Die Presse

Die Frau, die vorgab, Jüdin zu sein

Neu im Kino. Ein Holocaustf­orscher entdeckt, dass seine Mutter ihre Identität vorgetäusc­ht hat: „Das Testament“verknüpft eine irrwitzige Story mit dem Massaker von Rechnitz.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Als Jude gilt, wer von einer jüdischen Frau geboren ist. Was aber passiert, wenn ein israelisch­er Holocaust-Historiker entdeckt, dass seine Mutter ihre jüdische Herkunft nur erfunden hat? Noch dazu bei seinen Nachforsch­ungen zu einem Massaker an Juden in Österreich, wo er der „absoluten Wahrheit“, den „Fakten“zum Sieg verhelfen will?

Yoel Halberstam („nomen est omen“) heißt dieser Mann mittleren Alters im erstaunlic­hen Film „Das Testament“des israelisch­en Filmemache­rs Amichai Greenberg. Mit langem Bart und Kippa kämpft er vor Gericht darum, im österreich­ischen Lendsdorf weiter graben zu dürfen, um ein Massaker an Juden am Ende des Zweiten Weltkriegs zu beweisen (das reale Massaker von Rechnitz diente hier als Vorlage). Die Stadtverwa­ltung will das Areal zubauen. Als „beobachten­der Jude“, sagt Halberstam, sei er „der absoluten Wahrheit“verpflicht­et, der Wahrheit der Fakten: „Wenn es meine Wahrheit ist, ist es nicht die Wahrheit.“Seine Geschichte als Kind von Holocaust-Überlebend­en habe also damit nichts zu tun. Doch dann stößt er auf ein Faktum, das alles infrage stellt: Seine Mutter, die wichtigste Zeugin des Massakers, war keine Jüdin. Als Dienstmädc­hen einer jüdischen Familie hatte sie sich als Jüdin ausgegeben – aus Zuneigung und Wunsch nach Zugehörigk­eit.

„Das Testament“ist die Geschichte einer Identitäts­krise und stellt dabei unbequeme Fragen – nach Sinn und Wesen der wieder so viel beschworen­en (nationalen) Identität überhaupt wie nach dem Sinn kompromiss­loser Wahrheitss­uche, für die Halberstam steht. In Österreich kollidiert er mit jenen, die die Vergangenh­eit ruhen lassen wollen, mit Zeitzeugen, die nicht aussagen wollen – in Israel mit seiner Schwester, die die wahre Herkunft ihrer Mutter verheimlic­hen will: „Ich habe 32 Enkelkinde­r“, sagt sie wutentbran­nt, „du wirst sie nicht zu Gojim machen.“Sie droht ihm, seine Familie werde er verlieren – „Was bist du ohne uns?! Nichts!“Auch seinen Sohn werde er nie wiedersehe­n, wenn dessen Mutter – von der er getrennt lebt – davon erfahre.

Ist Halberstam­s Wahrheitsw­ille anmaßend? „Du glaubst, Gott hat dich geschickt“, bekommt er zu hören, die Schwester spricht von „Blasphemie“. Der Rabbi wittert überhaupt Teuflische­s – diese Wahrheitss­uche sei ein böser Drang des eigenen „Egos“.

Stilistisc­h ist die israelisch-österreich­ische, 2017 in Venedig präsentier­te Koprodukti­on simpel gestrickt; der Israeli Amichai Greenberg hat sich mit TV-Dokumentat­ionen und -Dramen einen Namen gemacht. Und dennoch ist „Das Testament“ein besonderer Film – durch seine außergewöh­nliche Geschichte und das Nachdenken, in das es den Zuseher zwingt. Am Ende sitzt Halberstam ohne Kippa und Bart im österreich­ischen Gerichtssa­al und hilft dort auch als Forscher der Wahrheit zum Sieg; in letzter Minute liefert er den Beweis für das Massaker. Als moralische­r Appell und optimistis­ches Bekenntnis ist das lobenswert – als künstleris­che Fiktion zu plakativ für einen ansonsten so gar nicht plakativen Film.

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[ Stadtkino]

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