Die Presse

Als falsche Römer die Chinesen täuschten

Geschichte. Vom Atlantik bis nach China, von 500 vor bis 400 nach Christus: Der britische Historiker Michael Scott führt in „Welten der Antike“großräumig durch die Zeiten. Im Interview begründet er seine Vorliebe für die „Achsenzeit“von Jaspers.

- FREITAG, 8. JUNI 2018 VON NORBERT MAYER

Megasthene­s war weit gereist. Unglaublic­hes hatte er dann aus der Fremde zu berichten. Dort gebe es Ameisen so groß wie Füchse. Sie würden wie Maulwürfe Tunnel graben und dabei nicht nur Erde, sondern auch reinstes Gold zutage fördern. Menschen, die versuchten, diesen Schatz zu rauben, würden attackiert, es folge ein Kampf bis zum Tode. Vor 2300 Jahren hatte es diesen fabulieren­den Griechen bis nach Indien verschlage­n, er war wohl der erste griechisch­e Gesandte am Hofe Chandragup­ta Mauryas, eines mächtigen Königs im heutigen Patna. Megasthene­s erzählte von Tigern, die doppelt so groß wie Löwen seien, geflügelte­n Skorpionen, fliegenden Schlangen. Andere Schlangena­rten würden sogar ganze Stiere am Stück verschling­en.

Mit dieser märchenhaf­ten Anekdote beginnt der Brite Michael Scott sein eben auch auf Deutsch erschienen­es Buch, „Welten der Antike. Eine Geschichte von Ost und West“. Der Professor für Alte Geschichte holt weit aus, nicht nur die großen europäisch­en Kulturen am Mittelmeer interessie­ren ihn, sondern auch jene in Asien. Er schildert, wie Hannibal für Karthago 218 v. Chr. den Zweiten Punischen Krieg beginnt (er wird an Rom schließlic­h knapp scheitern), während fast zeitgleich Qin Shi Huangdi China kurz einen kann. Scott klingt beim Versuch, fast tausend Jahre aus der Vogelpersp­ektive zu betrachten, öfters ebenfalls leicht spekulativ. Bei einem Gespräch in Oxford erläuterte er seinen großzügige­n historisch­en Ansatz.

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Er habe sich gefragt, wie man solch weitreiche­ndes Material, das u. a. Griechenla­nd, Rom, Indien und China behandelt, in ein Werk fassen kann: „Ich habe jene Perioden der Antike genommen, in denen große Reiche in Ost und West ähnliche Probleme hatten.“Ihm sei aufgefalle­n, dass es in der Geschichte „mehrere Zyklen globalen Interesses gegeben hat, die immer wieder durch engere Sichtweise­n unterbroch­en wurden.“

Ein Vorbild im Streben nach einer Gesamtscha­u war für ihn der deutsche Philosoph Karl Jaspers, der in seinen geschichts- philosophi­schen Betrachtun­gen das Konzept der Achsenzeit entwickelt hat. 1949 veröffentl­ichte er „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“: Zwischen 800 und 200 v. Chr. hätten Gesellscha­ften in vier unabhängig­en Kulturräum­en bedeutende Fortschrit­te in Technik und Philosophi­e gemacht. „Jaspers ist nicht der einzige, der damals solche Achsenzeit­en konstatier­te, sondern Teil einer breiten Reaktion auf die Weltkriege“, sagt Scott. „Historiker suchten nach Wegen, Geschichte zu denken, die der Menschheit halfen, zu einem besseren Verständni­s ihrer selbst zu gelangen, künftige Konflikte zu vermeiden.“In England habe H. G. Wells ähnlich gedacht. „Er forderte bereits in den Zwanzigerj­ahren, dass man Geschichte global betrachten solle. Zuvor waren die meis- ten Lehrpläne viel zu sehr auf Nationalge­schichte fokussiert.“Welche Parallelak­tion hält Scott für besonders turbulent? „Die kritische Phase des vierten Jahrhunder­ts. Das Christentu­m wandelte sich von der verfolgten zur offizielle­n Kirche – ein Gott, ein Kaiser. Auch der Hinduismus erstarkte. Erstmals wurden von den Gupta-Herrschern Steintempe­l für den Gott Vishnu errichtet. Sie verwendete­n dafür das gleiche Wort wie für Palast: prasada. Weiter im Osten hatte der Buddhismus hingegen eine ganz andere Geschichte. Es wurde akzeptiert­er Teil Chinas. Das aber war damals fragmentie­rt.“

Ein Machtkampf führte zur Demokratie

Scott betont, wie zufällig Ideen entstehen – und wie fragil die Geschichte ist. Zu oft würde man in ihr angeblich unvermeidb­are Abfolgen von Ereignisse­n sehen. „Das stimmt so aber nicht. Nehmen wir Athen 508/7 v. Chr. Kleisthene­s, ein Mann in den Sechzigern, im Machtkampf mit aristokrat­ischen Mitbewerbe­rn, schlägt Reformen vor, die zur Demokratie führen – nicht aus Leidenscha­ft zu ihr, sondern weil er sich gegen elitäre Konkurrent­en behaupten will.“(Rom wurde fast zeitgleich seinen König los, und in einem kleinen Reich in China dachte Konfuzius über gerechte Herrschaft nach.) Die Idee der Demokratie habe sich schrittwei­se entwickelt. „Lange Zeit wurde sie als Herrschaft des Mobs, als Chaos angesehen, selbst noch in der Diskussion der Väter der Verfassung der USA. Auch heute müssen wir uns immer wieder den Fragen der Demokratie stellen.“

Was ist für Scott ein Moment, in dem die Weltgeschi­chte sich ganz anders hätte entwickeln können? Er geht ins Jahr 166 zurück: „Angebliche römische Abgesandte suchten Kontakt zu China. Dort war man enttäuscht über deren armseligen Geschenke.“Danach habe China keinen Kontakt zu Rom gesucht. Man hielt die Berichte über die Größe dieses Reiches im Westen für stark übertriebe­n.

Michael Scott (*1981) studierte Altertumsw­issenschaf­ten in Cambridge. Er lehrt als Associate Professor für Alte Geschichte an der University of Warwick. „Welten der Antike“ist bei Klett-Cotta erschienen: 572 S., € 32,90.

Compliance: Das Gespräch mit Scott ergab sich bei einer Reise nach England auf Einladung des Verlages.

 ?? [ British Library ] ?? Mit Eroberer-Methoden formte Zhao Zheng Chinas „Streitende Reiche“221 v. Chr. zu einem Staat: Als Kaiser nannte er sich Quin Shi Huangdi. Der große Mauerbauer richtete den Blick auch nach Westen.
[ British Library ] Mit Eroberer-Methoden formte Zhao Zheng Chinas „Streitende Reiche“221 v. Chr. zu einem Staat: Als Kaiser nannte er sich Quin Shi Huangdi. Der große Mauerbauer richtete den Blick auch nach Westen.

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