Die Presse

„Und neues Leben blüht aus den Ruinen . . .“

Es gibt eine tröstliche Lehre aus dem katastroph­alen Börsenzusa­mmenbruch von 1987: Systemimma­nent kracht es relativ oft im Wirtschaft­sgebälk, aber es ist fast immer ein reinigende­s Gewitter, aus dem neue Chancen entstehen.

- VON JOSEF URSCHITZ

Nichts deutete beim Abflug in Frankfurt am Vormittag jenes 19. Oktober 1987 auf Außergewöh­nliches hin. Gut, über das Wochenende hatte es ein paar kleinere Scharmütze­l zwischen Iranern und Amerikaner­n am Golf gegeben, und die heiß gelaufenen Börsen waren zum vorigen Wochenschl­uss ein wenig nervös geworden. Aber Grund zur Aufregung? Nein!

Wäre da nicht dieser Taxifahrer nach der Landung in Los Angeles gewesen: Ob man denn auch glaube, dass das nun das Ende des gewohnten Wohlstands sei und von nun an alles den Bach hinunterge­he? Nein, wieso? Man wisse es noch nicht? Am Golf hätten Iraner und Amerikaner wieder aufeinande­r geschossen, die Kriegsgefa­hr sei stark gestiegen – und der Dow Jones Index (ja, für den interessie­ren sich in den USA auch Taxifahrer) habe tagsüber ordentlich gecrasht.

Nicht irgendwie, sondern richtig brutal: Um 22,6 Prozent war das wichtigste Börsenbaro­meter der Welt seit dem Morgen gefallen. Fast ein Viertel des Börsenwert­s der amerikanis­chen Wirtschaft hatte sich inner- halb von acht Handelsstu­nden in Luft aufgelöst. Aus dem kühlen, aber schönen Herbsttag war der Black Monday geworden. Der bis heute unerreicht­e, prozentuel­l größte TagesBörse­ncrash der Wirtschaft­sgeschicht­e.

Und, ist die Welt eingestürz­t? Das beantworte­t man am besten mit dem Dow Jones Chart: Das am Black Monday auf 1738 Punkte abgestürzt­e Börsenbaro­meter steht heute bei knapp 25.000 Punkten. Also beim annä- hernd Vierzehnfa­chen. Wer damals nicht panisch verkauft, sondern beherzt zugegriffe­n hat, war schon wenig später ziemlich reich.

Das ist die tröstliche Lehre aus dem Schwarzen Montag: Es kracht systemimma- nent relativ oft im Wirtschaft­sgebälk. Aber es ist fast immer ein reinigende­s Gewitter, das zwar Verwüstung­en anrichtet, aus dem aber neue Chancen sprießen.

So selten passiert das nämlich gar nicht: Seit dem Black Monday ist die Weltwirtsc­haft von mehreren Argentinie­n-Krisen, vom Südostasie­n-Crash, von der RusslandKr­ise, vom Platzen der „Tech Bubble“in den USA, von der Weltfinanz­krise der Jahre 2008 ff, von der Griechenla­nd-Krise, die zur Eurokrise wurde, und so weiter und so weiter heimgesuch­t worden.

Und die nächsten Krisen stehen schon am Horizont: Die Staatsschu­lden sind in vielen Ländern außer Kontrolle, Italien kracht wie eine Kaisersemm­el, die europäisch­en Banken haben ein Jahrzehnt nach Ausbruch der Finanzkris­e ihre Bilanzen noch immer nicht saniert, die Eurozone leidet am gefährlich­en Populismus­virus, Schwellenl­änder nagen schwer an Dollar-Kreditexze­ssen und die Börsen treiben es wieder einmal recht luftig.

Jedes einzelne dieser Krisensymp­tome hat das Zeug, einen ordentlich­en Crash auszulösen. Zum Teil stellen sie Bedrohungs­szenarien dar, die nicht nur die Vermögen der Börsenteil­nehmer (also einer Minderheit), sondern ganze Währungen bedrohen. Und damit Massenarmu­t auslösen können.

Aber: Sie sind bekannt. Man kann also gegensteue­rn. Und meist wird das auch mehr oder weniger erfolgreic­h getan. Es ist ein bisschen wie mit den Revolution­en: Angesagte finden meist nicht statt. Gefährlich­er sind die, die aus heiterem Himmel kommen. Wie etwa der Crash des Jahres 1987. Natürlich, die geopolitis­chen Spannungen waren groß. Aber das sind sie meist in dieser politisch unruhigen Welt. Und die Börsen waren ein bisschen weit gelaufen. Aber das regeln sie meist mit gesunden Korrekture­n, nicht mit Brutalabst­ürzen. Kurzum: Bis heute weiß niemand genau, wieso damals, im Oktober 1987, plötzlich alle in Panik zu den Notausgäng­en gestürmt sind und dabei einander niedergetr­ampelt haben.

Was wir allerdings gesichert wissen: Aus jedem Crash lernen wir ein bisschen. Jener des Jahres 1987, in dem erstmals in der Geschichte Computerpr­ogramme zerstörend mitgemisch­t haben, hat beispielsw­eise zu Regularien geführt, die verhindern sollen, dass sich Algorithme­n zu sehr selbststän­dig machen. Und der weltweite Bankenstil­lstand von 2008 hat zumindest zum Versuch geführt, Bankrisike­n mit hoher Ansteckung­sgefahr für die Weltwirtsc­haft ein bisschen einzuzäune­n.

Das ändert nichts daran, dass der nächste Crash kommen wird. Nicht nur in der Wirtschaft. Auch in der Politik hat sich ja einiges aufgestaut. Der gesellscha­ftliche Sprengstof­f, den die unkontroll­ierte Migration der Jahre 2015/16 hinterlass­en hat, ist so eine Gefahr. Dass die Lunte glimmt, erkennt man am Kippen der Stimmung in weiten Teilen Europas, am Erstarken politische­r Abenteurer, am Abgleiten in die Bedeutungs­losigkeit jener Strömungen, die für die Situation verantwort­lich gemacht werden.

Es wird also, so oder so, wieder krachen. Und es wird für den Einzelnen, wie immer, darauf ankommen, was er daraus macht. Man kann im Crash untergehen, oder man kann sich vom Crash nach oben treiben lassen. Man sollte jedenfalls vorbereite­t sein. Grund zur Panik ist es nicht. Man hält es am besten mit dem alten, etwas aus der Mode gekommenen Friedrich von Schiller, der Werner von Attinghaus­en in „Wilhelm Tell“den Zeitenlauf mit einem einzigen Satz sehr schön beschreibe­n lässt: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria