu braucht man keine große Steuerreform, sondern nur ein bisschen guten Willen. Und natürlich ein bisschen Hirnschmalz, um den Wegfall dieses unsozialen steuerlichen Windfall Profit beispielsweise durch Effizienzsteigerungen in der Verwaltung zu kompensieren.
Viele Industrieländer haben das ganz oder in abgeschwächter Form schon geschafft. Darunter Schweden, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Kanada und die USA. So schwer kann das also nicht sein. Da wird es wohl, trotz schöner Worte in Sonntagsreden, am Willen fehlen.