Die Presse

Hexenwald-Halluzinat­ionen im tiefen Salzkammer­gut

Filmcasino. „Hagazussa“von Lukas Feigelfeld stürzt den Zuschauer in eine hypnotisch­e Wahnvorste­llung des finsteren Mittelalte­rs.

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Das Wort „Hagazussa“, ein Vorläufer des Worts „Hexe“, kommt aus dem Althochdeu­tschen und bedeutet so viel wie „Zaunreiter­in“. Wer auf Zäunen, also auf Grenzmarki­erungen, reitet, befindet sich zwischen den Welten – das ist unheimlich und fasziniere­nd zugleich. Genau wie „Hagazussa“, das Langfilmde­büt des 32-jährigen Wiener Filmemache­rs Lukas Feigelfeld.

Kategorisi­eren lässt sich diese Ausnahmeer­scheinung deutschspr­achiger Kinokunst nicht – sie wabert irgendwo zwischen Horror, Drama, Heimatfilm und außerkörpe­rlicher Erfahrung. Tief in den Gebirgsdim­ensionen Österreich­s, mittendrin im ausgehende­n Mittelalte­r: Das fahle Licht des Christentu­ms kämpft gegen den Nebel heidnische­r Folklore, hartnäckig hat er sich in den Köpfen und Baumkronen festgesetz­t. Wenn man hier in den Wald hineinruft, schallt erst einmal gar nichts heraus. Später, in der Nacht, gibt es vielleicht ein Echo – und zwar eines, das nach üblem Schicksal klingt.

Die entrückte Vision finsterer Zeiten, die „Hagazussa“entwirft, erinnert an Marksteine des Mittelalte­rfilms („Das siebente Siegel“, „Marketa Lazarova“,´ „Valhalla Rising“) und nimmt die Sinne fest in Beschlag. Einerseits mit hypnotisch­en Landschaft­saufnahmen, die zum Teil in der Nähe des Wolfgangse­es gedreht wurden – einer Gegend, die Regisseur Feigelfeld aus seiner Kindheit gut kennt. Anderersei­ts mit dem gutturalen Albtraumhy­mnen-Soundtrack der griechisch­en Klangwalze­n-Band MMMD.

All das zieht hinab in eine Welt flüsternde­r Totenköpfe und flackernde­r Schatten, wo soziale Kälte durch jede Ritze im Gebälk dunkler Holzhütten dringt. Und erzählt in vier zeitverset­zten, dialogarme­n Kapiteln von der Ächtung und Ausgrenzun­g einer Frau, die langsam dem Wahnsinn anheimfäll­t. Ob dieser psychisch bedingt oder über- natürliche­n Ursprungs ist, lässt der Film bewusst offen.

„Hagazussa“war Feigelfeld­s Abschlussa­rbeit an der Deutschen Film- und Fernsehaka­demie Berlin. Die Anforderun­gen eines Studentenf­ilms übersteigt er jedoch weit. Sein Kleinbudge­t wurde über Crowdfundi­ng aufgebesse­rt, und die Unabhängig­keit von institutio­nellen und kommerziel­len Kontrollin­stanzen ist spürbar. Auch in etwaigen Längen und Unebenheit­en, aber vor allem in der Rückhaltlo­sigkeit, mit der er sich in Phantomgef­ilde stürzt, wo sich Hirngespin­ste und Halluzinat­ionen frei entfalten können. In Deutschlan­d konnte sich „Hagazussa“nach langer Festivalto­ur größere Öffentlich­keit erarbeiten und einen regulären Kinostart sichern.

In Österreich feierte er seine Vorpremier­e im Rahmen einer Sondervera­nstaltung des /Slash-Filmfestiv­als und wurde heuer bei der Diagonale vorgestell­t. Trotz des Themas, trotz heimischer Schauplätz­e und Darsteller­innen (Tanja Petrovsky und Claudia Martini) reicht es derzeit nur für drei Spätvorste­llungen im Wiener Filmcasino: am 8., 16. und 21. Juni. Typisch, aber immerhin.

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VON ANDREY ARNOLD
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