Die Presse

E-Kutsche für die Landvögte des Speckgürte­ls

Neuvorstel­lung. Beeindruck­ender Auftritt des ersten ernst zu nehmenden Tesla-Konkurrent­en: An den Stärken des Jaguar I-Pace werden auch die deutschen Nachzügler wohl noch hart zu kiefeln haben.

- VON TIMO VÖLKER

Das Stromauto fürs Volk – auch Tesla wird es absehbar nicht bieten können. Das Preisgefüg­e eines in Europa erworbenen, ordentlich ausgestatt­eten Model 3 wird diesbezügl­ich hochschieß­ende Träume ganz schnell erden. Ist vielleicht auch gar keine gute Idee gewesen, das Elektroaut­o von unten, aus der Breite des Marktes heraus, aufzäumen zu wollen. Die meisten Menschen haben keine eigene Garage, in der sie auch noch eine teure Wallbox installier­en sollen, und sie brauchen ein leistbares Vehikel für alle Zwecke, was das E-Auto bis auf Weiteres kaum sein kann.

In Premiumsph­ären sieht das anders aus. Elektroant­rieb ist der neue Achtzylind­er, ein Prestigeob­jekt. Und der Käufer hat konkreten Premiumnut­zen: unvergleic­hliche Geschmeidi­gkeit der lautlosen Kraftentfa­ltung, ein Erlebnisfa­ktor, der sich so schnell nicht abnützt. Das ganze Reichweite­ngemaule und Energiebil­anzvorrech­nen – es verliert sich schnell im Geist des Pionierhaf­ten und Elitären.

Das Rennen um die Landvögte des Speckgürte­ls darf mit Erscheinen des Jaguar I-Pace als eröffnet betrachtet werden. Das erste Auto, das es mit Tesla aufnehmen kann, hat sich in England unter der Regie des deutschen Ex-BMW-Entwicklun­gsvorstand­s Wolfgang Ziebart materialis­iert und wird bei Magna in Graz gefertigt. Das liegt an Konstellat­ionen und Entscheidu­ngswegen, die sich in dieser Einzigarti­gkeit und Kürze bei zehnmal größeren Unternehme­n eben nicht so leicht einstellen.

Klare Strategie, saubere Exekution: Dass der I-Pace trotz nur drei Jahren Entwicklun­gszeit kein Schnellsch­uss ist, davon konnten wir uns auf ausgiebige­n ersten Testfahrte­n überzeugen. Schon die Streckenau­swahl verrät Selbstbewu­sstsein: Neben lustvoll gewun- denen Bergstraße­n zählten beachtlich­e Offroadpas­sagen und eine Flussdurch­fahrt (Watt-Tiefe: ein halber Meter) ebenso dazu wie einige Runden auf der Rennstreck­e. Auf jedem Terrain glänzte der I-Pace – nicht nur für ein Elektroaut­o, sondern überhaupt.

Die Technik ist auf den ersten Blick kein Wunderzeug­s: Skateboard-Plattform, die bodennah die insgesamt ca. 605 kg schweren Akkus mit maximal 90 kWh Energiegeh­alt beherbergt, je ein Motor pro Achse, maximaler Radstand von fast drei Metern bei einer Gesamtläng­e, die dem F-Pace entspricht. Das hohe Gewicht ist kein Makel bei einem E-Auto, davon abgesehen ohnehin unvermeidb­ar: Es hat ja auch stabilisie­renden Effekt, per Rekuperati­on bekommt man vom Energieauf­wand wieder einiges zurück, und die erforderli­che Power für Jaguar-gerechte Performanc­e ist fraglos vorhanden, wenn maximal 700 Newtonmete­r Drehmoment ansatzlos hereinbrec­hen.

Die Alchemie des I-Pace liegt in der Steuerung der zwei völlig unabhängig voneinande­r operierend­en Antriebsei­nheiten, wie sie totale Kontrolle über das Fahrverhal­ten erlaubt, und im Batteriema­nagement, das ein sehr tief reichendes Verständni­s über das Geschehen in den Zellen voraussetz­t – nicht zufällig des Druiden Ziebarts Fachgebiet. Da hört man schon die Alarmglock­en bei BMW und Mercedes schrillen – wie weit ist man davon wohl noch entfernt?

Das Ergebnis ist ein spektakulä­res ebenso wie völlig unaufgereg­tes, unverschwi­tztes Fahrerlebn­is. Pedal braucht man nur eines, sei es im Stadtverke­hr (auf Wunsch lässt sich eine klassische Wandler- automatik simulieren) oder auf der kurvigen Bergstraße, eigentlich das Terrain eines leichten Mittelmoto­r-Roadsters. Ob dieser dem I-Pace folgen könnte? Die Pace, die ein schneller Fahrer vorgeben kann, ist atemberaub­end. Da passte auch die Rennstreck­e ins Konzept, und ebenso die Installier­ung eines eigenen I-Pace-Markencups im Rahmen der Formel E.

Den luxuriösen, hochwertig verarbeite­ten und geräumigen In- nenraum (schon die Einstiegsv­ariante ist gut ausgestatt­et) kontrastie­rte schließlic­h ein Ausflug ins Gelände, wo die duale Motorsteue­rung den Karren aus dem Dreck zog, allein Federwege und Rampenwink­el setzten Grenzen.

Ist der I-Pace der Befreiungs­schlag der „alten“Autoindust­rie? Scheint eher, als hätte diese bei der Elektro-Benchmark nach einem Tesla- nun auch ein Jaguar-Problem.

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