Als falsche Römer die Chinesen täuschten
Geschichte. Vom Atlantik bis nach China, von 500 vor bis 400 nach Christus: Der britische Historiker Michael Scott führt in „Welten der Antike“großräumig durch die Zeiten. Im Interview begründet er seine Vorliebe für die „Achsenzeit“von Jaspers.
Megasthenes war weit gereist. Unglaubliches hatte er dann aus der Fremde zu berichten. Dort gebe es Ameisen so groß wie Füchse. Sie würden wie Maulwürfe Tunnel graben und dabei nicht nur Erde, sondern auch reinstes Gold zutage fördern. Menschen, die versuchten, diesen Schatz zu rauben, würden attackiert, es folge ein Kampf bis zum Tode. Vor 2300 Jahren hatte es diesen fabulierenden Griechen bis nach Indien verschlagen, er war wohl der erste griechische Gesandte am Hofe Chandragupta Mauryas, eines mächtigen Königs im heutigen Patna. Megasthenes erzählte von Tigern, die doppelt so groß wie Löwen seien, geflügelten Skorpionen, fliegenden Schlangen. Andere Schlangenarten würden sogar ganze Stiere am Stück verschlingen.
Mit dieser märchenhaften Anekdote beginnt der Brite Michael Scott sein eben auch auf Deutsch erschienenes Buch, „Welten der Antike. Eine Geschichte von Ost und West“. Der Professor für Alte Geschichte holt weit aus, nicht nur die großen europäischen Kulturen am Mittelmeer interessieren ihn, sondern auch jene in Asien. Er schildert, wie Hannibal für Karthago 218 v. Chr. den Zweiten Punischen Krieg beginnt (er wird an Rom schließlich knapp scheitern), während fast zeitgleich Qin Shi Huangdi China kurz einen kann. Scott klingt beim Versuch, fast tausend Jahre aus der Vogelperspektive zu betrachten, öfters ebenfalls leicht spekulativ. Bei einem Gespräch in Oxford erläuterte er seinen großzügigen historischen Ansatz.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
Er habe sich gefragt, wie man solch weitreichendes Material, das u. a. Griechenland, Rom, Indien und China behandelt, in ein Werk fassen kann: „Ich habe jene Perioden der Antike genommen, in denen große Reiche in Ost und West ähnliche Probleme hatten.“Ihm sei aufgefallen, dass es in der Geschichte „mehrere Zyklen globalen Interesses gegeben hat, die immer wieder durch engere Sichtweisen unterbrochen wurden.“
Ein Vorbild im Streben nach einer Gesamtschau war für ihn der deutsche Philosoph Karl Jaspers, der in seinen geschichts- philosophischen Betrachtungen das Konzept der Achsenzeit entwickelt hat. 1949 veröffentlichte er „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“: Zwischen 800 und 200 v. Chr. hätten Gesellschaften in vier unabhängigen Kulturräumen bedeutende Fortschritte in Technik und Philosophie gemacht. „Jaspers ist nicht der einzige, der damals solche Achsenzeiten konstatierte, sondern Teil einer breiten Reaktion auf die Weltkriege“, sagt Scott. „Historiker suchten nach Wegen, Geschichte zu denken, die der Menschheit halfen, zu einem besseren Verständnis ihrer selbst zu gelangen, künftige Konflikte zu vermeiden.“In England habe H. G. Wells ähnlich gedacht. „Er forderte bereits in den Zwanzigerjahren, dass man Geschichte global betrachten solle. Zuvor waren die meis- ten Lehrpläne viel zu sehr auf Nationalgeschichte fokussiert.“Welche Parallelaktion hält Scott für besonders turbulent? „Die kritische Phase des vierten Jahrhunderts. Das Christentum wandelte sich von der verfolgten zur offiziellen Kirche – ein Gott, ein Kaiser. Auch der Hinduismus erstarkte. Erstmals wurden von den Gupta-Herrschern Steintempel für den Gott Vishnu errichtet. Sie verwendeten dafür das gleiche Wort wie für Palast: prasada. Weiter im Osten hatte der Buddhismus hingegen eine ganz andere Geschichte. Es wurde akzeptierter Teil Chinas. Das aber war damals fragmentiert.“
Ein Machtkampf führte zur Demokratie
Scott betont, wie zufällig Ideen entstehen – und wie fragil die Geschichte ist. Zu oft würde man in ihr angeblich unvermeidbare Abfolgen von Ereignissen sehen. „Das stimmt so aber nicht. Nehmen wir Athen 508/7 v. Chr. Kleisthenes, ein Mann in den Sechzigern, im Machtkampf mit aristokratischen Mitbewerbern, schlägt Reformen vor, die zur Demokratie führen – nicht aus Leidenschaft zu ihr, sondern weil er sich gegen elitäre Konkurrenten behaupten will.“(Rom wurde fast zeitgleich seinen König los, und in einem kleinen Reich in China dachte Konfuzius über gerechte Herrschaft nach.) Die Idee der Demokratie habe sich schrittweise entwickelt. „Lange Zeit wurde sie als Herrschaft des Mobs, als Chaos angesehen, selbst noch in der Diskussion der Väter der Verfassung der USA. Auch heute müssen wir uns immer wieder den Fragen der Demokratie stellen.“
Was ist für Scott ein Moment, in dem die Weltgeschichte sich ganz anders hätte entwickeln können? Er geht ins Jahr 166 zurück: „Angebliche römische Abgesandte suchten Kontakt zu China. Dort war man enttäuscht über deren armseligen Geschenke.“Danach habe China keinen Kontakt zu Rom gesucht. Man hielt die Berichte über die Größe dieses Reiches im Westen für stark übertrieben.
Michael Scott (*1981) studierte Altertumswissenschaften in Cambridge. Er lehrt als Associate Professor für Alte Geschichte an der University of Warwick. „Welten der Antike“ist bei Klett-Cotta erschienen: 572 S., € 32,90.
Compliance: Das Gespräch mit Scott ergab sich bei einer Reise nach England auf Einladung des Verlages.