E-Kutsche für die Landvögte des Speckgürtels
Neuvorstellung. Beeindruckender Auftritt des ersten ernst zu nehmenden Tesla-Konkurrenten: An den Stärken des Jaguar I-Pace werden auch die deutschen Nachzügler wohl noch hart zu kiefeln haben.
Das Stromauto fürs Volk – auch Tesla wird es absehbar nicht bieten können. Das Preisgefüge eines in Europa erworbenen, ordentlich ausgestatteten Model 3 wird diesbezüglich hochschießende Träume ganz schnell erden. Ist vielleicht auch gar keine gute Idee gewesen, das Elektroauto von unten, aus der Breite des Marktes heraus, aufzäumen zu wollen. Die meisten Menschen haben keine eigene Garage, in der sie auch noch eine teure Wallbox installieren sollen, und sie brauchen ein leistbares Vehikel für alle Zwecke, was das E-Auto bis auf Weiteres kaum sein kann.
In Premiumsphären sieht das anders aus. Elektroantrieb ist der neue Achtzylinder, ein Prestigeobjekt. Und der Käufer hat konkreten Premiumnutzen: unvergleichliche Geschmeidigkeit der lautlosen Kraftentfaltung, ein Erlebnisfaktor, der sich so schnell nicht abnützt. Das ganze Reichweitengemaule und Energiebilanzvorrechnen – es verliert sich schnell im Geist des Pionierhaften und Elitären.
Das Rennen um die Landvögte des Speckgürtels darf mit Erscheinen des Jaguar I-Pace als eröffnet betrachtet werden. Das erste Auto, das es mit Tesla aufnehmen kann, hat sich in England unter der Regie des deutschen Ex-BMW-Entwicklungsvorstands Wolfgang Ziebart materialisiert und wird bei Magna in Graz gefertigt. Das liegt an Konstellationen und Entscheidungswegen, die sich in dieser Einzigartigkeit und Kürze bei zehnmal größeren Unternehmen eben nicht so leicht einstellen.
Klare Strategie, saubere Exekution: Dass der I-Pace trotz nur drei Jahren Entwicklungszeit kein Schnellschuss ist, davon konnten wir uns auf ausgiebigen ersten Testfahrten überzeugen. Schon die Streckenauswahl verrät Selbstbewusstsein: Neben lustvoll gewun- denen Bergstraßen zählten beachtliche Offroadpassagen und eine Flussdurchfahrt (Watt-Tiefe: ein halber Meter) ebenso dazu wie einige Runden auf der Rennstrecke. Auf jedem Terrain glänzte der I-Pace – nicht nur für ein Elektroauto, sondern überhaupt.
Die Technik ist auf den ersten Blick kein Wunderzeugs: Skateboard-Plattform, die bodennah die insgesamt ca. 605 kg schweren Akkus mit maximal 90 kWh Energiegehalt beherbergt, je ein Motor pro Achse, maximaler Radstand von fast drei Metern bei einer Gesamtlänge, die dem F-Pace entspricht. Das hohe Gewicht ist kein Makel bei einem E-Auto, davon abgesehen ohnehin unvermeidbar: Es hat ja auch stabilisierenden Effekt, per Rekuperation bekommt man vom Energieaufwand wieder einiges zurück, und die erforderliche Power für Jaguar-gerechte Performance ist fraglos vorhanden, wenn maximal 700 Newtonmeter Drehmoment ansatzlos hereinbrechen.
Die Alchemie des I-Pace liegt in der Steuerung der zwei völlig unabhängig voneinander operierenden Antriebseinheiten, wie sie totale Kontrolle über das Fahrverhalten erlaubt, und im Batteriemanagement, das ein sehr tief reichendes Verständnis über das Geschehen in den Zellen voraussetzt – nicht zufällig des Druiden Ziebarts Fachgebiet. Da hört man schon die Alarmglocken bei BMW und Mercedes schrillen – wie weit ist man davon wohl noch entfernt?
Das Ergebnis ist ein spektakuläres ebenso wie völlig unaufgeregtes, unverschwitztes Fahrerlebnis. Pedal braucht man nur eines, sei es im Stadtverkehr (auf Wunsch lässt sich eine klassische Wandler- automatik simulieren) oder auf der kurvigen Bergstraße, eigentlich das Terrain eines leichten Mittelmotor-Roadsters. Ob dieser dem I-Pace folgen könnte? Die Pace, die ein schneller Fahrer vorgeben kann, ist atemberaubend. Da passte auch die Rennstrecke ins Konzept, und ebenso die Installierung eines eigenen I-Pace-Markencups im Rahmen der Formel E.
Den luxuriösen, hochwertig verarbeiteten und geräumigen In- nenraum (schon die Einstiegsvariante ist gut ausgestattet) kontrastierte schließlich ein Ausflug ins Gelände, wo die duale Motorsteuerung den Karren aus dem Dreck zog, allein Federwege und Rampenwinkel setzten Grenzen.
Ist der I-Pace der Befreiungsschlag der „alten“Autoindustrie? Scheint eher, als hätte diese bei der Elektro-Benchmark nach einem Tesla- nun auch ein Jaguar-Problem.