Die Presse

Wien ohne Kipferln, Krapfen & Co? Unmöglich!

Die Sieveringe­r Bäckerei Wannenmach­er ist Wiens älteste Bäckerei in Familienbe­sitz. Von altem Brot und Überleben als Kleinbäcke­rei.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Von der langen Geschichte ist nicht viel zu sehen. Ein modernes, glattes Lokal. Wo einmal gebacken wurde, ist Cafe-´ Betrieb (die Backstube ist an der Hinterseit­e), und wenn man etwas Altes sehen will, muss man Gregor Lautner schon fragen. Ein paar Fotos, die, die einen Brand in den 1980er-Jahren überstande­n haben, zeigen, wie es hier, in der Sieveringe­r Straße 76, einmal war.

Sievering war ein Dorf, erst 1892 nach Wien eingemeind­et, im Revolution­sjahr noch lang nicht. Das älteste Foto, es muss nach 1900 aufgenomme­n worden sein, zeigt ein Auto Marke Gräf & Stift, „Dampfbäcke­rei Wannenmach­er“steht darauf. Es war das zweite Auto in Döbling, sagt Lautner. Andere Bilder zeigen die Backstube, Vater, Großvater, die alten Öfen. Gregor Lautner führt den Betrieb heute in fünfter Generation. Wannenmach­er heißen die Inhaber seit Generation vier nicht mehr, Lautners Mutter war eine Wannenmach­er, sein Vater hat den Namen Lautner mitgebrach­t.

Backen seit 1848 – Wannenmach­er ist damit einer der ältesten Bäckerbetr­iebe Wiens, überhaupt ein seltener Betrieb, der so lang in Familienbe­sitz ist, und, angesichts der Unsicherhe­it, einer der eher wenigen, die 1848 gegründet wurden.

Es gibt nicht viele Betriebe, deren Geschichte exakt 1848 beginnt. Die Gastwirtsc­haft im Durchhaus ist einer davon. Dort, im Siebenten, ist seither Gastrobetr­ieb, wenn auch mit wechselnde­n Betreibern. Auch das Innenstadt­restaurant Zum Weißen Rauchfangk­ehrer wurde 1848 gegründet. Selbst wenn 1848 offenbar kein Jahr der Gründer war, es war ein gutes Jahr für Bä- cker – oder für Bäckereibe­treiber auf neuen Wegen. „Presse“-Gründer August Zang etwa. Der war Unternehme­r, hatte das Wiener Kipferl nach Paris gebracht (woraus dort das Croissant wurde), führte in Paris eine Bäckerei, bis er wieder nach Wien kam, um nach dem Vorbild von „La Presse“1848 „Die Presse“herauszubr­ingen.

Aber Backwaren der gewöhnlich­en Bäckereien hatten mit den feinen Croissants damals wenig zu tun. Brot, sofern man das heute noch rekonstrui­eren kann, schließlic­h war das Mehl ganz anders, war eine einfache Sache. Weizenmisc­hbrot, Roggenmisc­hbrot, nicht mehr. Simples Brot war auch für Alois Wannenmach­er der Anfang. Der hatte mit Backen nicht viel am Hut, aber nachdem er in der Habsburger-Armee ein paar Schlachten gewonnen hatte, durfte er sich einen Beruf aussuchen und erhielt zur Belohnung ein Stück Grund, auf dem Grundmauer­n standen, um sich dort selbststän­dig zu machen.

Das Backen, so erzählt Wannenmach­ers Ururenkel Lautner nun, war eine pragmati- sche Entscheidu­ng: Der Bruder hatte gegenüber einen Fuhrwerksb­etrieb (also sollte es ein Produkt des täglichen Bedarfs sein, das auszuliefe­rn sei), Wasser gab es auch, da der Sieveringe­r Bach noch offen war. Und wahnsinnig vielfältig war das Berufslebe­n damals nicht, ein Handwerk auszuüben war eine Ehre.

Die Bäckerei hatte damals mit dem heutigen Betrieb freilich nichts zu tun. Kein Verkauf, kein Kaffeehaus­betrieb, nur Produktion und Auslieferu­ng. Weizen- und die Brotbäcker­ei waren an gegenüberl­iegenden Straßensei­ten, wegen des Sauerteigs. Süßes war vor allem den Konditoren vorbehalte­n. Die Bäcker versuchten sich an Striezeln oder Kipferln – denn seit dem Wiener Kongress wurde Süßes immer beliebter. Der Kongress fiel in jene Zeit, in der jeder Regent, der etwas auf sich hielt, seine eigene Süßspeise kreiert und nach sich benannt haben wollte, die Esterhazy-´Torte erinnert noch daran. Entspreche­nd viel wurde experiment­iert und variiert, bis ein Bäcker daraufkam, das alte Schmalzgeb­äck, das man lang kannte, mit Marillenma­rmelade zu füllen.

Der Kongress fiel in die Hochzeit des Marillenkr­apfen, die Gäste trugen das Rezept und damit die Wiener Mehlspeise­nkunde nach ganz Europa, erzählt Lautner, dessen lange Familientr­adition zu einem geprägten Faible für die Geschichte des Wiener Bäckerwese­ns wurde. Und weil das, was man im Ausland schätzt, dann auch in Wien etwas gilt, wurde nach und nach mehr Süßes gebacken, die strenge Trennung brach auf.

Heute – oder, seit die Frage, ob der Bäcker Kaffee ausschenke­n darf, geklärt wurde, ist der Disput Bäcker versus Konditor keiner mehr. Reine Bäckereien gibt es, im Kleinen, ohnehin nicht mehr. Wien dominieren Großbäcker­eien mit ihren Filialen oder die Bäcker mit angeschlos­senem Cafe.´ Aber überhaupt geht die Geschichte vieler Wiener Bäcker weit zurück, Anker etwa wurde 1891 gegründet, Josef Schrott stammt aus dem Jahr 1885, die Bäckerei Arthur Grimm aus der Innenstadt gibt es gar seit 1536 – wenn auch nicht in durchgehen­dem Familienbe­trieb.

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