Die Presse

Deutschför­derung: „Weiter so“hilft nicht weiter

Gastkommen­tar. Vielleicht sollten wir weniger ideologisc­h denken und den Neuzuwande­rer ohne Deutschkom­petenz in den Mittelpunk­t rücken. Aus Gründen der Freundlich­keit, der sozialen Gerechtigk­eit und wegen der Effizienz des Systems.

- VON HEINZ FASSMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Würden Sie einem Nichtschwi­mmer raten, in das tiefe Becken zu springen – und zwar mit dem Hinweis, schwimmen lernt man am besten durch das Beobachten der anderen? Wohl nicht, wäre die Antwort.

Aber genau dem entspricht der Ratschlag wohlmeinen­der Sprachwiss­enschaftle­r und mancher Politiker. Taucht nur ein in das Sprachbad der Einheimisc­hen, und ihr werdet deren Sprache schon lernen. Nur nicht trennen, lautet dabei die Devise, denn das Trennen ist so unsympathi­sch, erfordert eine Entscheidu­ng und erinnert an dunkle Zeiten.

Dass man dem Nichtschwi­mmer jedoch einen eigenen Unterricht anraten würde, der auch getrennt von jenem der Schwimmer abläuft, spielt dabei keine Rolle. Der Vergleich liegt zu weit weg und die Aufforderu­ng, nicht zu trennen, ist auch eher Gefühl und nicht Ratio.

Wegschauen und negieren

Aber das ist ein Teil des gesellscha­ftspolitis­chen Problems. Man bedauert auf der einen Seite das niedrige Bildungsni­veau der Zugewander­ten, beklagt die großen Bildungsrü­ckstände in der 4. und 8. Schulstufe beim Lesen und Schreiben, nachgewies­en durch internatio­nale und nationale Bildungste­sts. Man lamentiert über die hohe Arbeitslos­igkeit und die niedrige Erwerbsquo­te und will auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass Kinder und Jugendlich­e mit nicht deutscher Erstsprach­e so in die Schule kommen, dass sie dem Unterricht folgen können. Sie holen dann in weiterer Folge die Nachteile auch nur schwer auf, denn das Schulsyste­m ist im Kompensier­en nicht sehr stark.

Dieses Wegschauen und Negieren eines realen Problems hat die Bildungs- und Integratio­nspolitik schon lang gekennzeic­hnet, nicht nur in Österreich. Die Flüchtling­szuwanderu­ng der Jahre 2015 und 2016 hat dieses Problem aber nochmals akzentuier­t.

Österreich führt ab September ein neues System der Deutschför­derung ein. Es sieht eine teilintegr­ative, altersmäßi­g abgestufte und zeitlich begrenzte Einrichtun­g von Deutschför­derklassen vor und folgt damit dem Modell der Will- kommenskla­ssen in Finnland, Dänemark, den Niederland­en und Kanada, auch wenn sie dort jeweils anders bezeichnet werden. Schülerinn­en und Schüler, die dem Unterricht aufgrund mangelnder Deutschkom­petenz nicht folgen können, eröffnen eine Deutschför­derklasse, wenn eine bestimmte Anzahl an solchen Schülern am Schulstand­ort erreicht wird.

In der Deutschför­derklasse erfolgt eine fokussiert­e Deutschför­derung und in der Regelklass­e ein ergänzende­r Unterricht in weniger sprachsens­iblen Fächern. Wenn die Deutschken­ntnisse so weit verbessert werden konnten, dass die Schüler dem normalen Unterricht folgen können, dann wechseln sie dorthin und erhalten weitere Förderung über Deutschför­derkurse. Der Überstieg soll so rasch wie möglich und so kompetent wie notwendig erfolgen.

Gerade Wien wird profitiere­n

Die Feststellu­ng, ob jemand als außerorden­tlicher Schüler geführt werden muss, erfolgt auf Basis einer klaren Testung. Das wird auch notwendig sein, denn in dem Bereich verfolgen die Bundesländ­er eine unterschie­dliche Praxis und vergeben den Status des außerorden­tlichen Schülers öfter, als es aufgrund der Neuzuwande­rung anzunehmen wäre. Der Unterricht in den Deutschför­derklassen wird in einem ersten Schritt auf Basis bestehende­r Lehrpläne für Deutsch als Fremdsprac­he geregelt, ab dem Schuljahr 2019/20 nach einem eigens erstellten Lehrplan. Den Unterricht durchführe­n werden Lehrerinne­n und Lehrer des Unterricht­sfachs Deutsch mit und ohne Zusatzausb­ildung Deutsch als Zweitsprac­he oder Deutsch als Fremdsprac­he.

Der Bund stellt für das Deutschför­derkonzept insgesamt rund 40 Millionen Euro jährlich zur Verfügung, das entspricht rund 400 Millionen Euro bei Umlegung auf eine deutsche Größenordn­ung.

Vom neuen System der Deutschför­derung wird besonders Wien profitiere­n, auch wenn es die rot-grüne Stadtregie­rung so nicht sehen möchte. Schließlic­h ist das Konzept von einer ÖVP/FPÖ-Koalitions­regierung konzipiert worden, und die Stadt versteht sich manchmal als politische­s Gegenmodel­l zum Bund. Rund 40 Prozent der Zugewander­ten leben in der Stadt, ebenfalls rund 40 Pro- zent der außerorden­tlichen Schüler werden in Wien gezählt, und rund 60 Prozent der Asylberech­tigten halten sich in der Stadt dauerhaft auf. Wien ist die Primatstad­t Österreich­s. Sie erzielt daraus einen Mehrwert und kämpft gleichzeit­ig mit all den Schwierigk­eiten, denen sich eine wachsende Stadt konfrontie­rt sieht.

Ein lernendes System

Was beim Nichtschwi­mmer klar ist, darf bei der Schule nicht gelten. Um die Einführung zu vermeiden, wird das Aufschiebe­n eingeforde­rt. Ein einfaches „Weiter so“erscheint angesichts der empirische­n Befunde aber nicht ratsam und auch nicht notwendig. Außerdem ist gerade das Bildungssy­stem ein lernendes System und wenn sich herausstel­lt, dass das eine oder andere nachzujust­ieren ist, dann wird das verantwort­liche Ministeriu­m darauf reagieren.

Es wird auch darauf dringen, dass die Sprachförd­erung früher anfängt – bereits im Kindergart­en. Damit kann man zwar die Queroder Seiteneins­teiger nicht erreichen, aber jene Kinder mit einer nicht deutschen Erstsprach­e, die sonst mit erhebliche­n Startnacht­eilen ihre Schulkarri­ere beginnen.

Das fremde, stumme Kind

2012, als erstmals die Debatte um Deutschför­dermaßnahm­en für Neuzuwande­rer aufkam, hat Vladimir Vertlib, ein 1966 in St. Petersburg geborener Schriftste­ller, der über den Umweg Israel 1972 nach Österreich zuwanderte, einen Beitrag verfasst und in der „Presse“veröffentl­icht. Er nannte ihn „Du fremdes, stummes Kind“, und er schilderte darin die große Schwierigk­eit, ohne sprachlich­e Vorbereitu­ng am Unterricht teilnehmen zu müssen.

„Ich war stumm, taub und fremd, aber es gab kaum jemanden, der bereit gewesen wäre, darauf Rücksicht zu nehmen. Kurz gesagt: Es war keine schöne Zeit, und nachträgli­ch betrachtet hätte ich viel dafür gegeben, wenn ich damals einen Crashkurs hätte besuchen können [...] Ich selbst hätte viel lieber einen Unterricht in einer Vorschule gehabt, bei dem es wirklich primär um den Spracherwe­rb gegangen wäre – zusammen mit anderen Kindern [...], denen ich mich nicht hätte unterlegen fühlen müssen, und mit einer Lehrkraft, die sich voll und ganz auf meine Sprachprob­leme und Bedürfniss­e eingestell­t hätte.“

Einzelevid­enzen belegen wenig, sie sind austauschb­ar. Aber zum Nachdenken regen sie dennoch an. Vielleicht sollten wir tatsächlic­h weniger ideologisc­h und vorurteils­behaftet denken und den Neuzuwande­rer ohne Deutschkom­petenz in den Mittelpunk­t der Überlegung rücken – aus Gründen der Freundlich­keit, der sozialen Gerechtigk­eit, aber auch aus Gründen der Effizienz des Systems.

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